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Warum das 1,40-Meter-Bett für die beste Zeit des Lebens steht
Kürzlich gab es in meinem Freundeskreis wieder eine Trennung. So eine ganz typische Endzwanzigergeschichte: Er wollte mehr Freiraum, sie fühlte sich ebenfalls stark eingeengt und dann kam auch noch hinzu, dass er jede Nacht wie blöd rumruckelte und schnarchte. Da gab es keine andere Lösung: Ein neues Bett musste her. Nichts wie weg mit dem 1,40-Meter-Modell mit der abgenudelten „Sultan“-Matratze, das sie im 1. Semester unter maximalem logistischen Aufwand (ein Bett passt nun mal nicht so einfach in einen Fiat Punto) bei Ikea gekauft und seitdem mehrfach umgezogen hatte. Her mit einem 1,80-Meter-Modell – mit zwei getrennten Matratzen. Sie behauptet, seitdem sei in der Beziehung alles besser. Mehr Schlaf, weniger Streit und frischer aussehen würden sie auch.
Mich macht das traurig. Denn eigentlich bedeutet der Abschied vom 1,40-Meter-Bett: Die beste Zeit deines Lebens ist jetzt vorbei. Nicht ab 30 geht’s bergab – sondern in dem Moment, in dem du dein schmales Bett gegen ein breites eintauschst.
Denn der Lebenszyklus eines 1,40-Meter-Bettes ist zwar ein kurzer, dafür aber auch ein besonders schöner: Er beginnt meist kurz nach der Pubertät, mit 14 oder 15, wenn man sich nichts sehnlicher wünscht als Sex. In dieser Phase ist das 1,40-Meter-Bett eine Verheißung: Mit seiner Anschaffung endet die Jungfräulichkeit quasi automatisch. So zumindest die eigene Vorstellung, denn in so einem Bett schläft man ja nicht alleine. Umso unangenehmer ist die erste Diskussion mit den Eltern darüber. Bei denen wohnt man zu diesem Zeitpunkt nämlich leider noch und die finanzielle Macht haben sie auch. Das bereits vorhandene Einzelbett mit zwei Schubladen „als Stauraum“ darunter, finden sie „praktisch“. Und sowieso, wieso man denn auf einmal ein größeres wolle, es würde doch nicht etwa ernst mit Wie-auch-immer-die-erste-große-Liebe-heißt. Oft folgt darauf ein unangenehmes Gespräch über Verhütung. Schlimmer geht es eigentlich nur, wenn man direkt ein Wasserbett mit Spiegel darüber fordert.
Zerstritten auf der eigenen Seite einschlafen? Auf 1,40 Meter unmöglich!
Ist das 1,40-Meter-Bett aber erst mal erkämpft, fühlt man sich wie ein König oder eine Königin. Ist man Single, schläft man demonstrativ in der Mitte. Zu zweit genießt man hingegen den Kuschelzwang, den so ein 1,40-Meter-Bett erzeugt, denn auf 70 Zentimetern pro Person berührt man sich automatisch. Vermutlich haben sich viele Freundschaften erst zu Beziehungen entwickelt, als man ganz platonisch gemeinsam auf 1,40 Meter übernachten wollte und verschlungen als Paar wieder aufwachte. Danke, 1,40 Meter!
Mit dem Auszug von Zuhause ist das 1,40-Meter-Bett dann schon ganz selbstverständlich. Und wenn man später mit dem Partner zusammenzieht, ist die erste gemeinsame Anschaffung auch meist eine Spülmaschine und kein neues Bett: Auf dem Höhepunkt der Liebe sind die alten 1,40 Meter eben völlig ausreichend, am besten noch mit geteilter breiter Bettdecke. Zerstritten auf der eigenen Seite einschlafen? Auf 1,40 Meter unmöglich! Am nächsten Morgen liegt man ja doch wieder in der Löffelchenstellung beim anderen, war sonst einfach zu eng. Ganz nebenbei lernt man in so einem schmalen Bett auch Kompromissfähigkeit. Auf 1,40 Meter muss man sich automatisch eine Schlafposition suchen, die für beide angenehm ist. Man muss gemeinsam zwischen zu warm und zu kalt austarieren, zwischen Leselicht an oder aus. Alles Probleme, deren einvernehmliche Lösung eine gute Beziehung ausmacht. Und gerade deswegen kann es eben mit der Abschaffung des 1,40-Meter-Bettes nur bergab gehen.
Trotzdem setzt sich in allen Beziehungen irgendwann der Irrglaube durch, größer, breiter und teurer seien automatisch besser. Man schenkt dem Partner jetzt ja zum Geburtstag auch nicht mehr wie mit 16 eine dilettantisch gebastelte Fotocollage, sondern eine teure Ledertasche. Also wird unter großmöglichem Aufwand für ein neues Bett „recherchiert“. Ja, der Ausdruck „Recherche“ muss sein, denn allein über die Frage, welchen Matratzehärtegrad und welche Füllung man jetzt anschaffen sollte (Kaltschaum? Federkern? KOKOS? DOCH NICHT ETWA AUS BEDROHTEN WÄLDERN??), drohen die meisten Beziehungen bereits zu zerbrechen.
Wer als Kind mal bei seinen Eltern in der Besucherritze schlafen musste, weiß: Das ist total scheiße
Anstatt an diesem Punkt das Unheil zu ahnen, doch noch umzukehren und sich weiterhin auf den abgewetzten 1,40 Meter zu lieben, gehen die meisten Paare sogar noch einen Schritt weiter: Sie wollen direkt Kingsize, das Zwei-Meter-Bett, oder entscheiden sie sich für zwei getrennte Matratzen in einem Rahmen. Klingt ja auch verlockend, dass dann jeder wieder seinen Schlafgewohnheiten nachkommen kann und für Intimität „besucht“ mal halt einander. Wer allerdings als Kind mal bei seinen Eltern in der Besucherritze schlafen musste, weiß: Das ist total scheiße. Wirklich niemand möchte sich nachts über diese harte Ritze rollen. Dementsprechend bleibt man meistens auf der eigenen Seite und trennt sich zwei Jahre später mit den Worten „Wir haben uns auseinandergelebt“ – wobei „auseinandergeschlafen“ korrekter werde. „Mit 1,40 Meter wäre das nicht passiert!“, möchte ich dann sagen. Aber ist zu diesem Zeitpunkt ja eh meist zu spät, deshalb dieser präventive Text.
Tatsächlich gibt es nur einen einzigen, legitimen Grund, sich vom 1,40-Meter-Bett zu verabschieden: Kinder. Dann aber lieber gemeinsame 1,80 Meter riskieren anstatt einer Besucherritze. Ist zu dritt ähnlich kuschelig wie zu zweit auf 1,40 Meter und gerade mit Kind muss man sich auch mal zu ein bisschen Nähe mit dem Partner zwingen.
Die meisten Menschen, die ich kenne und die sich „auseinandergeschlafen“ haben, graben danach übrigens wieder ihr altes 1,40-Meter-Bett aus dem Studium aus, von dem sie sich trotz Kaltschaum-Kokos-Federkern-Spezialinski-Bett irgendwie doch nicht trennen konnte. Und schlafen darin dann erstmal alleine. Weil einsam ist es auf 1,40 Meter eben auch nie.
Hinweis: Dieser Text wurde erstmals 2018 veröffentlicht und am 21. März 2021 nochmals publiziert.