- • Startseite
- • Glotzen
-
•
Stranger Things: Warum es junge Menschen nostalgisch macht
Da kommt er angequietscht in seinem metallic-blauen ‘79 Chevrolet Camaro. Aus den runtergekurbelten Fenstern jault „Rock you like a hurricane“ von den Scorpions. Der Wagen hält, langsamer Zoom zur linken Autotür, Close-Up: die Tür öffnet sich – heraussteigt ein junger Gott. Billy. Blaue Augen, dunkle Brauen, gewellter, surf-blonder Vokuhila, von oben bis unten in Jeans, zieht an einer Zigarette und über den vollen Lippen zieht der kümmerliche Schnauzer mit: Die Achtziger sind da. So wenig subtil, so stereortyp, so drüber, dass es nicht funktionieren sollte. Und irgendwie kriegt es einen doch, dieses „Stranger Things“.
Im Gegensatz zum Serien-Großereignis-Monster „Game of Thrones“ ist das Story-Telling in Stranger Things, nun ja, leichte Kost. Eine Gruppe Kids versucht in der fiktiven Kleinstadt Hawkins im US-Staat Indiana die Ungeheuer der dunklen Parallelwelt „Upside Down“ aufzuhalten. Verschwundene Kinder, geheime Staatsorganisationen, misslungene wissenschaftliche Experimente, man kennt das ja. Und alles in diesem wunderbaren Achtziger-Setting, das sich so heimelig anfühlt. Dabei ist es logisch, dass Stranger Things sich für über 35-Jährige wie ein Besuch im alten Kinderzimmer anfühlen muss. Eine bekannte Welt voller Anspielungen, Reminiszenzen und Details, die man erkennen kann: Ah schau, da ist ja meine alte Bowie-Platte, hier liegen meine Erinnerungen an Dungeon and Dragons und ach, fast vergessen, mein erster Stephen-King-Roman.
Der schönste Vokuhila der Welt: Billy aka Dacre Montgomery
Aber was ist mit der Generation Game Boy, „Sailor Moon“, Christina Aguilera im Fighting Cage und ICQ? Wer wie ich in den Neunzigern in die Grundschule gegangen ist, weiß, dass es nichts Uncooleres gibt als die Achtziger. Die ausgebeulten, viel zu großen Pullover der großen Geschwister, der rauschende Fernseher bei Omi und Opi und Menschen, die total unironisch einen Vokuhila getragen haben. Warum geht das jetzt alles doch wieder, warum finde ich Billys Vokuhila hot? Was macht Stranger Things richtig, dass es mir so vertraut vorkommt, obwohl ich die Achtziger zu null Prozent selbst erlebt habe?
Zum Teil liegt das sicher daran, dass Stranger Things schlicht gut gemacht ist, ganz abseits davon in welcher Zeitperiode es spielt. Wie Emily Nussbaum im New Yorker schreibt, die Serie ist „unheimlich, aber nicht beängstigend, eskapistisch, aber nicht leer“. Es sind klassische Underdog-Narrative und Coming-of-Age-Geschichten – ganz im Stile anderer Kassenschlager wie „Harry Potter“ oder „Hunger Games“.
Die Zeitperiode ist kein Hintergrundrauschen. Sie ist die Geschichte
Die seltsame Achtzigerliebe von uns ist deswegen aber nicht weniger auffällig: Stranger Things spielt schließlich nicht nur einfach in den Achtzigern. Die Zeitperiode ist in dieser Serie kein wahllos ausgesuchtes Hintergrundrauschen. Nein, sie ist die Geschichte. Die Macher von Stranger Things, das bekannteste Regie-Geschwisterduo seit den Coen-Brothers und Wachowski-Sisters – Matt und Ross Duffer – ziehen das mit Detailversessenheit durch: Neben dem notwendigen zeitlichen Kontext-Klimbim (Walkie-Talkies, Walkman, die Retro-Fahrräder, der gesamte Soundtrack) gibt es in der Serie natürlich viele offen angesprochenen Achtziger-Referenzen, wie als sich die fünf Kids an Halloween als „Ghostbusters“ (1984) verkleiden.
Aber es gibt eben noch eine zweite Komponente, die macht, dass man genau dieses seltsame Vertrautheitsgefühl beim Anschauen hat. Was einen nämlich richtig ins Unterbewusstsein kickt, sind die visuellen und narrativen Hommagen an Achtziger-Blockbuster: Die Fünfer-Bande erinnert an die „Goonies“ (1985), die Optik an „Unheimliche Begegnung der dritten Art” (1977). Der Auftritt der telekinetisch begabten Eleven ist nicht nur inhaltlich, sondern auch von den Kamera-Einstellungen her an „E.T.“ (1982) angelehnt – ja Eleven als E.T. – was in keiner Szene offensichtlicher wird, als bei der Rad-Verfolgungsjagd, bei der Eleven zwar nicht die Kinder auf ihren Fahrrädern in die Lüfte erhebt, aber doch die Autos der Verfolger.
Die Monster von Upside Down drücken sich nach dem „Poltergeist“-Vorbild (1982) durch die Tapeten, mit ähnlichen Kameraeinstellungen wie in „The Shining“ (1980) hackt Winona Ryder mit der Axt auf die Wände ein. Der junge Lucas bereitet sich auf eine potentielle kämpferische Handlung vor, indem er sich nicht nur ein „Rambo“-Kopfband (1982) umbindet – sondern es wird auch noch eine ikonische Schnitt-Montage aus „Das Phantom-Kommando“ nachgebaut (1985). „Star Wars“, “Jurassic Park“, „Alien“: You name it, you find it.
