- • Startseite
- • Religion
-
•
Verändert das Coronavirus den Ramadan?
Zafer muss dieses Jahr alleine das Fasten brechen. „Doch alleine schmeckt das Essen nicht“, sagt der 31-Jährige. Als Ramadan noch ein großes Fest war, war das gemeinsame Fastenbrechen immer der Höhepunkt des Tages. Nach Sonnenuntergang strömten die Gläubigen in die Moscheen. Zum Beten, zum Reden, zum gemeinsamen Essen. „Das war wie eine Party“, sagt Zafer. Wegen des Coronavirus ist die „Party“ diesen Monat abgesagt. Ramadan macht Zafer jetzt viel weniger Spaß als sonst.
Seit dem 23. April ist Ramadan, in einer Woche wird der Fastenmonat wieder vorbei sein. Schon jetzt lässt sich sagen: Die Pandemie hat den Charakter des Fastenmonats verändert. Klar, auch dieses Mal fasten die Gläubigen und gedenken der Armen und Hungernden. Aber Ramadan bedeutet viel mehr, als zu fasten: Es ist ein Gemeinschaftserlebnis, für Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland. Man fastet zusammen, betet zusammen und isst nachts zusammen. Und am letzten Tag feiert man das Ende des Fastenmonats, mit einem riesigen Festmahl, dem Zuckerfest. All das ist dieses Jahr allerdings nicht möglich. Die Moscheen bleiben geschlossen und die Gläubigen müssen Ramadan alleine oder im engen Kreis verbringen.
Zafer lebt in einer WG in Marburg. Er ist im Juni 2014 von Aleppo nach Deutschland geflohen. In Marburg hat er Religionswissenschaften studiert, vor einem Jahr hat er seinen Master abgeschlossen. Sein Vater wohnt noch in Aleppo, seine Mutter und seine vier Geschwister in der Türkei. Ramadan ohne die Familie zu feiern, das sei in Aleppo ein Tabu, sagt Zafer. Trotzdem gewöhnte er sich in Marburg daran, zumindest halbwegs. Schon in seinem ersten Jahr fand er heraus, dass sich die Gläubigen nachts in der Moschee trafen. „Es war natürlich nicht wie zu Hause.“ Aber er hatte Menschen gefunden, die mit ihm fasteten, beteten und aßen.
Vergangenes Jahr seien zum Nachtgebet oft 200 bis 300 Personen gekommen, sagt Zafer. Sie hätten bis zu fünf Stunden zusammen in der Moschee verbracht. Viele von ihnen waren junge Menschen ohne Familie: Jugendliche und Studierende. Wie Zafer gingen sie währenddes Ramadans jede Nacht in die Moschee. „Von den 200 Personen in der Moschee kannte ich mindestens dreißig“, erzählt Zafer. „Wenn ich alle begrüßen wollte, brauchte ich dafür eine Stunde.“ Zafer hatte das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein. „Ich fand mich selbst in den anderen Personen.“
In der Corona-Krise ist es der muslimischen Gemeinschaft wie allen anderen Gruppen verboten, sich zu treffen. Anstatt in die Moschee zu gehen, bleibt Zafer jetzt zu Hause, manchmal kommt ein Freund zu Besuch. Trotzdem findet er es auch in der Gesellschaft seines Freundes schwerer, sich an alle Regeln zu halten, alle Gebete und Rituale durchzuführen. Vor allem das Nachtgebet, das Tarawih, fällt im kleinen Kreis meistens weg: „Besonders wenn man viel gegessen hat, hat man dafür keine Kraft mehr“, sagt Zafer. Normalerweise würde man von den anderen Gläubigen angetrieben, diszipliniert zu bleiben. „Man betet die ganze Nacht.“ Jetzt betet Zafer nach dem Essen oft gar nicht mehr, er schaut lieber eine Serie oder geht schlafen. Er hat gehört, dass es nun online Video-Predigten gibt. Aber er schaut die Videos nicht. Das Smartphone, findet Zafer, könne die Moschee als spirituellen Begegnungsort nicht ersetzen.
Der Imam Belmin Mehic vom Münchner Forum für Islam (MFI) hält seine Iftar-Botschaften und Freitagspredigten jetzt auf Facebook oder Youtube. Virtueller Ramadan. Auch in der Gemeinde des 30-Jährigen im Münchner Stadtzentrum bleiben die Gebets- und Gemeinschaftsräume wegen der Pandemie geschlossen. Auf den Videos steht Mehic im blauen Hemd vor einer weißen Tapete mit goldenen Sternornamenten und predigt auf Deutsch. Der Imam will alle Gläubigen erreichen, egal aus welchem Land sie kommen, das ist die Philosophie des MFI. Klappt das auch online?
