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„Wir brauchen jetzt eine radikal andere Form des Wirtschaftens“

Die Blockaden der Aktivist*innen, wie hier am Haupteingang der IAA, waren sorgfältig geplant – die Gegenmaßnahmen der Polizei auch.
Foto: dpa / Boris Roessler

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Mehr als 15 000 Menschen haben am vergangenen Samstag vor der Frankfurter Automesse IAA demonstriert, am Sonntag blockierten Aktivist*innen von „Sand im Getriebe“ Zugänge und Shuttlebusse zu den Messehallen. Die Botschaft des Bündnisses: „Unser Ziel sind autofreie Städte, mehr Platz für Fuß- und Radverkehr sowie ein massiv ausgebauter und kostenloser Nahverkehr. Der politische Stillstand zwingt uns, die Verkehrswende selbst in die Hand zu nehmen.“ Dafür setzten sie alles daran, möglichst viele Menschen vom Besuch der IAA abzuhalten und auf das aus ihrer Sicht fehlende Umdenken in der Automobilbranche aufmerksam zu machen.

Kira, 24, ist aus Kassel angereist, um bei der IAA für die Verkehrswende zu protestieren. Sie ist Wirtschaftsaktivistin und in einer lokalen Klimagruppe aktiv, die sich mit „Sand im Getriebe“ solidarisiert. 

jetzt: Warum hast du an der Protestaktion von „Sand im Getriebe“ teilgenommen?

Kira: Für mich ist es wichtig, in die Öffentlichkeit zu gehen und den Diskurs mitzugestalten. So, wie wir gerade auf Kosten der Umwelt leben, möchte ich nicht leben. Wir müssen daher darüber reden, wie man Alternativen aufbauen kann. Es geht darum, „Stopp“ zu sagen und zu zeigen, dass hier eine Grenze ist, über die wir nicht einfach drüber gehen können, ohne uns und unsere Kinder zu gefährden.

Die Vertreter*innen von „Fridays for Future“ haben im Vorfeld der Messe eine Einladung der IAA abgelehnt. Sie sagen, sie wollten nicht für leere Klimaschutzbekundungen herhalten. Dafür haben sie ein Gespräch in anderem Rahmen angeboten. Was hältst du von dieser Entscheidung?

Das ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn die IAA dieses Gespräch genutzt hätte, um zu sagen, „Schaut her, wir reden sogar mit ‚Fridays for Future‘ und E-Mobilität ist uns übrigens super wichtig“, hätte ich das auch nicht richtig gefunden. Gleichzeitig ist es wichtig, mit der breiten Öffentlichkeit zu reden – auch mit Konzernchefs und Messebesucher*innen. Aber in dem Fall kann ich die Entscheidung von „Fridays for Future“ verstehen.

Du selbst besitzt vermutlich kein Auto?

Tatsächlich habe ich eins, das habe ich aber geerbt und nutze es nicht – es steht nicht mal in der Stadt, in der ich lebe. Im Alltag fahre ich Fahrrad oder mit den Öffis. Und auf weiteren Strecken trampe ich oder nehme den Zug. Solche individuellen Entscheidungen sind wichtig, aber uns geht es bei unserer Aktion vor allem um das System dahinter: die Politik, die Konzerne und die Spielregeln, nach denen unsere Wirtschaft funktioniert.

Wie haben die IAA-Besucher*innen auf eure Aktion reagiert?

Die Besucher*innen waren vor allem irritiert, wenn sie uns gesehen haben. Die meisten haben entspannt reagiert, es gab aber auch einige, die wütend wurden, und sich einfach durch die großen Würfel, die wir zur Blockade aufgestellt hatten, durchgedrückt haben.

Seid ihr auch mit Besucher*innen oder Aussteller*innen ins Gespräch gekommen?

Wir hatten uns entschieden, niemanden direkt anzusprechen. Gerade bei größeren Gruppen hätte eine direkte Konfrontation die Situation schnell aufheizen können. Das wollten wir vermeiden.

Wie haben sich die anwesenden Polizist*innen euch gegenüber verhalten?

Ich habe zum „blauen Finger“ gehört, der Gruppe, die den Eingang, an dem die Shuttles ankommen, blockiert hat. Nachdem wir uns heute Morgen in der Nähe gesammelt hatten, sind wir da ganz entspannt hingekommen. Auch danach war es bei uns total friedlich und die Einsatzkräfte haben sich im Hintergrund gehalten. Die Polizei hat uns ein paar Mal zur Seite gedrückt, um eine Gasse frei zu halten. Beim „grünen Finger“ gab es mehr Schwierigkeiten, die sind von der Polizei eingekesselt worden. Das habe ich aber nur durch andere Teilnehmer*innen mitbekommen.

„Wir haben vielleicht noch ein paar Jahre Zeit, wenn überhaupt“

Welche Situation ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

Da es so warm war, haben wir uns im Schatten an einer der Glaswände gesammelt. Es kamen immer mehr Aktivist*innen dazu und wir fingen an zu singen, zu tanzen und mit den Fahrrädern im Kreis zu fahren. Da haben uns die Besucher*innen, die sich in dem kühlen, leblosen Gebäude Autos angesehen haben, von innen zugeschaut. Das fand ich sehr bezeichnend.

In den sozialen Medien bekommt ihr längst nicht nur Zuspruch. Einige sagen, ihr solltet lieber sachliche Argumente liefern, als eine Messe zu blockieren, manche bezeichnen euch als „Öko-Terroristen“. Was entgegnest du solchen Stimmen?

Solche Vorwürfe kenne ich eher von Aktionen wie beim Hambacher Forst. Die finde ich da schon unangebracht – und hier noch mehr. Die sachlichen Argumente für einen Systemwandel bringen wir immer wieder. Ich denke, hinter so einer Kritik steckt vor allem Angst. Das sind oft Leute, die nicht sehen wollen, wie schlimm es tatsächlich ist, oder die einfach überfordert davon sind. Solche Leute müssen wir vor allem bei ihren Bedürfnissen, zum Beispiel dem Bedürfnis nach Sicherheit, abholen.

Ist das überhaupt möglich oder muss es erst einen Generationswechsel geben, damit sich wirklich etwas ändert?

Wenn ich mir die aktuellen Daten zur Klimaerwärmung ansehe, denke ich, dass wir nicht so lange warten können. Das Problem ist, dass viele nicht so langfristig denken, wie sie sollten. Wir haben vielleicht noch ein paar Jahre Zeit, wenn überhaupt. So schnell werden sich die Strukturen nicht einfach so ändern. Wir brauchen jetzt eine radikal andere Form des Wirtschaftens und dafür brauchen wir auch die ältere Generation. Die große Frage ist, wie wir diesen Umschwung schaffen können. Dieses Unwissen müssen wir aushalten – und vor allem als Potenzial für Kreativität und radikal neue Herangehensweisen sehen und nutzen.

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