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Warum es wichtig ist, nach einer Serie erst mal Serien-Pause zu machen
Vergangenen Dienstag wurde Pablo Escobar erschossen. Gegen Mitternacht war es vorbei. Und ich habe jetzt abends endlich wieder Zeit, in Ruhe was zu lesen, mir ein Brot zu schmieren und vielleicht sogar ein bisschen vor die Tür zu gehen.
Pablo Escobar wurde natürlich am 2. Dezember 1993 in Medellín erschossen und nicht am vergangenen Dienstag. Sein Tod hatte sehr viel größere und schwerwiegendere Konsequenzen, als dass ich meine Abende danach wieder mit anderen Aktivitäten füllen kann. Aber am vergangenen Dienstag habe ich eben die zweite Staffel von „Narcos“ zu Ende geschaut. Und das bedeutet auch: Abends erstmal kein Pablo mehr. Keine Tata und kein Berna und kein Limon. Ich habe Serien-Pause.
Diese Serien-Pause gehört mittlerweile für fast alle zur Binge-Watching-Routine dazu: Laut einer Analyse des Nutzer*innenverhaltens bei Netflix nehmen 59 Prozent der Abonnent*innen nach dem Ende einer Serie eine etwa dreitägige Serien-Auszeit. Man kann davon ausgehen, dass das bei Menschen, die andere Streaming-Dienste nutzen (oder ihre Serien auf andere, binge-kompatible Arten schauen) ähnlich ist. Und ich glaube, diese Pause ist sehr, sehr wichtig für unsere Serien-Hygiene.
Sobald der Abspann der letzten (oder vorläufig letzten) Folge einer Serie anläuft, die ich wie im Fieberwahn durchgebingt habe, fällt – zumindest von mir – diese seltsame Anspannung ab, von der ich bisher gar nicht gemerkt hatte, dass sie da ist. Ich bin dann so erleichtert, als hätte ich gerade ein großes Projekt beendet. Aber ich fühle mich eben auch ein bisschen verloren, weil mir eine Aufgabe fehlt. Mehrere Tage, vielleicht sogar mehrere Wochen lang waren Abende, die ich zu Hause verbracht habe und an denen ich nicht zu müde war, sehr eindeutig vorausgeplant, ohne jemals gleich zu sein. Weil ich wusste, dass ich diese eine Geschichte weiter verfolgen muss, aber ja noch nicht wusste, wie sie weitergehen würde. Eigentlich war das sehr angenehm, aber es war auch anstrengend. Weil ich emotional gefordert wurde. Und weil da dieser Zwang war, dieser unbedingte Wunsch, sofort, direkt, umittelbar zu wissen, wie es weitergehen wird.
Und jetzt? Nach der Serie? Unglaubliche Ruhe. Keine „Die nächste Folge beginnt in 15 Sekunden“-Anzeige mit Countdown, kein Play-Button, der noch mal geklickt werden will. Auf einmal ist da diese Leere. Die viele Zeit, die gefüllt werden will. Die Sorge, dass ich gleich rastlos werde und nicht weiß, wohin mit mir.
Ich könnte auch direkt mit der nächsten Serie anfangen, aber etwas in mir weiß: Da passt jetzt erstmal nix rein
Ich rechne damit, dass nach dieser Beschreibung wieder jemand mit der „Sucht“-Keule kommen wird: „Serien-Junkie“ ist ja mittlerweile schon ein feststehender Begriff, der suggeriert, dass man süchtig ist nach Serien, nicht ohne kann, es ohne neuen Stoff einfach nicht aushält. Aber das stimmt nicht. Man kann ja ohne. Es ist eher, als hätte man gerade sehr viele, sehr gute Käsespätzle gegessen, zu viele, in zu kurzer Zeit. Jetzt sind sie halt leer. Und im ersten Moment fühlt man sich gar nicht mal so gut. Ist ein bisschen wehmütig, dass das gute Essen vorbei ist. Schimpft sich selbst, dass man zu schnell gegessen hat. Und ist insgesamt etwas überfordert und erschöpft und vollgestopft. Man muss erst mal Pause machen und: verdauen.
Das gilt auch für Serien. Klar, ich hätte nach „Narcos“ gleich mit der nächsten Serie anfangen können. Es gibt ja genug. Aber etwas in mir will das nicht. Etwas in mir weiß: Da passt jetzt erst mal nix rein. Wenn ich sehr viele Käsespätzle gegessen habe, kann ich danach ja auch nicht sofort mit einer Portion Spaghetti Carbonara weitermachen. Ich könnte die auch gar nicht genießen, sondern müsste sie mir reinquälen. Das wäre Verschwendung.
Also erstmal gar nichts zu sich nehmen. Ein bisschen abwarten, bis sich das Völle-Überforderungs-Gefühl gelegt hat. Und dann ist Zeit für den Nachtisch. Nach den Käsespätzle gibt es ein Eis oder ein Schoko-Mousse oder einen Obstsalat, und genauso kann es auch nach einer Serie verschiedene Nachtische geben. Einer ist zum Beispiel: ein Film. Laut der oben schon zitierten Analyse streamen von den Abonnent*innen, die erst einmal pausieren, 61 Prozent in dieser Pause einen Film. Manchmal einen, der zu der vorher geschauten Serie passt, also etwa eine Doku über Escobar nach „Narcos“ (das wäre in der Käsespätzle-Analogie dann die Käse-mit-Trauben-Nachspeise). Manchmal suchen sie auch das Gegenprogramm und schauen eine Komödie an (in der Analogie: Vanillepudding). Beides hat seine Berechtigung: Im ersten Fall entwöhnt man sich langsam von der Serie. Im zweiten Fall sucht man den Ausgleich, und will das intensive Gefühl, das die Serie in einem verursacht hat, schnell durch ein anderes ersetzen und so loswerden. In beiden Fällen versucht man, Abstand zur Serie zu gewinnen, mal langsam, mal abrupt.
Es gibt auch noch andere, in der Studie nicht erfasste Möglichkeiten, diesen Abstand zu gewinnen und runter zu kommen. Ein Buch lesen zum Beispiel oder eine andere, weniger anspruchsvolle Serie (Sitcom!) schauen. Wichtig ist dabei, dass man eine neue Abend-Routine entwickelt – denn nur so gewinnt man nicht nur Distanz zum Inhalt der vorher geschauten Serie, sondern auch zum Prozess des Serien-Schauens an sich. Zum abendlichen Mehrere-einstündige-dramatische-Folgen-Bingen und Danach-unruhig-Schlafen. Zum Die-nächste-Folge-fest-Einplanen. Zur vorherigen Routine eben, die man mit dieser Serie entwickelt hat. Denn diese Routine, so komisch es klingt, kann man eben am besten mit Routine schlagen. Die eine mit der anderen. Die Binge- mit der ganz eigenen Pausen-Routine.
Die Pause dauert an, bis die Serie verdaut ist. Das ist wichtig, weil nur dann Platz ist für eine neue Portion. Für eine neue Geschichte. So wie man nach dem Ende einer Beziehung am besten auch ein Weilchen wartet, bis man sich in die nächste stürzt. Oder, um beim harmloseren Vergleich zu bleiben: Käsespätzle will man ja auch nicht jeden Tag essen.
Hinweis: Dieser Text wurde zuerst 2016 veröffentlicht und am 5. Dezember 2020 noch einmal aktualisiert.