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Kommentar: Wir brauchen den „Leave Quietly“-Button von Clubhouse auch im echten Leben
Langsam vermisse ich Partys. Das liegt auch daran, dass die Erinnerung an meine letzte mittlerweile schon etwas verklärt ist. Aber eins vermisse ich nicht: den zum Scheitern verurteilten Versuch, im richtigen Moment die Party zu verlassen – und das auch noch auf die richtige Art. Beim Party-Abgang bestehen nämlich in der Regel zwei Gefahren. Erstens: dabei gezwungenermaßen Gespräche zu unterbrechen, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, schlimmstenfalls noch in „Och nö, bleib doch noch!“-Überredungsversuche verwickelt zu werden. Zweitens: als unhöflich dazustehen, weil man sich stattdessen heimlich weggeschlichen hat. Beides ist unangenehm. Immer.
In der neuen App Clubhouse gibt es allerdings eine Funktion, die zumindest in digitalen Räumen den perfekten Abgang ermöglicht: den „Leave Quietly“-Button. Und der ist bislang auch das Einzige, womit ich bei dieser gerade so gehypten App etwas anfangen kann. Denn wenn man auf den Button klickt, kann man das Fenster eines Talks schließen, ohne dass irgendwer eine Benachrichtigung bekommt, dass man nicht mehr teilnimmt – anders als in Videokonferenzen.
Dass die App abgesehen davon Unbehagen in mir auslöst, liegt vor allem daran, für wen sie gemacht zu sein scheint. Es erhalten nämlich nur diejenigen einen Zugang, die ein Iphone besitzen – und die eine Einladung bekommen (ich fühle heftige Elite-Vibes). Oft wurde auch kritisiert, dass gehörlose Menschen nicht partizipieren können (auch das finde ich persönlich nicht gerade unterstützenswert). Denn die App ist fürs Networking und Austauschen via Audio konzipiert: Nutzer*innen kreieren digitale Talk-Räume, in denen sie miteinander über Themen ihrer Wahl sprechen. Es handelt sich also um so etwas wie „ungezwungene“ Live-Podcasts, mit drei Möglichkeiten der Partizipation: sprechen, moderieren oder zuhören. Und das, während dabei alle Menschen im jeweiligen Raum mit Icon und Namen sichtbar sind. Um ihn zu verlassen, gibt es unten links einen Button, auf dem steht: „Leave Quietly“.
Was, wenn eine*r der Sprecher*innen mich entdeckt und dann plötzlich aufruft?
Clubhouse scheint die Wohlfühloase der Extrovertierten zu sein. Diejenigen, die meinem Eindruck nach dabei nämlich so richtig aufgehen, sind vor allem: Menschen, die super outgoing sind, gerne networken und es selbstverständlich schaffen, Redezeit und die digitale Bühne für sich zu beanspruchen. Das bin ich alles meistens nicht. Ist ja auch nicht schlimm, ich konnte dort trotzdem dem einen oder anderen spannenden Talk lauschen. Aber ausgehalten habe ich auch das nie besonders lang. Denn in Clubhouse passiert vieles auch ganz spontan. Mal wird jemand der Zuhörer*innen angesprochen und auf die Bühne gebeten. Mal kann man sich melden und mitsprechen. Das mobilisiert bei mir so einige soziale Ängste. Meine Rettung ist dann: der „Leave Quietly“-Button.
Was, wenn irgendwer auf die Idee kommt, eine spontane und ungezwungene Umfrage mit dem Publikum zu machen? Zack: „Leave Quietly“. Was, wenn ich mich aus Schusseligkeit versehentlich melde und drangenommen werde? Leaving quietly. Was, wenn eine*r der Sprecher*innen mich entdeckt und dann plötzlich aufruft? Aber so was von „Leave Quietly“!!!
Ich bin schon auf einigen Partys bis zum Schluss geblieben, nur um keinen unangenehm Abgang machen zu müssen
Wie erleichternd wäre es doch, wenn es diesen Button auch in Wirklichkeit gäbe. Denn die Gesprächsdynamiken von Veranstaltungen, wie sie da gerade bei Clubhouse stattfinden, sind der Real-Life-Version sehr ähnlich. Manche sprechen gerne in großer Runde und entertainen. Manche hören lieber zu. Andere sind die neugierigen Fragesteller*innen und wieder andere sprechen nur dann, wenn sie explizit angesprochen werden. Aber das, was es auf den analogen Veranstaltungen nicht gibt: ein sozial verträgliches Äquivalent zum „Leave Quietly“-Button.
Ich bin schon auf einigen Partys bis zum Schluss geblieben, nur um keinen unangenehm Abgang machen zu müssen. Selbst wenn ich extrem müde oder gelangweilt war und fast meine letzte Bahn verpasst hätte. Ich bin geblieben, weil die Vorstellung des verunglückten Abgangs beängstigender war, als nachts 40 Minuten zu Fuß nach Hause zu stiefeln. Auch bei anderen Veranstaltungen, wie Workshops oder Podiumsdiskussionen, gibt es das Problem: Wer sich mittendrin raus schleicht, könnte damit den unbeabsichtigten Eindruck erwecken, keinen Bock mehr zu haben – und damit gegenüber den Veranstalter*innen beleidigend wirken. Aber einfach aufzustehen, alles zu unterbrechen mit einer Begründung wie „Ich gehe jetzt, aber hat nichts mit euch zu tun“ ist definitiv noch unangebrachter.
Der Button macht uns die eigene Anwesenheit im digitalen Raum überhaupt erst bewusst
Das Schöne und gleichzeitig Seltsame am „Leave Quietly“-Button ist auch, dass es bei Clubhouse keine Alternative dazu gibt. Er ist die einzige Möglichkeit, dort einen Raum zu verlassen. Dabei hätte es ja auch ein „X“ in der rechten oberen Ecke getan – Tab zu uns raus aus dem Gespräch. Aber ich glaube, dass der Button eine ganz bestimmte Funktion erfüllt: Er macht uns die eigene Anwesenheit im digitalen Raum überhaupt erst bewusst. Und simuliert dabei das Gefühl, bei einer „echten“ Veranstaltung zu sein. Und so lässt sich vielleicht auch ein Stück weit der Hype erklären. Denn auch wenn ich bei einem Clubhouse Talk nur zuhöre und mich nicht aktiv beteilige, gibt mir der „Leave Quietly“-Button zu verstehen: Du bist gerade eine Person in diesem Raum, du bist „dabei“ – also mach keinen Krach, wenn du gehst. Und das Gefühl, wirklich irgendwo dabei zu sein, ob bei einer Party oder einer Konferenz, vermissen gerade sehr viele Menschen.
Doch während es bei Clubhouse keine Alternative zum leisen, unkomplizierten Abgang gibt, gibt es auf echten Veranstaltungen kaum eine zum komplizierten, aufsehenerregenden. Für die hoffentlich bald eintretende Post-Pandemie-Zeit wünsche ich mir also, dass wir eine Art und Weise etablieren, sozial anerkannt und leise Veranstaltungen und Partys zu verlassen. Und in der Zwischenzeit könnten wir das vielleicht schon mal bei allen möglichen Videokonferenzen und Zoom-Partys üben. Auch da ist es nämlich tückisch, einen eleganten Abgang hinzulegen. Man könnte sich zum Beispiel darauf verständigen, dass alle Teilnehmer*innen guten Gewissens und ohne Verabschiedungsritual verschwinden dürfen. Ich will nämlich kein digitales Clubhouse – ich will einen analogen „Leave Quietly“-Button!