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The Female Gaze: In Animationsfilmen verwandeln sich BIPoC zu oft in Tiere
Lasst auch nicht-weiße Charaktere in Trickfilmen menschlich sein!
Über Weihnachten veröffentlichte das Trickfilmstudio Pixar, das mittlerweile zum Disney-Konzern gehört, den Film „Soul“, ein computeranimierter Abenteuer-Trickfilm. Eigentlich ein Grund zur Freude für viele: Es handelt sich bei „Soul“ nämlich um den ersten Pixar-Film mit einem schwarzen Charakter als Protagonist. Doch schon nach Veröffentlichung des Trailers wurde Kritik laut. Sogar eine Petition wurde gestartet. Die Forderung, die darin an Medienunternehmen wie Disney und Pixar gestellt wird: „Hört auf, Schwarze Charaktere in Animationsfilmen zu entmenschlichen“. Viel zu oft würden Figuren in Tiere verwandelt oder –wie in „Soul“ –als nicht-menschliches Wesen dargestellt. Was ist an dem Vorwurf dran und woher kommt er überhaupt? (Achtung: Spoiler folgen!)
„Soul“ erzählt die Geschichte des Musiklehrers Joe Gardener, der eigentlich lieber Berufsmusiker wäre. Nachdem er zu Beginn des Films den Auftrag seiner Träume ergattert hat, stirbt er nach etwa zehn Minuten Laufzeit. Von da an sieht man ihn kaum noch als Menschen, sondern als blaue Gestalt, die in einer Art Paralleluniversum gefangen ist. Der erste Pixar-Film mit Schwarzem Hauptcharakter zeigt also genau diesen die meiste Zeit über als blauen Blob oder später im Körper einer Katze. Nur selten sieht man ihn in seiner wahren Gestalt – dafür mit der Stimme einer weißen Frau, die im Laufe des Films in Joes Körper landet. Auch wenn ich Soul für einen schönen und extrem lebensbejahenden Film halte, schafft er es nicht ausreichend, seinen Schwarzen Protagonisten in den Fokus zu setzen. Es wirkt, als hätte man Joe Gardener in alle möglichen Formen, nur nicht in die eines Schwarzen stecken wollen.
Weiße Charaktere durchlaufen kaum Transformationen zum Tier
Ähnliches zeigte sich auch beim einzigen Disney-Animationsfilm mit Schwarzem Hauptcharakter: „Küss den Frosch“ aus dem Jahr 2009. Die Hauptfigur Tiana sieht man nicht lang in ihrer menschlichen Gestalt – die meiste Zeit steckt sie im Körper eines Froschs. Auch den nicht-weißen Disney-Hauptcharakteren Kuzco in „Ein Königreich für ein Lama“ (2000) und Kenai in „Bärenbrüder“ (2003) erging es so: der Inka-König wurde selbst zum Lama, der indigene Teenager zum Bären. Ein aktuelleres Beispiel für das Phänomen findet sich im Animationsfilm „Spione Undercover – Eine wilde Verwandlung“ (2019) aus den Blue Sky Studios. Der Schwarze Spion Lance Sterling verwandelt sich darin in eine Taube.
Man könnte meinen, das sei nicht weiter bedenklich. Immerhin gehöre Magie und Verwandlung zu Animationsfilmen dazu, die Transformationen seien jeweils Bestandteil der erzählten Geschichten. Letzteres stimmt. Was aber auffällt: Weiße Charaktere durchlaufen – anders als nicht-weiße Charaktere – kaum Transformationen zum Tier.
Ich habe da mal nachgezählt: Insgesamt hat Disney seit 1937 58 Filme in seiner Meisterwerke-Reihe veröffentlicht. Darunter 20 Filme mit weißen Hauptcharakteren und elf Filme mit BIPoC-Protagonist*innen. Die restlichen Filme drehen sich um Tiere und Objekte. In drei der insgesamt elf Filme, also gut 25 Prozent, werden die nicht-weißen Hauptcharaktere in Tiere verwandelt. Bei den 20 Filmen mit weißen Leads trifft das nur in zwei Fällen zu, nämlich beim Biest in „Die Schöne und das Biest“ (1991) und beim weniger bekannten Film „Die Hexe und der Zauberer“ (1963).