Eher nicht, zumindest wenn man die Klickzahlen seiner Videos als Maßstab nimmt. Die Youtube-Videos wurden zwischen zehn und 35 Mal aufgerufen, die Videos auf der Facebook-Seite haben wenige Likes. Die Gebetsräume des MFI waren dagegen in den vergangenen Jahren oft so voll, dass die Gläubigen draußen warten mussten. Auf die Predigten im Internet scheinen dagegen nicht viele Gläubige gewartet zu haben.
Trotzdem findet Mehic, dass sie ein Erfolg sind: „Die Mitglieder sind uns dankbar, einige haben sich sogar persönlich bedankt.“ Die Menschen würden verstehen, dass man die Predigten virtuell nicht eins zu eins ersetzen kann. Aber die Video-Botschaften seien zumindest der Versuch, sie zu ersetzen. Zudem könne man mit ihnen Menschen erreichen, die normalerweise nicht die Zeit haben, in die Moschee zu gehen. Mehic kann sich vorstellen, dass er auch nach der Corona-Krise weiter online predigen wird. „Ich finde, man muss mit der Zeit gehen.“
Das Familienfest wird dieses Jahr zum Kernfamilienfest
Imam Mehic versucht, die Beschränkungen positiv zu sehen, als Chance. Während dieses Ramadans könne man viel mehr Zeit mit der Familie verbringen als sonst, sagt Mehic. Gemeinsam beten und zu Abend essen. Viele Gläubige würden jetzt merken, wie wichtig das sei. „Das ist vielleicht das Wichtigste, was wir dieses Jahr mitnehmen werden“, sagt Mehic. Das Familienfest Ramadan wird dieses Jahr zum Kernfamilienfest.
Aber was ist mit Menschen, die keine Familie haben? Mit Gläubigen, die alleine wohnen oder wie Zafer in einer WG mit Mitbewohnern, die nicht fasten? Auch für sie sei Ramadan eine Chance, sagt Mehic. Für den Imam ist Ramadan die Zeit, in der man seine persönliche Beziehung zu Gott pflegt. „Die individuelle Spiritualität steht jetzt im Vordergrund.“ Dass das nicht immer leicht ist, weiß der Imam. „Aber vielleicht werden wir diesen Ramadan im nächsten Jahr vermissen.“
Für Maha, die hier nicht mit ihrem echten Namen erwähnt werden möchte, ist in diesem Jahr eigentlich alles wie immer. Die 24-jährige Studentin verbringt Ramadan bei ihrer Familie in Oldenburg. Eigentlich wäre sie gerade in Jordanien, für ein Praktikum. Aber wegen des Coronavirus arbeitet sie jetzt im Home-Office. Anders als Zafer war Maha nie aktiv in der islamischen Gemeinde ihrer Heimatstadt. Ihre Familie ist während des Ramadans selten in die Moschee gegangen, nur manchmal haben sie andere Familienmitglieder besucht. Für Maha war Ramadan schon immer ein Kernfamilienfest.
Das ist er auch dieses Jahr. Mit dem einzigen Unterschied, dass dieses Mal wirklich jeder und jede in der Familie zu Hause ist: ihr Bruder, ihre Schwester, die palästinensische Mutter und der irakische Vater, der eigentlich Atheist ist, aber trotzdem immer mitfastet, der Familie zuliebe. Weil alle zu Hause sind, bleibt viel Zeit für Familienaktivitäten – man kocht viel, betet nach dem Essen zusammen und schaut dann eine Ramadan-Serie.
Dieses Jahr ist die Versuchung nicht so groß
Tagsüber sitzt Maha den ganzen Tag vor dem Computer. Das Fasten fällt ihr leichter als in den vergangenen Jahren. „Normalerweise würde ich mit meinen Freunden Eis essen gehen wollen“, sagt Maha. Dieses Jahr ist die Versuchung nicht so groß. Sie kann sogar darauf verzichten, vor dem Sonnenaufgang zwei Liter Wasser zu trinken. Das hat sie die vergangenen Jahre immer gemacht. In der ersten Woche hat sie einmal verschlafen und danach gemerkt, dass sie auch so gut durch den Tag kommt. „Ich sitze ja vor allem am Schreibtisch und arbeite. Das spart Energie.“ Sie lacht und schiebt ein „Alhamdulillah“ hinterher – Gott sei Dank.
Auch wenn Maha das Morgengebet bei Sonnenaufgang oft verschläft, betet sie fünfmal am Tag. „Zwar nicht immer on time, aber regelmäßig.“ Das macht sie zwar auch, wenn nicht Ramadan ist. Trotzdem befasst sie sich diesen Monat besonders intensiv mit dem Islam. „Deswegen finde ich es nicht so schlimm, dass gerade das Gemeinschaftsgefühl wegfällt.“ Im Ramadan gehe es schließlich um die persönliche Beziehung zu Gott, sagt Maha. Allein sein mit Gott, dafür ist dieser Ramadan der richtige Zeitpunkt.