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Warum unbezahlte Praktika die Welt ein bisschen ungerechter machen
Studium oder Ausbildung sind fertig - und dann? Was Frauen beim Berufseinstieg beschäftigt, lest ihr im Karriereschwerpunkt „Aufsteigerinnen“ von jetzt und Plan W, dem Frauenwirtschaftsmagazin der Süddeutschen Zeitung. Alle Texte des Schwerpunktes findet ihr hier. PS: Ja, es geht auch um Geld.
Mit der Aussicht kommt auch das schlechte Gewissen: Wenn ich nach links aus dem Fenster schaue, kann ich bei gutem Wetter die Alpen sehen. Das ist fantastisch, aber ich muss dann auch immer daran denken, wie ich überhaupt in dieses Büro gekommen bin. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich ausschließlich aufgrund harter Arbeit hier sitze. Aber dabei würde ich ein ziemlich großes Privileg unterschlagen.
Denn bevor ich hier sitzen konnte, habe ich Praktika gemacht. Um Berufserfahrung zu sammeln, die für meinen Job vorausgesetzt wird. Viele Praktika. Ich bin für wenige Monate in verschiedene Städte gezogen, habe Vollzeit gearbeitet und wurde mit einer Aufwandsentschädigung vergütet, die mir nicht einmal das zwischengemietete WG-Zimmer bezahlte, geschweige denn für das Essen in meinem Bauch reichte. Die Praktika waren nicht unbezahlt – immerhin –, aber trotzdem ging das alles nur, weil meine Eltern mich finanziell unterstützten. Ohne diese Unterstützung hätte ich meinen jetzigen Job sicher auch nicht.
Ich könnte mich natürlich darüber freuen: Läuft bei mir. Wozu das schlechte Gewissen, hättet ihr ja auch alle so machen können? Aber Eltern zu haben, die sich die prekären Ausbildungsverhältnisse ihrer Kinder leisten können, ist keine Qualifikation. Sie wird allerdings zu einer, wenn Praktika unbezahlt sind.
Eigentlich müssten auch Unternehmen ein Interesse daran haben, nicht die privilegiertesten Praktikantinnen und Praktikanten zu bekommen
Eigentlich sind Praktika dafür da, junge, engagierte Menschen zu fördern und ihnen eine berufliche Perspektive zu geben. Wenn Praktika nicht bezahlt werden, ermöglichen sie das jedoch nur den sozial bessergestellten Bewerberinnen und Bewerbern. Das ist tatsächlich ein wenig absurd, denn eigentlich müssten auch Unternehmen ein Interesse daran haben, nicht die privilegiertesten Praktikantinnen und Praktikanten zu bekommen, sondern die vielversprechendsten. Natürlich schließt das eine das andere nicht aus, aber die Wahrscheinlichkeit, dass beides immer und ausschließlich zusammenfällt, ist relativ gering.
Die Unternehmen begründen unbezahlte Praktika oft damit, dass sie nicht mit einem Vollzeitjob vergleichbar wären. Stattdessen dürften die jungen Menschen sich hier ausprobieren und das bedeute nun mal oft auch Arbeit für das Unternehmen. Das mag manchmal stimmen, oft machen Praktikanten und Praktikantinnen aber einfach die gleiche Arbeit wie ihre Kollegeninnen und Kollegen. Nur dass die dafür Geld bekommen.
Es gibt natürlich bereits einige Unternehmen, die sich um mehr soziale Gerechtigkeit bemühen, aber längst nicht genug. Auch, weil es eben nicht reicht, einfach nur diverse Praktikantinnen und Praktikanten haben zu wollen. Die gibt es erst, wenn Praktika bezahlt werden, sodass sie sich auch Menschen ohne finanzielle Unterstützung von zu Hause leisten können. Es braucht mehr staatliche Initiativen, die Praktika fördern und auch mehr unternehmensinterne Maßnahmen, die die sozialen Hintergründe ihrer Bewerber und Bewerberinnen berücksichtigen.
Niemand, der es sich theoretisch „leisten könnte“, sollte mehr unbezahlte Praktika machen
Das einzig Vernünftige wäre nun zu fordern, dass Unternehmen grundsätzlich alle Praktika vergüten müssen. Allerdings werden sie das ohne politischen Druck vermutlich nie tun, weil es immer jemanden gibt, der ausreichend vermögend ist, das Praktikum auch unbezahlt zu machen. Das setzt wiederum alle anderen unter Druck: „Natürlich möchte ich meine Rechnungen gerne selbst bezahlen können. Aber wenn ich das Praktikum nicht mache, machen es zehn andere. Mit Handkuss.“ So kann niemals ernsthafter Widerstand entstehen, denn am Ende dreht sich eh alles nur um den Eintrag im Lebenslauf: Praktikum gemacht. Glück haben also diejenigen, die genug anderes Geld haben, um sich unter Wert zu verkaufen.
Die Verantwortung, dieses System zu ändern, liegt also nicht nur bei den Unternehmen: Niemand, der es sich theoretisch „leisten könnte“, sollte mehr unbezahlte Praktika machen – egal wie großartig das Unternehmen ist. Denn jedes Mal, wenn jemand ein unbezahltes Praktikum macht, wird die Welt ein Stückchen ungerechter. Gleichzeitig müssen unbezahlte Praktika ein Lebenslauf-No-Go sein. Es braucht ein kollektives, branchenübergreifendes, „Oh, Sie haben ein unbezahltes Praktikum gemacht? Das finden wir nicht gut!“
Dabei muss die Vergütung nicht zwangsweise auf Mindestlohnniveau sein. In der Konsequenz würde es dann nämlich weniger Praktikumsplätze geben und kleinere Unternehmen wären im Nachteil. Aber gar nichts zu zahlen, darf nicht mehr möglich sein. Es muss ein grundsätzliches Verständnis für die unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen geschaffen werden – zum einen von Unternehmerseite, aber auch von Seiten der Bewerberinnen und Bewerber. Sie müssen offen darüber sprechen, Hilfe einfordern und wissen, dass es okay ist, genau das zu tun.
Transparenzhinweis: Bei jetzt werden Praktikantinnen und Praktikanten mit 400 Euro im Monat vergütet.
Dieser Text wurde das erste Mal am 4.6.2019 veröffentlich. Er wurde am 29.09.2020 erneut publiziert und dafür aktualisiert.