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Warum der Begriff „Guilty Pleasure“ Quatsch ist

Illustration: Julia Schubert

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Guilty Pleasure heißt auf Deutsch „schuldiges Vergnügen“ und allein das finde ich schon ausgesprochen dämlich. Der Begriff, der ein bisschen wie ein ranziger Stripclub auf St. Pauli klingt, beschreibt, was ein Mensch mag, aber ihm gleichzeitig auch sehr peinlich ist, weil es von der Mehrheit der Gesellschaft als schlechter Geschmack angesehen wird. Warum aber sollte uns ein Vergnügen peinlich sein, wenn es nicht zum Beispiel moralisch falsch oder gesetzlich verboten ist? Der Begriff Guilty Pleasure ist so etwas wie eine Entschuldigung für den eigenen Geschmack. Dieses Wort ist eine neutrale Zone, in die man sich begibt, um sicher zu sein. Sicher vor der Kritik am eigenen Geschmack. Wenn ich sage, Musik von Abba ist mein Guilty Pleasure, dann mache ich mich damit unangreifbar, denn – es ist ja nicht mein „wirklicher“ Geschmack, es ist ja nur mein „schuldiges Vergnügen“.

Wer sagt, etwas sei sein Guilty Pleasure, der traut sich nicht offen zu sagen, was er gut findet. Bloß nicht angreifbar machen, immer schön auf Linie bleiben – dann wird einem schon nichts passieren. Guilty Pleasures sind wie ein Airbag für das, was wir gut finden. Damit sagen wir selbst, dass das, was wir mögen, nicht in die gesellschaftliche Auffassung von „cool“ passt – und das ist das Problem. Wir sollten uns nämlich für nichts schämen, was wir mögen. Wir sollten dazu stehen. Denn sogenannte Guilty Pleasures sagen viel über einen Menschen aus. Nehmen wir mal das Beispiel Musik. Musikgeschmack kann einem unglaublich viel über einen Menschen verraten. Wenn jemand findet, „American Idiot“ von Green Day sei das beste Album der Welt, dann muss das ja nicht automatisch heißen, dass diese Person keine Ahnung von Musik hat.

Klar, „American Idiot“ ist musikalisch gesehen wirklich nicht die große Kunst, eher weichgespült poppig als punkig und die Lyrics sind unglaublich naiv. Aber vielleicht ist das Album aus anderen Gründen für diese Person das beste Album der Welt. Vielleicht heißt das, dass diese Person in der fünften Klasse zum ersten Mal verliebt war und ihr der Song „Boulevard Of Broken Dreams“ durch diese von Hormonen geplagte Zeit geholfen hat. Vielleicht heißt es, dass Green Day die erste Band war, die diese Person je live gesehen hat, oder dass sie zu „Wake Me Up When September Ends“ zum ersten Mal rumgeknutscht hat. Dass sind alles Dinge, die ich von einem Menschen hören möchte, weil es sehr viel über die Persönlichkeit aussagt. Und wenn das alles hinter dem schützenden Begriff „Guilty Pleasure“ verpackt wird, wertet das diese wichtigen Teile einer Persönlichkeit ab.

Es gibt auch Fälle von Guilty Pleasure, bei denen der Begriff moralisch fragwürdigen Geschmack entschuldigen soll. Nehmen wir mal das Beispiel „Germany's Next Topmodel“. Menschen sagen, dass sie die Sendung mögen, ihnen das aber peinlich ist, weil sie eigentlich wissen, dass dort seit Jahren das Körperbild junger Mädchen zerstört wird. GNTM ist für diese Leute ein Guilty Pleasure, man schämt sich für etwas, das man mag. In diesem Fall nimmt uns der Begriff die Chance, über die moralische Fragwürdigkeit der Sendung zu diskutieren. Die eine sagt: „Wie kannst du das nur gucken, es ist doch scheiße, wenn junge Frauen nach dem Körperbild einer Barbie-Puppe aussortiert werden, als wären sie verfaulte Äpfel im Supermarkt.“ Die andere sagt: „Ach, nicht so schlimm, ist ja eh nur mein Guilty Pleasure.“ Ende der Diskussion. Wenn wir alles, was irgendjemandem peinlich ist, unter die schützende Hülle des Guilty Pleasure packen, stirbt dabei oft der Diskurs. Moralisch fragwürdige Musik, TV-Shows oder Filme werden dann nicht mehr kontrovers diskutiert, weil man sie augenscheinlich ja eh nicht ernst nimmt.

Deshalb: Weg mit dem Begriff „Guilty Pleasure“. Wir sollten alle zu dem stehen, was wir mögen – und dafür im Zweifel auch mal einen schiefen Blick einstecken oder eine Diskussion auf uns nehmen.

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