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Wir sollten offener über Geburten reden

Foto: photocase/life is live

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Emilia Smechowski schrieb in der taz einen sehr lesenswerten Text zum Umgang mit dem Thema Geburt. Unter anderem heißt es darin:

„Wir wollen heute offen sein. Wir sprechen über Orgasmusschwierigkeiten, fragen unsere Freundin, wie schmerzhaft das Tattoostechen war oder das Bikini-Waxing. Wenn eine Doku über Hirn-OPs läuft, schauen wir fasziniert zu. Wir leben im 21. Jahrhundert, eine aufgeklärte Gesellschaft, die verstehen will, was sie nicht versteht. Worüber wir schweigen: über die Geburt. Bis heute ist sie ein Mythos geblieben.“

Mein erster Gedanke war: Stimmt nicht. Ich habe schon mehr detaillierte Geburtsschilderungen bekommen, als ich zählen kann. Die Bandbreite reicht von „Ich hatte vier wunderbare Hausgeburten“ bis hin zu blutigen Dramen, bei denen ohne moderne Medizin Kind, Mutter oder gar beide den Kreißsaal nicht lebend verlassen hätten. Ich kenne Geschichten mit Dammschnitt oder mit Globuli, von zu starken und zu schwachen Wehen, von einer 30-minütigen Sturzgeburt und einer, bei der sich nach 40 Stunden immer noch nicht genug getan hatte. Ich kenne Frauen, die hatten Notkaiserschnitte, andere hatten Wunschkaiserschnitte, manche brauchten eine Doula, viele andere eine PDA. Hört sich so Schweigen an? Ist das ein Mythos? Nö.

Über Geburt reden? Nur mit anderen Müttern

Doch dann überlegte ich, welche Frau mir wann ihre Geschichte erzählt hat und mir fiel auf, dass offene Gespräche über Geburt nur an bestimmten Orten und in einem sehr begrenzten Zeitfenster stattfinden. Im Rückbildungskurs nämlich oder beim Nachtreffen vom Geburtsvorbereitungskurs. Je länger die Geburt her ist, desto unwahrscheinlicher wird ein Gespräch darüber. Wer bei solchen Kursen anwesend ist, ist jedoch schon Mitglied im „Ich habe geboren“-Club. Da hat man als Frau nicht mehr viele Fragen, dafür selbst umso mehr zu erzählen. Mit (noch) Kinderlosen im Detail über die Geburt sprechen? Hier gebe ich Emilia Smechowski uneingeschränkt recht: Hier herrscht Schweigen.

Deswegen dürfen – ja, sollen – Menschen, die Eltern werden wollen, hier weiterlesen. Denn jetzt schreibe ich über die Geburt meines ersten Kindes und versuche dabei, weder das Bullshit-Klischee „Wenn du dein Baby im Arm hast, sind alle Schmerzen vergessen“ zu bedienen noch mich am ebenfalls verbreiteten „Bei mir war’s übrigens noch viel krasser“-Wettbewerb zu beteiligen.

Falls Triggerwarnungen nötig sind: Blut und Körperflüssigkeiten fließen, weh tut’s auch. Sonst passiert nix Schlimmes. Wir reden über eine unkomplizierte Spontangeburt und einen unauffälligen Einling (und für die, die noch nicht so im Thema drin sind: „unauffällig“ ist normalerweise ja kein Lob – in der Schwangerschaft jedoch das Wort, das ihr bei jeder Vorsorgeuntersuchung hören wollt).

Die Fakten:

Dauer: Ziemlich genau zwölf Stunden (gerechnet von der ersten Wehe bis zur Geburt des Babys). Beginn: 1.30 Uhr. Geburtszeit: 13.45 Uhr.

Art: Spontangeburt; 3030 Gramm; 49cm; Kopfumfang: 35 cm.

Gebärposition: Kniend. (Ich weiß wirklich nicht, warum in Filmen alle ihre Kinder im Liegen bekommen. Das geht nicht! Das geht wirklich nicht!! Während der Geburt habe ich zwischendurch mal Ibuprofen bekommen und dafür musste ich liegen – eine ganz schreckliche Viertelstunde.)

Meine größte Angst: Dammriss!

Die größte Überraschung: Geburt ist langweilig. Zumindest die ersten Stunden. Da kam so eine Wehe nach der anderen, und ja, die schmerzten auch ordentlich – doch zwischendurch passierte überhaupt gar nichts und es tat auch nichts weh. Die ersten acht Stunden waren die Wehenpausen noch zwischen fünf und zehn Minuten lang, da passte immer prima ein Sudoku oder eine Runde Mahjong rein.

