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Greta segelt, ich fahre Rad

Foto: Maxim Landau

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Fliegen hat etwas von einem besonders tristen Musical. Das abwesend gesungene „Willkommen an Bord“ der Crew, die starren Tanzeinlagen beim Security Check und wenn es vorbei ist, will jeder so schnell es geht raus – trotzdem liebe ich diese Show. Denn Fliegen ist günstig, sicher und vor allem eines: schnell. Bei Regen in München in die Maschine steigen und nur drei Stunden später in die pralle Hitze Portugals platzen. So bin ich bisher fast jeden Sommer in den Urlaub geflogen. Aber erst seit diesem Jahr fühle ich mich deswegen wie ein Monster. Und das liegt auch an Greta.

Greta Thunberg segelt quer über den Atlantik nach New York, um nicht mit einem Flug das Klima weiter zu belasten. Ihretwegen protestieren jeden Freitag Millionen SchülerInnen mit Fridays for Future auf den Straßen. Und ich kann die Wahrheit nicht mehr verdrängen: Während ich an der Strandbar Getränke aus gekringelten Strohhalmen bis auf die Eiswürfel hinab schlürfe, schmelzen Gletscher, brennen Wälder und das Meer verschluckt immer mehr Land. Schuld am Klimawandel sind wir selbst. Zwar sprechen sich immer mehr Menschen für den Klimaschutz aus, doch gleichzeitig steigen Reisende in Deutschland fleißig weiter in Flieger. Billigflüge, so Zahlen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, transportierten im vergangenen Winterhalbjahr sogar zehn Prozent mehr Passagiere als im Jahr zuvor. Wenn es um Urlaub geht, so scheint es, ist der Klimaschutz für die meisten Nebensache. Ich bin da selbst nicht anders.

Ich habe nur zwei Mal fast vor Anstrengung geweint

In meinem schlimmsten Jahr bin ich dreizehn Mal geflogen. Australien, Bali, Island – was eben meiner Meinung nach auf jeder Reiseliste jedes Abiturienten steht. Die Schuhe, mit denen ich meinen ökologischen Fußabdruck auf die Erde getrampelt habe, sind mittlerweile die XXL-Schuhe eines Horrorclowns. Allein mit meinem jährlichen Flug in den Sommerurlaub von München nach Faro puste ich rund eine Tonne des Treibhausgases CO2 in die Atmosphäre. (Hier kannst du berechnen, wie viel CO2 du mit einem Flug ausstößt.) 

Dieses Jahr habe ich es deshalb anders gemacht. Ich bin mehr als 2000 Kilometer in den Sommerurlaub gefahren – auf meinem Fahrrad. Ich habe nur zwei Mal fast vor Anstrengung geweint.

Mein Abenteuer beginnt im Juni. Ich habe viel Zeit und kein Geld – eine schlechte Kombination, wenn man lange reisen will. Eigentlich. Ich fahre Rad, kostet ja nichts, denke ich. Schlafen will ich im Zelt, kochen mit meinem Gaskocher – mein Leben in zwei Satteltaschen. Als ich vor meiner Haustüre auf das Fahrrad steige, bin ich sicher: Nida an der Küste Litauens erreiche ich, no Problemo. In der flirrenden Hitze nach Portugal zu strampeln, wäre mir dann doch zu heftig. Von Litauen erhoffe ich mir kühlenden Rückenwind.

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Maxim startete von seiner Haustür aus in sein Abenteuer.

Foto: Maxim Landau
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Sein Plan: bis an die Küste nach Litauen.

Foto: Maxim Landau
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Bei seinem ersten Tiefpunkt hatte er nichts mehr zum Anziehen.

Foto: Maxim Landau
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Eine Übernachtung im Zelt auf einem Capmingplatz kostet ungefährt neun bis  18 Euro.

Foto: Maxim Landau
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Eine seiner Lektionen: Klimaneutral Reisen ist kein Urlaub.

Foto: Maxim Landau

Von München aus an die Ostsee und entlang der Küste Polens bis nach Litauen – die ganze Strecke auf dem Rad. Greta wäre stolz auf mich. Oder sie würde genervt mit den Schultern zucken, weil ich glaube, mit ein bisschen Fahrradfahren zum Klimahelden zu werden.

An Tag eins strample ich los. Ein Flug von München zur Hauptstadt Litauens, Vilnius, würde nur etwa 100 Euro kosten und zwei Stunden dauern. Mit dem Fahrrad fahre ich am ersten Tag doppelt so lang. Und komme bis nach: Freising. Kaum mehr als 30 Kilometer von München entfernt, mit der S-Bahn in einer halben Stunde zu erreichen. Als ich am Abend mein Zelt in einem Schrebergarten aufschlage, bin ich froh, zumindest nichts für die Übernachtung zu bezahlen.