Pixar hat bisher 23 Spielfilme veröffentlicht, darunter fünf mit weißen Hauptcharakteren („Die Unglaublichen“ Teil eins und zwei, „Oben”, „Merida”, „Alles Steht Kopf”), zwei mit nicht-weißen Hauptcharakteren („Soul” sowie „Coco” aus dem Jahr 2017), der Rest dreht sich um Tiere und Gegenstände. Bei Pixar gibt es also nur einen Film mit Hauptcharakter of Color, der sich nicht verwandelt. Bei Blue Sky Studios gibt es gar keinen.
Schwarze, Indigene und Menschen of Color sowie ihre Geschichten sind auf dem Bildschirm ohnehin unterrepräsentiert
Ich glaube nicht, dass hinter diesem Narrativ eklatanter Rassismus steckt. Angesichts existierender rassistischer Stereotype, die bestimmte Menschen mit Tieren gleichsetzen und somit abwerten, hat es aber einfach einen faden Beigeschmack, wenn animierte BIPoC zu Tieren verwandelt werden und nicht als Menschen agieren dürfen, während das bei weißen Figuren fast nie der Fall ist.
Dieser Beigeschmack wird nur noch verschärft durch ein anderes Problem: Schwarze, Indigene und Menschen of Color sowie ihre Geschichten sind auf dem Bildschirm ohnehin unterrepräsentiert. Indem Animationsfilme die wenigen nicht-weißen Figuren in Tiere oder andere Wesen verwandeln, wird die geringe Bildschirmzeit nur noch mehr gekürzt.
Manche werden sich fragen: Wieso ist es überhaupt wichtig, dass BIPoC auch in Animationsfilmen repräsentiert werden? Die Antwort ist simpel: Die Zielgruppe sind Kinder. Und die sehnen sich nach Identifikationsfiguren. Mulan, Chihiro, Phoebe aus „Hey Arnold!“ – ich kenne alle südostasiatischen Comicfiguren aus meiner Kindheit. Warum? Einerseits, weil ich schon immer gerne Fernsehen und Filme geschaut habe und andererseits, weil ich damals nach jeder Figur lechzte, die nur ansatzweise wie ich aussah. Schließlich gab es davon einfach nicht so viele. Wichtig ist dabei übrigens, dass es Identifikationsfiguren mit positiven Attributen gibt: Sonst könnte das zu mangelndem Selbstbewusstsein beim Kind führen.
Studios versuchen zudem, diverse Beratungsteams zusammenzustellen
Journalismusprofessor Hemant Shah erklärt, dass Kinder bei angemessener „racial representation“ lernen, wie eine diverse Gesellschaft aussehen könnte. Umgekehrt kann die Darstellung von rassistischen Stereotypen zur Verinnerlichung dieser führen. Weiße Kinder könnten Gleichgültigkeit gegenüber Rassismus oder Ungerechtigkeit gegenüber nicht-weißen Kindern entwickeln.
Wenn es um rassismuskritische Perspektiven im Zusammenhang mit Animationsfilmen und -serien geht, scheint die Diskussion erst richtig angefangen zu haben. Im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung traten einige weiße Synchronsprecher*innen, die Schwarze und Charakteren of Color ihre Stimme liehen, zurück. Es stellte sich die Frage, wer überhaupt wen sprechen darf. Studios versuchen zudem diverse Beratungsteams zusammenzustellen, um bei der Darstellung unterschiedlicher Kulturen keine Stereotype zu bedienen. Dass so etwas gut funktionieren kann, bewiesen der Disney-Film „Vaiana“ oder Pixars „Coco“. Die nicht-weißen Hauptcharaktere dieser Filme durften einfach genau das sein: nicht-weiße Menschen. Hoffentlich sehen wir ab sofort mehr davon.