Meine größte Angst: Dammriss! Ein Riss zwischen Scheide und Anus, das stellte ich mir vor der Geburt fürchterlich schmerzhaft vor und hätte ich gewusst, dass sowas passieren kann, hätte ich mir das mit dem Kind vielleicht überlegt. Aber ich habe erst während der Schwangerschaft damit begonnen, mich einzulesen.

Und, ist das passiert? Ja. Passiert meines Wissens den meisten. Laut Arztbrief ein „Dammriss 1. Grades“, also ganz klein. Hätte mich allerdings direkt nach der Geburt jemand gefragt, ob ich glaube, dass was gerissen ist, hätte ich geantwortet: „Klar – vom Bauchnabel bis zum Steißbein ist alles kaputt!“ Denn so fühlte es sich an.

Meine zweitgrößte Angst: Ich hatte in einem Ratgeber gelesen, dass jede zehnte Frau beim Gebären kackt, weil der Babykopf den Stuhlgang mit nach draußen schiebt. OMG, wie peinlich! Das sollte auf keinen Fall passieren.

Und, ist das passiert? Keine Ahnung. Am Anfang bin ich noch nach jeder Wehe zur Toilette gerannt, weil sich Gebären nunmal nach Stuhlgang anfühlt und ich eben Panik hatte, dass hier etwas passiert, was unter allen Umständen zu vermeiden ist. Irgendwann hatte ich dafür allerdings keine Zeit mehr – und nach der Geburt war der ganze Kreißsaal voller Blut, Schleim, Gewebe oder wasauchimmer. Ob da auch Stuhlgang dabei war? Auf jeden Fall der meines Babys. Dessen erste Handlung auf dieser Welt war es, mir auf den Bauch zu kacken. Peinlich war mir in dem Moment überhaupt nichts mehr.

Lustigster Moment: Pressphase. Ich hatte große Schmerzen und schrie die ganze Zeit „Es geht nicht!“ und „NEIN!“, während die Hebamme versuchte, mir eine positivere Einstellung einzureden, ich solle lieber „JA!“ schreien. Aber danach war mir nicht, eher nach heimgehen und das verkündete ich irgendwann auch.

Das war der Moment, in dem mein Mann – ganz filmreif – in Ohnmacht fiel

Dann platzte meine Fruchtblase. Dabei platschen zwischen einem und zwei Liter Fruchtwasser auf einmal raus und weil die Geburt schon in vollem Gange war, war da auch ein bisschen Blut dabei.

Vermischt mal 100 Milliliter rote Flüssigkeit mit zwei Litern Wasser und spritzt es durch den Raum: Es sieht ziemlich spektakulär aus und vor allem nach literweise Blut. Das war der Moment, in dem mein Mann – ganz filmreif – in Ohnmacht fiel. Was für ein Klischee! Er behauptet heute noch, er sei eben unterzuckert gewesen.

Schlimmster Moment: Diese Viertelstunde im Liegen – siehe oben.

Zweitschlimmster Moment: Die vorletzte Wehe. Der Moment, wenn das Köpfchen draußen, das restliche Baby aber noch drinnen ist. Ja, so ein paar Babyschultern im Becken, das fühlt sich GENAUSO schmerzhaft, seltsam und anatomisch völlig unmöglich an, wie du es dir gerade vorstellst. Das Gute an diesem Moment ist aber: Danach ist die Geburt vorbei. Und dieser Moment ist kurz.

Allerschlimmster Moment: Nach der Geburt. Es war geschafft, ich hatte es geschafft, die Schmerzen überstanden, mein Baby im Arm – HURRA! Da sagte die Ärztin zu mir: „Jetzt kommt die Nachgeburt, Sie müssen noch ein letztes Mal pressen. WHAT!?“ 

Nach der Geburt ist es noch nicht vorbei mit Aua

Ich presse nicht mehr, nie nie nie mehr, das können Sie total vergessen, die Plazenta bleibt DRIN! Dachte ich mir so. Gesagt hab ich nur „Nein!“, aber da tat mein Körper schon, was er tun musste und ich erlebte diese Wehe, die Geburt des Mutterkuchens, der im Vergleich zum Babykopf superweich ist und eigentlich gar nicht mehr schmerzt, als absolute Zumutung. Ich war doch schon fertig gewesen!

Und dann musste ich auch noch genäht werden. Und dann tat das Stillen weh. All das sind zwar Schmerzen, die pillepalle sind im Vergleich zum Geburtsschmerz. Doch auf den war ich gefasst und der Hormoncocktail, den mein Körper zeitgleich produzierte, brachte mich da überraschend gut durch. Dass es danach noch nicht (ganz) vorbei ist, hatte mir niemand verraten und ich bin heute noch beleidigt deswegen. Sollte also noch jemand mitlesen, der noch nicht geboren hat: Nach der Geburt ist es noch nicht vorbei mit Aua.

