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Schwangere, dürfen wir uns in euer Essverhalten einmischen?

Her body, her choice – oder darf sich ein*e Partner*in einmischen, weil es ja ums gemeinsame Kind geht?
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe Schwangere, 

Sushi, Salami, Lachs, roher Schinken, Frühstückseier, Rohmilchkäse, nicht ausreichend gewaschener Salat, Käse mit Oberflächenschmiere, Mayonnaise, Tonic Water, Meeresfrüchte, Limonaden, Koffein … Die Liste mit Dingen, die Schwangere angeblich nicht essen oder trinken dürfen, ist sehr lang und mindestens genauso verwirrend. In vielem, was man früher ohne einen Gedanken zu verschwenden in seinen Mund gesteckt hat, warten Listerien, Toxoplasmen und Salmonellen. Unsichtbare Gefahren, die Kind und schwangerer Person schaden könnten.

Und als ob das nicht genug wäre, gibt jede*r andere Auskünfte darüber, was WIRKLICH gefährlich ist und was man sich schon mal gönnen kann. Da gibt es die Boomerin, die erzählt, dass ihr Frauenarzt damals geraten hat, jeden Tag ein Gläschen Sekt zu trinken, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Die Ärztin, die sagt, dass es bei Alkohol und Nikotin wirklich null Toleranz gibt, die aber drei Tassen Kaffee am Tag für unproblematisch hält. Und dann gibt es ganz andere Homepages und Foren, die empfehlen, man solle am besten gar nichts mehr essen.

Sie entschied: „Fuck it, ich bestell mir jetzt den Lachs.“ Wie soll ich mich als Freund in so einer Situation verhalten? 

Das alles führt zu schwierigen Situationen – wie neulich bei mir und meiner Freundin am Frühstückstisch. Die Außengastronomie hatte gerade geöffnet, wir saßen in einem Café. Die Frühstückskarte war extrem gut bestückt – es sei denn, man ist schwanger. Roastbeef, Camembert, Mailänder Salami. Fast jedes Essen hatte mindestens eine „verbotene“ Zutat. Deshalb entschied meine Freundin: „Fuck it, ich bestell mir jetzt den Lachs.“ Wie soll ich mich als Freund in so einer Situation verhalten? 

Klar ist: Nicht ich bin schwanger, sie ist es. Ich kann sie zwar unterstützen, doch ich muss nicht mit den gleichen Einschränkungen leben wie sie. Es ist ihr Körper und ihre Entscheidung. Andererseits ist es auch mein Kind und meine Mitverantwortung, dass es möglichst gesund bleibt. 

Wir waren schon öfter in ähnlichen Situationen. Wachsweiche Eier, Roastbeef, Restaurant-Salat. Das meiste sahen wir ähnlich. Wenn es doch mal Differenzen gibt, versuche ich es mit einem „Sure?“. Meistens bin ich der etwas vorsichtigere Part. Vielleicht auch, weil meine Freundin mit Ende 20 noch nie wirklich krank war und mich die Empfangskräfte in der Notaufnahme zeitweise mit Vornamen begrüßt haben. 

Ich hatte ein ziemlich ungutes Gefühl, weil ich über ihr Essen (mit-)entschieden habe

Diesmal versuchte ich es wieder mit dem „Sure?“, und meine Freundin war sich sicher. Sie wollte jetzt einmal unvernünftig sein, endlich wieder ein Lachsbrot essen. So schlimm kann das ja nicht sein, sagte sie, und das Risiko, dass dem Baby etwas geschieht, sei wirklich extrem gering. Ich war vom Gegenteil überzeugt und hin- und hergerissen zwischen „your body, your choice“ und meiner Rolle als werdendem Vater. Am Ende entschied ich mich, nochmal zu argumentieren, dass geräucherter Lachs wirklich mit zu den riskantesten Lebensmitteln gehört. Letzten Endes hat sie ein Avocado-Omelett gefunden, auf das sie auch Lust hatte, und ich ein ziemlich ungutes Gefühl, weil ich über ihr Essen (mit-)entschieden habe.