Lektion eins: Ich bin nicht so schnell wie ein Flugzeug. Auch nicht, wenn ich die Arme ausbreite.

Mindestens hundert Kilometer will ich am zweiten Tag schaffen. Ich brause einen Schotterweg entlang, neben mir tost die Isar. Plötzlich ist der Schotter weg, ich stehe in einem Meer aus Pflanzen. Auf meiner Reise-App heißt der Radweg „Wilde Naturstrecke“. Klingt nach Abenteuer, Indiana Jones, Lara Croft – ich pflüge durch das Gras. Abenteurer will ich schließlich auch sein.

Ich schwitze am ganzen Körper wie sonst nur mein Hintern in der Sauna

Zwanzig Minuten später will ich raus aus dem Abenteuer. Zu allen Seiten sind Brennnesseln, es zirpt und zischt. Ich denke an Schlangen, an Zecken sowieso, Borreliose, Frühsommer-Meningoenzephalitis. Was einem in solchen Momenten eben einfällt. Als ich mein Fahrrad eine halbe Stunde später endlich über eine Brücke trage, möchte ich auf der anderen Seite den Erdweg küssen. Fazit: Ich schwitze am ganzen Körper wie sonst nur mein Hintern in der Sauna und meine Beine sehen aus wie nach einer rabiaten Akupunktur. Das kommt von den Brennnesseln, denke ich da noch.

Am nächsten Morgen kann ich kaum sehen, meine Tränensäcke sind dick wie diese seltsamen Gelkissen an ergonomischen Mousepads. Pollen. Ich weiß, dass ich allergisch bin, aber dieses Ausmaß ist mir neu. Als wäre es ein Notruf, tippe ich auf meinem Handy und buche ein Zimmer. Mehr als 20 Euro für ein Nacht, auf Dauer ist das nicht in meinem Budget drinnen.

Lektion zwei: Die Freiheit der Natur ist toll, aber die Freiheit meiner Atemwege auch.

Auf dem Weg zum Hotel merke ich auf dem Fahrrad, dass meine Beine geschwollen sind. Die kleinen Punkte, die ich für Brennnesselstiche gehalten habe, haben sich entzündet. Ich bin überzeugt, irgendwelche Tiere mit meinen Beinhaaren aus dem Wald gefischt zu haben. Ich, das Insektenhotel.

Mit dem Flieger könnte ich längst am Strand liegen

Da sind wir auch schon an meinem ersten Tiefpunkt. Ich liege nackt im Bett des Hotels, weil ich nichts mehr zum Anziehen habe. Meine gesamte Wäsche wirbelt bei 60 Grad in der Trommel. Schlafsack und Zelt habe ich davor mit Desinfektionsspray eingesprüht. Wenn ich Tiere bei mir hatte, sind sie jetzt tot. Zum ersten Mal überlege ich, die Reise abzubrechen. Nach drei Tagen. Mit dem Flieger könnte ich längst am Strand liegen.

Lektion drei: Klimaneutral Reisen ist kein Urlaub.

Neustart. Ich strample vorwiegend auf Landstraßen und schlafe in Herbergen oder auf spießigen Campingplätzen. Mit Natur hat das wenig zu tun, billig ist es auch nicht. Ich zahle zwischen neun und 18 Euro, nur um mein Zelt auf eine Wiese zu stellen, für ein Bett in zwielichtigen Raststätten muss ich 30 Euro berappen. Jedes Backpacker-Hostel, das ich in Portugal kenne, ist günstiger.

Immerhin komme ich jetzt voran.  Und etwas Gutes hat meine Art zu reisen: Wo es mir gefällt, bleibe ich ein paar Tage. Es sind Orte, über die ich mit dem Flugzeug aber einfach hinweggeflogen wäre. Ich fahre durch Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Als ich mit dem Kayak durch die Kanäle der Mecklenburgischen Seenplatte paddle, riechen die Kiefernwälder nach Mittelmeer. In Sachsen treffe ich sogar einen Backpacker, der aus Australien angereist ist, um die Felsen der Bastei zu erklimmen. Ich frage mich, so komisch das klingt, wieso man selten jemanden sagen hört: diesen Sommer fahre ich nach Niederwürschnitz. Denn was das Klima angeht, klingt der Urlaub im eigenen Land für mich erstmal nach einer guten Idee. Kurze Reisewege, weniger Emissionen.

Lektion vier: Man muss die ewige Weite nicht im australischen Outback suchen. Das Nichts findet man auch in Brandenburg.