Bester Moment: Auch nach der Geburt. Klar, Baby im Arm, Himmel auf Erden, noch nie jemanden so geliebt und so weiter. Das stimmt auch alles und das habe ich auch so erlebt.

Doch fast noch mehr hat mich das Gefühl begeistert, gerade etwas ganz Unglaubliches geschafft zu haben, ein irrer immenser Stolz auf mich selbst und die Überzeugung, ab jetzt alles schaffen zu können. Ich hatte zwei Nächte nicht wirklich geschlafen und fühlte mich trotzdem wacher und fitter als jemals zuvor (gut, ich konnte nicht alleine aufstehen, aber, pffft, was für eine Kleinigkeit) und war unfassbar verliebt in das wunderbare Wesen, das mein Wahnsinnskörper da zusammengebaut hatte.

Oft lehne ich mich und vor allem meinen Körper ab und ich habe nicht wenig Selbstzweifel. So ein High wie nach der Geburt hatte ich bis zu dem Zeitpunkt noch nicht erlebt. Ich habe nie Drogen genommen, aber denke mir seitdem oft: Wenn sich ein Drogenrausch annähernd so anfühlt wie dieses Hormon-Adrenalin-Gemisch was mein Körper bei der Geburt fabriziert hat, dann verstehe ich, warum Menschen dafür ihr Leben ruinieren.

Nichts baut so viel Druck auf, wie der Tipp, sich doch einfach nicht so viel Druck zu machen

Meine Botschaft an Menschen, die (noch) nicht geboren haben: Eine Geburt ist etwas so Individuelles, dass es völliger Quatsch ist, von sich auf andere zu schließen. Und in meinem Wertegerüst steht Selbstbestimmung so derart über allem anderen, dass ich weder der Frau, die sich ohne medizinische Indikation einen Kaiserschnitt wünscht, etwas vorschreiben will, noch der, die aus Misstrauen gegenüber dem Klinikbetrieb alleine zu Hause entbindet. Ihr macht das alle richtig!

Meine persönliche Erfahrung ist die, dass es absolut zu schaffen ist. Dass eine Geburt zwar gleichzeitig schmerzhafter ist, als ich mir je hätte vorstellen können, dass meine Fähigkeit, mit den Schmerzen umzugehen, aber ebenfalls ins Unvorstellbare gewachsen ist. Die Gefühle nach der Geburt (unter anderem die Liebe zum Baby, aber eben nicht nur die) entschädigten mich für den Stress und den Schmerz – zumindest ein bisschen.

Dass es für mich gut lief, führe ich unter anderem auf die Tatsache zurück, dass ich mir wenig Druck gemacht habe. Ich habe mir nicht vorgenommen, es AUF JEDEN FALL ohne Schmerzmittel, PDA oder einen Kaiserschnitt zu schaffen, sondern war wie nur selten in meinem Leben in der Lage, alles einfach auf mich zukommen zu lassen. Gerne würde ich hier auch noch erklären, wie eine in diesen Zustand kommt. Aber da muss ich passen. Denn nichts baut so viel Druck auf, wie der total bescheuerte Tipp, sich doch einfach nicht so viel Druck zu machen. Eine gute Geburt ist ein Geschenk – keine Leistung. (Bitte nicht missverstehen: Eine Geburt ist eine immense Leistung, jede Art von Geburt – ja, schon die Schwangerschaft. Doch ob eine Geburt ohne chemische/technische Hilfsmittel stattfinden kann oder nicht, liegt nicht daran, ob jemand jetzt talentiert im Gebären ist oder nicht.)

Deswegen will ich allen künftig Gebärenden und allen, die noch überlegen, ob sie sich das antun, eigentlich nur sagen: Du kannst das.

Der Text wurde von der Autorin Barbara Vorsamer verfasst und erschien  zuerst auf kleinerdrei.org . Das ist ein Gemeinschaftsblog, das 2013 von Anne Wizorek gegründet wurde. 10 feste Autor*innen und 7 Kolumnist*innen haben hier bis zum Jahr 2018 über alles geschrieben, was ihnen am Herzen lag. Daher auch der Name kleinerdrei, der im Netzjargon für ein Herz steht: eben ein <3. Im Jahr 2014 wurde kleinerdrei in der Kategorie “Kultur und Unterhaltung” für den Grimme Online Award nominiert.

Der Text ist bei jetzt erstmals am 6. März 2016 und wurde am 22.Oktober 2020 aktualisiert.

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