Aber wie reagiere ich als Mann in so einer Situation am Besten? Ist es übergriffig, wenn ich mitentscheide, was meine Freundin isst? Sollte ich einfach die Klappe halten? Oder sollte ich das Gewissen sein, das sich in Momenten der Schwäche einschaltet? Und: Würde es helfen, wenn wir auch auf alles verzichten, auf das ihr verzichten müsst?

Sorgenschwangere Grüße,

eure Männer und Co-Eltern

Die Antwort:

Liebe werdende Väter und werdende Co-Elternteile,

Frühstückseier stehen auch auf der Liste??? Danke für diese neue Restriktion in meinem Leben.

Aber zu eurer Frage. Oder nein, erstmal zu etwas Grundsätzlichem, das aber die Basis für die Antwort auf diese Frage ist: Eine Schwangerschaft ist für die schwangere Person gleichzeitig das Ungewöhnlichste, was ihr je passiert ist (immerhin wächst im eigenen Körper ein anderer Mensch, Hilfe!), und das Gewöhnlichste, was ihr je passieren wird (immerhin gäbe es uns alle nicht ohne Schwangerschaften). Das führt dazu, dass wir auf der einen Seite mit diesem Zustand wahnsinnig alleine sind (weil wir das Baby und unseren Körper ja nicht abgeben können), und auf der anderen Seite als Allgemeingut betrachtet werden (alle können sehen, was abgeht, und alle haben dazu eine Meinung). Mit dieser Ambivalenz müssen wir leben und das ist – neben ständigen Wehwechen, einer Wagenladung an Gefühlen, die man bisher nicht kannte, und einem Haufen Bürokratie – manchmal ganz schön herausfordernd. 

Mein erster Rat an euch: Gebt am besten nur einen Rat, wenn ihr danach gefragt werdet

Das von euch angesprochene Thema „Ernährung in der Schwangerschaft“ ist definitiv Teil dieser Ambivalenz. Plötzlich ist man nicht mehr alleine im eigenen Körper, aber wie gesagt sehr alleine mit der doppelten Verantwortung. Man will alles richtig oder zumindest nichts falsch, aber auch nicht alles komplett anders machen als sonst, nur, weil man jetzt einen Prozess durchlebt, der seit Anbeginn der Menschheit immer und immer wieder abgelaufen ist. 

Darum wäre mein erster Rat an euch: Gebt am besten nur einen Rat, wenn ihr danach gefragt werdet. Man hat eh schon die ganze Zeit mit irgendwelchen Entscheidungen zu kämpfen – ab und zu ein herzhaftes „Fuck it, ich bestell mir jetzt den Lachs“ kann da eine Erleichterung sein. Man will dann wirklich einfach nur den Lachs und nicht, dass einem jemand da reinredet. 

Nun habt ihr aber natürlich recht, dass eure Rolle ein bisschen anders ist als die einer x-beliebigen Person auf der Gartenparty, die eine Schwangere für das Glas Sekt in ihrer Hand mit giftigen Blicken bedenkt. Denn es geht hier auch um euer Kind. Wir wissen, dass das auch für euch herausfordernd und eine emotionale Extremsituation ist und sind euch dankbar, wenn ihr nicht erst zu Elternteilen werdet, wenn das Baby geschlüpft ist. Immerhin werden wir in den kommenden Jahren gemeinsam noch eine Menge schwierige Entscheidungen treffen müssen. Darum hier ein Tipp für Einmischung, die sinnvoll sein kann: Wir brauchen keine gut gemeinten, aber unqualifizierten Ratschläge („Hab ich mal gehört / Macht man nicht / Würde ich nicht essen“), sondern belastbare Informationen. Wenn ihr einen Beleg dafür habt, dass geräucherter Lachs wirklich besonders riskant ist, gerne her damit! (Disclaimer für alle anderen Menschen: Das gilt wirklich nur für die Partner*innen der Schwangeren und nicht für euch!)