Zugegeben, der Tourismus im eigenen Land lässt sich schwer vermarkten. Im vergangenem Jahr verbrachte mehr als die Hälfte der deutschen Urlauber ihre Hauptreise lieber im europäische Ausland. Das ergab eine Tourismusanalyse der Stiftung für Zukunftsfragen. Immerhin rund ein Drittel der Befragten verbrachte dagegen ihren Haupturlaub im eigenen Land. Das sind allerdings vier Prozent weniger als zehn Jahre zuvor. Nachvollziehbar. Wenn ich die Möglichkeit habe, esse ich auch lieber Churros in Spanien, als den Kram, den ich ohnehin von Zuhause kenne.

Nach Wochen auf dem Rad fühlt sich Busfahren an wie katapultiert werden

Vier Wochen später bin ich endlich in Polen. Einen Monat lang hat die Sonne mir gnädig Sonnenbrand auf die Haut gebraten, jetzt schüttet es seit Tagen. Meine Füße weichen auf wie nasse Schwämme. Vielleicht werde ich auch deswegen schwach. In Danzig quetsche ich mein Fahrrad in den Bauch eines Reisebusses. Ich fahre nach Warschau und von dort bis kurz vor die Grenze Litauens. Ich weiß, ich habe gesagt, ich werde die ganze Strecke mit dem Fahrrad zurücklegen. Aber zwischen Polen und Litauen liegt ein kleines Stück Russland, für das ich ein Visum bräuchte. Statt die Enklave hunderte Kilometer zu umfahren, nehme ich den Bus. Nach Wochen auf dem Rad fühlt sich Busfahren an wie katapultiert werden. Fliegen würde sich vermutlich anfühlen wie Beamen.

Zwar stößt ein Reisebus pro Kilometer und transportierter Person nur knapp ein Sechstel der Treibhausgase aus, die ein Flugzeug in die Luft schleudert. Trotzdem fühle ich mich schlecht. Dass ich mein Fahrrad aus unerklärlichen Gründen zum Transport in Frischhaltefolie wickeln musste, macht es nicht besser. Plastik. Ich bin wieder ganz das Umweltmonster.

In Warschau treffe ich bei einer Stadttour Vince. Er ist, so wie ich, mit dem Fahrrad unterwegs. Laut seinem T-Shirt, das er offensichtlich ganz beiläufig in seiner Freizeit trägt, hat er einen Iron-Man absolviert. Von St. Petersburg fährt er in nur vier Wochen bis nach Lyon. Heute, sagt er, sei er in vier Stunden nur 100 Kilometer weit gekommen. Nur! Als ich Tage später im polnischen Suwalki aus dem Bus steige, schwöre ich mir, ab jetzt fahre ich nur noch Fahrrad. Was Vince kann, kann ich auch.

Der Boden ist so uneben, dass mein Fahrradsattel auf meinen Hintern eindrischt

An zwei Tagen will ich rund 250 Kilometer fahren. Womit ich nicht gerechnet habe: Hinter der litauischen Grenze endet auf meiner Route bald die Straße. Schotterpiste, mal wieder. Der Boden ist so uneben, dass mein Fahrradsattel auf meinen Hintern eindrischt. Am Abend kann ich kaum laufen, so wund gescheuert bin ich. Ich wünschte, es wäre nur an den Beinen.

Lektion fünf: Ich bin keine Maschine, immer noch nicht.

Nach acht Wochen bin ich am Ziel meiner Reise. Nida, die Stadt zwischen den Riesendünen. Acht Wochen Fahrt für eine Woche Strandurlaub. Die Hälfte der Urlaubswoche regnet es. Natürlich habe ich auf der Reise vieles gesehen. Im Flugzeug hätte ich die 2000 Kilometer nur als Wolkenrauschen wahrgenommen. Je langsamer man reist, desto deutlicher werden die Details. Aber wäre ich geflogen, wäre ich schon vor acht Wochen hier gewesen.

Zurück nach Deutschland nehme ich eine Fähre und einen Bus. Ist zwar klimafreundlicher als ein Flug, dafür bin ich immer noch zwei Tage unterwegs. Das ist ja das Dilemma: Züge sind teuer, Busse und Fähren sind langsam. Wer im Jahr nur 28 Tage Urlaub hat, verbringt ungern die Hälfte davon im runtergekühlten Bus. Auf dem Deck sehe ich die Küstenlichter Litauens in der Nacht verschwinden. Noch während meiner Reise habe ich einen Flug gebucht. Nach Schottland, wo meine Schwester lebt. Hätte ich nicht die Möglichkeit, zu ihr zu fliegen, würde ich sie wohl kaum noch sehen. Eines hat Greta bei mir trotzdem bewirkt. Was bleibt, ist das schlechte Gewissen. Nach Portugal, nehme ich mir vor, fahre ich das nächste Mal mit dem Zug.

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