- • Startseite
- • Politik
-
•
Nationalratswahl Österreich: Die Rolle der Grünen
Singend und tanzend schiebt sich die Menschengruppe durch die enge Barnabitengasse im 6. Wiener Gemeindebezirk. Sie wird sich in dieser einzigartigen Konstellation wohl nicht wieder zusammenfinden. Unter den Demonstranten sind vor allem Schüler und Studenten, aber auch: Anzugträger, Senioren, Unternehmer. Es ist ein kleiner Querschnitt der Gesellschaft, der am Freitagnachmittag, am Tag des großen Klimastreiks, in Richtung der Mariahilferstraße zieht, einer der Haupteinkaufsmeilen in Wien. Etwa 300 Leute sind zu diesem Demonstrationszug gekommen, es ist eine der 25 Veranstaltungen, die „Fridays for Future Wien“ im ganzen Stadtgebiet organisiert hat.
„Hoch für den Klimaschutz ...“, skandiert die Menge, steht dabei auf und hebt die Hände, „... runter mit der Hitze“, geht es weiter, alle gehen in die Knie. Ein paar Minuten geht das so, dann setzt sich die Karawane wieder in Bewegung, vor der Mariahilferkirche bildet sie einen Halbkreis. Erst einmal ein wenig Luft holen.
Den Grünen ist Abstand zwischen „Fridays for Future“ und der eigenen Partei wichtig
Unter den Demonstrierenden ist auch Sigrid Maurer, Kandidatin der Grünen für den Nationalrat bei der Wahl am kommenden Sonntag. Am Tag danach wird sie twittern, dass sie ein wenig Muskelkater von dem Rauf und Runter habe. Kurz nach der Demo aber steht ihr erst einmal die Freude über den Protest von „Fridays for Future“ ins Gesicht geschrieben. „Die Herangehensweise der Proteste ist kreativ, freundlich – ich finde sie unheimlich beeindruckend“, sagt Maurer, 34, beim Gespräch in einem Café in der Nähe.
Der Politikerin ist Protest nicht fremd: Als Vorsitzende der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) handelte sie sich 2010 einmal ein Hausverbot im Parlament ein, weil sie mit einigen Mitstreitern die Besuchergalerie gestürmt, Flugblätter verteilt und „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut“ skandiert hatte. Dennoch: Ein wenig Abstand zwischen den Fridays und den Grünen ist ihr wichtig. „Mir ist es ein Anliegen, dass wir ,Fridays for Future‘ nicht in irgendeiner Form vereinnahmen“, sagt sie: „Das ist ein eigenständiger Protest und das soll auch unbedingt so bleiben.“
Dass die österreichischen Grünen der globalen Bewegung dennoch einiges zu verdanken haben, ist Maurer klar: „Wir müssen selbstkritisch sagen, dass wir die Dringlichkeit des Themas viele Jahre nicht so auf den Tisch gebracht haben wie ,Fridays for Future‘ es heute macht.“ Die Grünen mussten in Österreich einen teuren Preis für diese Versäumnisse bezahlen. Vor der vergangenen Nationalratswahl im Jahr 2017 spaltete sich die Partei erst und verpasste dann den Einzug in den Nationalrat. Die Partei, für die Maurer von 2013 bis 2017 parlamentarische Arbeit geleistet hatte, befand sich plötzlich im politischen Niemandsland.
Könnte es zu einer Koalition zwischen Grünen und ÖVP kommen?
Zwei Jahre und eine gescheiterte türkis-blaue Regierung später stehen die Grünen nun vor einem Comeback. Unklar ist eigentlich nur noch, wie stark sie wirklich werden. Aktuelle Umfragen prognostizieren zwischen elf und zwölf Prozent. Die Grünen profitieren in Österreich vom globalen Bewusstsein für mehr Klimaschutz. Aber auch von einem Spitzenkandidaten, dessen politischer Stil sich von dem seiner Mitbewerber unterscheidet.
Auch in Wien streikten am Freitag viele Menschen für mehr Klimaschutz.
Werner Kogler, der nach der Wahlschlappe 2017 zum Parteisprecher wurde, ist so etwas wie der Gegenentwurf zu Sebastian Kurz: Kogler ist 57, tritt zum ersten Mal als Spitzenkandidat an und im Kontrast zu Kurz trägt Kogler in TV-Duellen weder Sakko noch Krawatte. „Ihm geht es um die Sache, nicht um sich selbst als Person“, sagt Maurer.
In einer Woche werden die Grünen höchstwahrscheinlich die Frage beantworten müssen, ob sie sich eine Koalition mit der ÖVP vorstellen können. Denn rein rechnerisch könnte es die Möglichkeit durchaus geben. Maurer verweist zwar auf die Verantwortung, die man in so einem Fall hätte, bleibt allerdings realistisch: „Diese ÖVP ist so weit von ihren ursprünglichen christlich-sozialen Werten und echter Klimapolitik entfernt, dass eine Zusammenarbeit schwer vorstellbar ist.“
Die Klima-Aktivistinnen Anna und Janina haben ohnehin ganz andere Vorstellungen: „Es sollen sowieso alle Parteien zusammenarbeiten für den Klimaschutz und nicht nur Wahlkampf machen“, sagen die beiden, die gerade noch hüpfend und schreiend die Demonstrierenden animiert haben. Beide gehen noch zur Schule, seit Anfang des Jahres engagieren sie sich im Organisationsteam von „Fridays for Future Wien“, das vor kurzem seinen ganz eigenen Beitrag zur Wahl lieferte: Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien traten in der TU Wien zur Klimaprüfung an, Wissenschaftler vergaben Noten für die Parteiprogramme. Die Grünen und die Neos erhielten die besten Noten, die ÖVP gemeinsam mit der FPÖ die schlechtesten. „Wir wollten für die Wählerinnen und Wähler Transparenz schaffen, damit sie wissen, was sie bekommen“, sagt Janina, Anna ergänzt: „Es können sich aber alle noch verbessern.“
Bis dahin kämpfen die Klimaaktivisten weiter. Am Ende der großen Klimaschutz-Demo gibt es auf dem Heldenplatz in der Wiener Innenstadt eine Abschlusskundgebung. Es werden Lieder gesungen, aber auch Reden mit deutlichem Bezug zur Wahl gehalten – den österreichischen Organisatoren von „Fridays for Future“ ist durchaus bewusst, dass sie mit ihrem Protest nicht nur auf lange Sicht, sondern schon in der kommenden Woche Einfluss nehmen können. Auch Anna und Janina sind dabei, sie skandieren nun immer wieder den einen Spruch, den Sigrid Maurer noch von früher kennen dürfte: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut.“
Mehr Österreich jeden Freitag im Österreich-Newsletter. Alle Infos und kostenlose Anmeldung: sz.de/oesterreich