Vielleicht hilft euch an der Stelle auch ein Buch, das mir (und meinem Partner) sehr geholfen hat: „Expecting Better“ von Emily Oster. Die ist Ökonomin und liebt Zahlen. Darum hat sie zu sämtlichen Schwangerschaftsmythen und -regeln – von „Man kann das Geschlecht an der Bauchform ablesen“ über Alkohol-, Koffein- und Nikotin-Verbot bis hin zu Schmerzmitteln unter der Geburt – Studien zusammengetragen und sie auf ihren Wahrheitsgehalt bzw. Risiken überprüft. Damit Schwangere gut reagieren, argumentieren und informierte Entscheidungen treffen können. Und genau das wollen wir, egal, ob es um einen ungefragten Kommentar, ein Stück Käse oder eine Periduralanästhesie geht. 

„STOPP!“, das könnt ihr dann rufen, wenn die schwangere Person sich hemmungslos betrinken oder ein rohes Steak verschlingen will

Trotzdem gibt es einen weiteren Grund, bei der ganzen Ernährungschose vielleicht doch lieber den Mund zu halten: Denn deine Freundin hat Recht und das Risiko, dass eine kleine Menge eines einzigen Lebensmittels eurem Kind schadet, ist unfassbar gering – vor allem im Vergleich zu der Panik, die darum gemacht wird. Das sieht man alleine daran, dass es sehr leicht ist, verzweifelte Schwangerschaftsforen-Beiträge à la „OH MEIN GOTT ICH HABE EIN NICHT GANZ DURCHGEBRATENES STEAK / LACHSBRÖTCHEN / STÜCK ROHMILCHKÄSE GEGESSEN UND DANN HAT XY GESAGT, DASS DAS GEFÄHRLICH IST, WAS MACHE ICH JETZT???“ zu finden, Berichte über Listerien- oder Toxoplasmose-geschädigte Neugeborene aber kaum existieren. „STOPP!“, das könnt ihr dann rufen, wenn die schwangere Person sich hemmungslos betrinken oder an einem Marktstand mit beiden Händen nach einem rohen Steak greifen und es in einem Stück verschlingen will. In beiden Fällen liegt aber womöglich neben dem Risiko für das Kind noch ein anderes Problem vor und die Person braucht dringend Hilfe. Und ob es uns etwas bringen würde, wenn ihr auf alles verzichtet, auf das wir verzichten (müssen oder sollen)? Das ist wohl eine Typfrage, aber ich persönlich würde sagen: Nö. Esst und trinkt, was ihr wollt. Es gibt nichts Schöneres, als das tun zu können.

Zum Schluss ein kleines „Geständnis“: Ich habe seit Beginn der Schwangerschaft schon mehrere wachsweiche Eier und sehr viel Salat gegessen, den ich nicht selbst gewaschen habe, trinke regelmäßig Kaffee, habe einen Wein und ein Bier probiert (jemand hat Kölsch und Alt zusammengebraut, das fand ich zu interessant) und auch ansonsten vermutlich gegen sehr viele „Regeln“ verstoßen, die ich nicht mal kenne. Und bisher tritt das Baby fröhlich vor sich hin und verdrängt meine inneren Organe an Stellen, an die sie eigentlich nicht gehören. Die Lösung ist vermutlich, wie so oft (und wie vermutlich fast immer, wenn es um Elternschaft und Kinder geht): Vertrauen. Darum lasst uns einen Deal machen: Wir vertrauen in unseren Körper und das Kind da drin – und ihr auch. Okay?

Eure sich täglich nach weichem Rohmilchkäse sehnenden, aber in eurem, unserem und des Babys Sinne natürlich auch ein bisschen vorsichtig agierenden Schwangeren

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