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Führerschein für Fußgänger in der Innenstadt
Schon als kleine Kinder wird uns eingeschärft, wie wir eine Straße richtig überqueren – einmal nach links schauen, dann nach rechts, dann wieder nach links. Zügig rüber, wenn die Ampel auf Rot schaltet, nicht wieder umdrehen, nicht schräg die Straße überqueren. Doch darauf, was passiert, wenn wir auf der anderen Seite in der Fußgängerzone ankommen, darauf bereitet uns niemand vor. Ein fataler Fehler, denn dort wartet: pure Anarchie. Dabei hat sich doch gerade in der Pandemie gezeigt, dass ungewollte Berührungen oder gar Zusammenstöße fatale Folgen haben können.
Wir lernen für viel Geld, wie wir das Auto im Straßenverkehr bewegen dürfen. Uns wird schon in der Schule beigebracht, wie wir uns mit dem Fahrrad in der Öffentlichkeit verhalten müssen. Jede Eventualität ist reglementiert. Egal ob Schulterblick, Hand- oder Blinkerzeichen beim Abbiegen, rechts vor links, das Verbot, Tiere aus dem Auto heraus Gassi zu führen. In der Straßenverkehrsordnung steht zu jedem Problem die passende Lösung. Aber sobald wir auf unseren eigenen Beinen stehen, gilt nur noch das Recht der Stärkeren. Kein Wunder, dass es in den einstigen Flaniermeilen unserer Innenstädte heftiger zugeht, als in einem sizilianischen Kreisverkehr.
Niemand, der bei Verstand ist, setzt freiwillig noch einen Fuß in diesen verkehrsverordnungsfreien Raum. Ein Meer aus Menschen stapft orientierungslos umher, die aus ihrer Hilflosigkeit in ihren urinstinktiven Egoismus verfallen. Rücksicht existiert nicht mehr. Vierer-Gruppen laufen händchenhaltend im Schneckentempo die Promenade entlang und versperren so den armen Menschen den Weg, die nur schnell Boxershorts kaufen wollten, in ihrer Naivität in dieses Chaos getappt sind und nun auf ewig hinter diesen Teenies gefangen sind. Wenige Meter weiter, rennt ein Mann mittleren Alters blindlings in einen Kinderwagen, weil er im Schaufenster einen reduzierten Golfschläger gesehen hat und ruckartig umgedreht ist, um sich das Angebot genauer anzuschauen. Und drumerhum treten gleichzeitig dutzende ignoranter Passant*innen ihren Vordermenschen in die Hacken, weil sie in ihre Smartphones vertieft sind. MITTEN IN EINER SICH BEWEGENDEN MENSCHENMASSE.
Vor der Rolltreppe stehen bleiben und quatschen? Zack, Führerschein weg
Es wird Zeit, dass dagegen etwas getan wird. Dass unsere Kinder und vor allen Dingen wir selbst irgendwann gefahrenfrei in die Fußgängerzonen zurückkehren können, ohne alle 15 Schritte Körperkontakt mit einem fremden Menschen zu haben, der gerade unachtsam die Fußgängerzone von links nach rechts durchquert, während er eine WhatsApp-Nachricht schreibt. In einem Land, in dem so oft bewiesen wurde, dass es kein Problem gibt, das man nicht mit sieben verschiedenen Formularen besser machen kann, und in dem die Liebe zur Bürokratie nur durch die Leidenschaft zur Verwaltung übertroffen wird, wäre es doch fahrlässig, wenn man hier das Chaos vorherrschen lassen würde. Es wird Zeit für frühkindliche Geherziehung. Und noch besser: Einen Fußgänger*innenführerschein.
Endlich einheitliche Regeln, die uns alle wieder Orientierung bieten. Menschenströme, die aneinander vorbeiführen ohne Rempeleien und Unachtsamkeit. Und vor allen Dingen: Ein Strafenkatalog, der nach flensburger Vorbild rücksichtlose Rüpel-Passant*innen zur Rechenschaft zieht. Fünf Verfehlungen und man verliert für eine Woche die Erlaubnis, auch nur einen Fuß in die Fußgängerzone zu setzen. Vor der Rolltreppe stehen bleiben und quatschen? Zack, Führerschein weg. Ruckartige 180-Grad-Drehungen, weil man irgendwas vergessen hat? Tja, kein Zara-Besuch für sieben Tage. Ein Paar, das an einer engen Stelle trotz Gegenverkehr keine Anstalten macht, hintereinander zu gehen? Gleich zwei Rowdys weniger, die unsere Fußgängerzonen unsicher machen.
Der Fußgänger*innenführerschein würde nicht nur unser aller Leben rempelfreier und schöner machen. Nein, er wäre auch das beste Mittel im Kampf gegen Amazon und Co. Denn es ist kein Wunder, dass seit Jahren Kaufhäuser aussterben, der Einzelhandel leidet, und böse, steuervermeidende Versandhäuser Milliardengewinne machen. Denn niemand traut sich mehr in den nahezu rechtsfreien Raum Fußgängerzone. Gerade durch die Corona-Pandemie ist die Forderung aktueller denn je. Dann nie waren ungewollte Berührungen mit fremden Menschen unangenehmer als jetzt. Es wird Zeit für einen Fußgänger*innenführerschein.
Es wird Zeit, dass ein*e gute*r Passant*in zu sein, genauso viel Anerkennung bekommt, wie gutes Einparken oder Autofahren. „Wow, hast du gesehen, wie die Frau sich gerade umgeschaut hat und dann Rücksicht auf die Menschen hinter ihr genommen hat, bevor sie ans Schaufenster gegangen ist.“ „Mein Papa geht mittlerweile seit sieben Jahren Rempler-frei.“ Das sind Sätze, die wir in Zukunft hören müssen. Das ist die Einstellung, die unsere Fußgängerzonen wieder begehbar macht.