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Sprachkurse: Warum es sinnvoll ist, mit verschiedenen Muttersprachlern eine neue Sprache zu lernen
Weil ich jetzt in Brüssel lebe, besuche ich einen Französischkurs. Ich habe die Sprache in der Schule schon mal gelernt, aber das ist lange her und Dinge wie Pronomen, Konjunktionen und der Subjonctif (und natürlich sehr viele Vokabeln) sind längst aus meinem Gehirn verschwunden. Richtig viel Lust hatte ich nicht auf den Kurs, weil ich an den Schulunterricht denken musste und daran, wie ich an der Volkshochschule in München mal zwei Semester Spanisch gelernt habe. Ich dachte also an Frontalunterricht mit Mitschülern, die keinen Bock hatten, und mit Mittvierzigerinnen, die zwar viel Bock hatten, aber in so unterschiedlichem Tempo lernten, dass es mich nervös machte.
Rückblickend war das Schlimmste allerdings, dass wir in beiden Fällen ausschließlich deutschsprachige Sprachlerner waren, die dazu gezwungen wurden, miteinander Französisch oder Spanisch zu sprechen. In meinem aktuellen Kurs habe ich festgestellt, dass kaum etwas den Spracherwerb mehr bremst, als gemeinsam mit Muttersprachlern eine neue Sprache zu lernen – weil es diesmal nämlich ganz anders ist: Ich sitze zwei Mal die Woche zwei Stunden in einem Raum mit Menschen, mit denen ich meine Muttersprache nicht teile. Nämlich mit einer Kroatin, einer Serbin, einer Polin, einer Japanerin, einem Rumänen, einer Italienerin, einer Spanierin, einer Niederländerin, einer Engländerin und einem Iren.
Eine Konversation abseits der gemeinsamen Muttersprache kann sehr künstlich wirken
Es heißt ja immer, am besten lerne man die Sprache dort, wo man gezwungen ist, sie zu sprechen. Das stimmt natürlich. Wenn man sich länger in Rom aufhält und um einen herum alles auf Italienisch ist, ist der Druck größer, es zügig zu lernen. Es sickert auch viel schneller und viel tiefer ins Unterbewusstsein, weil es einem in jeder Werbeanzeige und jeder U-Bahn-Durchsage begegnet. Man solle auch, heißt es außerdem, möglichst viel mit Muttersprachlern sprechen und zum Beispiel einen Tandempartner finden. Das ist ebenfalls ein guter Ratschlag. Von klassischen Sprachkursen hingegen halten viele wenig: Zu unterschiedlich seien die Voraussetzungen, mit denen die einzelnen Kursteilnehmer starten und gesprochen werde eh kaum. Ich habe das selbst lange so gesehen. Darum war ich so erstaunt festzustellen, wie viel leichter einem so ein Kurs fällt und wie viel sinnvoller er sich anfühlt, wenn man an einer einzigen, kleinen Stellschraube dreht: wenn alle Teilnehmer verschiedene Muttersprachen sprechen.
Mit jemandem eine Fremdsprache zu sprechen, der die gleiche Muttersprache spricht wie man selbst, fühlt sich nämlich immer unnatürlich an. Wenn der eine viel besser Russisch oder Arabisch oder was auch immer kann als der andere, ist das dem, der weniger gut ist, schnell unangenehm. Und wenn beide noch nicht gut sprechen, können sie sich schlicht kaum verständigen und machen sich unnötig das Leben schwer. In beiden Fällen ist der einfachste Ausweg: zurück zur Muttersprache – denn es gibt ja kaum ein verbindenderes und erleichterndes Gefühl, als die gleiche Sprache auf gleichem Niveau sprechen zu können. Und selbst wenn beide in einer Fremdsprache gleich gut sind, kann eine Konversation abseits der Muttersprache seltsam künstlich wirken. Ein gutes Beispiel dafür ist die folgende Situation: In einer Gruppe wird Englisch gesprochen, weil das alle verstehen, und als sich das Gespräch plötzlich verzweigt, redet man mit der anderen deutschsprachigen Person neben einem. Sofort switcht man dann ins Deutsche, weil es sich furchtbar affektiert anfühlt, miteinander auf Englisch zu sprechen.
Wir Kursteilnehmer machen die neue Sprache gemeinsam zu unserer gemeinsamen Sprache
Der Sprachunterricht, den ich bisher mitgemacht habe, ob in der Schule oder in der VHS, war wie eine unendliche Wiederholung dieser Situationen. Weil eben (fast) alle anderen deutsche Muttersprachler waren, so wie ich. Aber in meinem aktuellen Französischkurs finde ich es nicht unangenehm, dass die Spanierin besser Französisch spricht als ich. Es fällt mir durch unsere unterschiedlichen Ausgangssprachen viel leichter, einfach hinzunehmen, dass wir eben auch unterschiedliche Voraussetzungen haben.
Am wichtigsten ist aber, dass wir Kursteilnehmer die neue Sprache gemeinsam zu unserer gemeinsamen Sprache machen. Zwar sprechen alle (bis auf die Lehrerin, eine Französin, die fließend Japanisch spricht) auch Englisch, aber nur die Engländerin und der Ire als Muttersprache. Für die beiden mag sich ein Gespräch auf Französisch seltsam anfühlen, aber für alle anderen ist es ein guter und sehr natürlicher Weg, sich zu verständigen. Ich kann kein Kroatisch, die Kroatin kann nur ein paar Brocken Deutsch, also sprechen wir beide besser Französisch als die Muttersprache der jeweils anderen. Außerdem sorgt diese Mischung noch für einen weiteren netten Bonus: Alle sprechen sehr verschiedene und teils sehr niedliche Akzente. Ich lerne also nicht nur Französisch, sondern auch, wie Französisch mit rumänischem oder japanischem Akzent klingt.
Niemand muss das Gebirge komplett überschreiten, wir begegnen uns auf dem Kamm
Klar ist der Druck, in einer (teils) französischsprachigen Stadt Französisch zu lernen für mich größer als in Deutschland. Ich will mich ja mit den Menschen hier verständigen können. Aber der Effekt in meinem Sprachkurs ist noch schöner und noch gemeinschaftlicher. Wir lernen gemeinsam die Landessprache, um uns in der Mitte zu treffen. An einem Ort, an dem wir auf Augenhöhe sind. Weil alle die gleiche Anstrengung unternehmen mussten, um dorthin zu kommen. Niemand muss das Gebirge komplett überschreiten, wir begegnen uns einfach auf dem Kamm.
Darum habe ich meine Meinung zu Sprachkursen in den vergangenen Wochen geändert. Sie sind gar nicht so schlecht. Aber man sollte sie unbedingt, dringend im Ausland machen. Und soweit es geht mit Menschen mit verschiedenen Ausgangssprachen. Um dann Stunde für Stunde zusammen die babylonische Sprachverwirrung ein Stückchen weiter zu entwirren und sich gegenseitig wieder ein Stückchen besser zu verstehen.