Es geht nie wirklich um die Achtziger – sondern darum, wie sie im Kino ausgesehen haben
Filme existieren in einem zeitlosen Kosmos: Ob du 1985 mit dreizehn Jahren im Kino sitzt, oder ob du 2002 als Elfährige Sonntagabends mit der Familie auf Pro7 fernschaust – Ghostbusters bleibt lustig und spannend, Alien wirklich gruselig und E.T. beunruhigend und berührend. Unsere Empfindungen gegenüber den Filmen aus dieser Zeitperiode sind nicht groß anders als die Empfindungen von Menschen, die die Achtziger tatsächlich miterlebt haben.
Und das ist der Knackpunkt: In Stranger Things geht es nämlich nie wirklich um die Achtziger – sondern darum, wie die Achtziger im Fernsehen oder Kino ausgesehen haben. Und damit können wir uns sehr wohl identifizieren. Heißt: Es ist nicht essentiell, ob man sich wirklich daran erinnert, selbst einmal ein Walkie-Talkies benutzt zu haben. Sondern wie man sich gefühlt hat, als man das erste Mal durch einen Film erlebt hat, wie sich Freunde unter der Bettdecke mit Walkie-Talkies Nachrichten hin und her geschickt haben oder wie Verfolgungsjagden damit koordiniert wurden.
Das ist entscheidend anders als in anderen Serien, die in der Vergangenheit spielen. „Mad Men“ etwa ist mindestens genauso präzise in Kulisse, Soundtrack und Kostüm und stellt eine perfekt glattgebügelte Sechziger-Illusion her. Aber Stranger Things sieht eben nicht nur aus wie die Achtziger, es sieht auch noch aus wie die Filme von damals – nur in schick und modern. Und das gibt uns den emotionalen Kontext: Sie fühlen sich vertraut an, werfen uns zurück in eine Zeit, in der wir großäugig Blockbuster für uns entdeckt haben.
Stranger Things bietet so viel Verschiedenes auf unterschiedlichen Ebenen an, mixt und zitiert, lässt anklingen, buchstabiert aus, kombiniert und schüttelt durch, reiht Easteregg an Easteregg – und erschafft so ein popkulturelles Erlebnisland, in dem es für alle etwas gibt. Sie ist quasi ihr eigenes Genre, spielt innovativ mit unseren popkulturellen Assoziationen und macht aus Altem meisterhaft Neues.
Sollte Stranger Things der Beginn eines neuen Genres sein, lernt vielleicht bald die nächste Generation so die Neunziger kennen
Die Achtziger sind in Stranger Things für uns unter 30-Jährige damit wie ein Theme-Park. Nicht im Piratenstyle, sondern das magische Jahrzehnt, das wir nur von den Fotografien unserer Eltern kennen. Zeug, das man als Teenager hinter sich gelassen hat und in seiner Identitätssuche als junger Erwachsener wieder ausgräbt: Mama und ihr erster richtiger Freund, kurz nachdem sie ausgezogen ist, im fürchterlichen Printkleid auf der braunen Cordcouch der Großeltern. Papa in faltenfrei, mit langen Haaren und Freunden barfuss im Gras sitzend. Die ersten Filme, die sie uns als Kinder sehen lassen haben, die Musik, die sie im Auto lauter drehten, all das findet sich wieder.
Der Theme-Park-Eindruck wird durch zwei Aspekte verstärkt: Die Achtziger als Jahrzehnt bieten den Vorteil, dass sie einen prä-digitalen Alltag zeigt – eine Welt, die für junge Menschen so fantastisch und unvorstellbar ist, wie das Mittelalter. Als Kinder noch gemacht haben, was sich unsere Eltern immer von uns wünschten: nicht am Handy zu hängen. Als man noch vier gute Freunde und nicht 137 Twitter-Follower und 456 Instagram-Abonnenten hatte. Und gleichzeitig sind die Achtziger noch nahe genug an uns dran, um nicht kalt und historisch zu wirken, wie die restriktiven Fünfziger Jahre mit Bügelfalte und Seitenscheitel, in der Kinder noch mit dem Stock geschlagen wurden.
Dabei sind auch die Achtziger natürlich nicht nur Synthie-Abenteuer in Jeansjacke und bunten Sneakers. Es soll die Zeit des neoliberalen Siegeszug gewesen sein, ein Jahrzehnt geprägt vom Kalten Krieg, dem AIDS-Schock und das Ende der noch gar nicht im Alltag angekommenen freien Sexualität – habe ich mir zumindest von jemanden, der das Jahrzehnt erlebt hat, erzählen lassen. Stranger Things erzählt diese Dinge nicht und will sie auch nicht erzählen. Aber es kommt mit geballter Überzeugungskraft, wenn es darum geht zu zeigen, dass Vokuhilas sexy sind. Und sollte Stranger Things der Beginn eines neuen eigenen Genres sein, kann in zehn Jahren vielleicht die nächste Generation so die Neunziger und unser Non-Plus-Ultra der Coolness kennenlernen: Bauchnabelpiercings, silberner Lidschatten und Haifischzahnketten.