Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Plattformen, ihr habt mich zu oft enttäuscht!

Verlassene Orte: Auf Plattformen wie StudiVZ oder Lokalisten treibt sich niemand mehr herum. Trotzdem hatte man einmal Liebe in das eigene Profil dort gesteckt.
Illustration: FDE

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Ist eigentlich noch jemand bei Clubhouse? Ich war da nie. Dabei habe ich sogar eine Einladung bekommen. Aber ich wollte nicht. Habe wie ein trotziges Kind die Arme verschränkt und den Kopf weggedreht und „Nö!“ gesagt. „Nö, da mach ich nicht mit!“ Und warum? Weil ich nicht nur ein trotziges Kind bin, sondern auch ein gebranntes. Denn all die Plattformen und Apps, die in den vergangenen Jahren aufgetaucht sind, haben mich immer wieder enttäuscht. Ich habe dort Zeit und Energie investiert, aber dann sind diese Online-Orte langsam zerbröckelt und haben mir weder meine Zeit noch meine Energie zurückgegeben, sondern sie einfach in einem schwarzen Loch verschwinden lassen. Deshalb mache ich jetzt nicht mehr mit.

Aber von vorne. Ich bin tatsächlich alt genug, um StudiVZ noch miterlebt zu haben, diese Plattformen, auf der sich Studierende vernetzt und Gruppen mit bescheuerten Namen gegründet haben. Ich war Ersti, wollte Menschen kennenlernen, mitbekommen, was in meiner neuen Stadt so passierte, und rausfinden, was meine ehemaligen Klassenkamerad*innen trieben – also meldete ich mich an. Lud ein Profilbild hoch, füllte den Steckbrief aus, trat Gruppen mit bescheuerten Namen bei, verschickte wohlüberlegte Freundschaftsangebote, was man eben so macht. Es war ganz nett, aber dann wurde Facebook immer beliebter und alle zogen um. Ich auch, musste ich ja, sonst wäre ich alleine geblieben. Aus StudiVZ wurde innerhalb kürzester Zeit eine verlassene Stadt voller Profil-Ruinen, in der sich nur noch die größten Creeps rumtrieben, deren seltsame Parolen in der Leere widerhallten. 

Der ständige Wechsel auf neue Plattformen ist immer wie ein kleiner Umzug

Also Facebook. Wieder Profil hübsch gemacht, Freund*innen kuratiert, einen Feed zusammengestellt, der sinnvoll erschien, und dem Netzwerk einen Haufen wertvoller, kostenloser Daten geschenkt. Das ging ein paar Jahre lang gut. Aber dann fing auch Facebook an, auszubluten, und auch dort blieben vor allem Creeps zurück. Frustrierte Boomer und Trolle, Leute mit Humor, wie er auf Kaffeetassen in Büroküchen steht, und ein paar, die den Schuss nicht gehört hatten. Ich ging dann auch. Zu Twitter, das aber mit der Zeit von einem interessanten Nachrichtenstrom zu einer Arena voll brüllender Berserker wurde. Und dann zu Instagram, wo erst alle schöne Fotos posteten, dann aber vor allem sich selbst, und wo man schließlich ins Hintertreffen geriet, wenn man keine Lust auf sehr offensive Selbstdarstellung hatte.  

Ich habe da schon gemerkt, wie ich müde wurde. Dieser ständige Wechsel auf neue Plattformen war so, als müsste ich dauernd umziehen und mir jedes Mal wieder einen neuen Alltag erarbeiten: mich gemütlich einrichten, neue Freunde finden, den kürzesten Weg zum Supermarkt erkunden und mindestens acht Mal die neue Postleitzahl falsch schreiben, bis sie endlich in meinem Gehirn gespeichert war. Ich empfand das als emotionalen Aufwand, den ich im Leben außerhalb des Internets zu leisten bereit war, solange er mich dann mit einem neuen Lieblingscafé und nie gesehenen Ausflugszielen belohnte. Aber im Internet blieb diese Belohnung aus. Da waren nach allem Aufwand überall nur das gleiche Gelabere und die selben dicken Egos, plus jedes Jahr ein paar Trolle und Hasskommentare mehr, und dann gingen nach und nach alle, denen man vertraute. 

Wird es irgendwann ein Plattform-Utopia geben? Einen Ort im Internet zum Sesshaft-Werden?

Ich habe noch Snapchat versucht, als es neu aufkam. Mehrere Nachmittage hat es mir gestohlen, aber dann habe ich aufgegeben, mich dort einzurichten, bevor überhaupt die Wandfarbe trocken war. Bei Tiktok habe ich mich zumindest noch angemeldet, aber, um im Bild zu bleiben, wirklich nur den Wohnungsschlüssel abgeholt und danach nicht auch nur einen Stuhl reingetragen. Die Miete in Form meiner Anmeldedaten zahle ich natürlich trotzdem. 

Bei Clubhouse war darum Schluss. Dieser Plattform wollte ich nichts, aber auch gar nichts mehr von mir geben, dafür, dass ich am Ende nichts zurückbekommen würde außer eine App-Leiche auf meinem Handy-Screen, weil wieder alle gegangen waren. So viele verlassene oder heruntergekommene Städte habe ich schon gesehen, dass ich einfach keine Lust mehr habe. Und ich hatte Recht: Keine drei Monate nach dem großen Hype um die App ist es dort schon wieder sehr still geworden.

„Mir doch egal!“, werden jetzt die meisten sagen. „Muss ja keiner mitmachen!“ Stimmt. Aber ich frage mich eben, ob es nicht irgendwann doch mal ein Plattform-Utopia geben wird? Einen Ort im Internet zum Sesshaft-Werden. Ein Netzwerk, in dem man zusammen und nebeneinander lebt wie in einer gut funktionierenden Stadt. Einen Ort, an den man immer zurückkehrt, auch, wenn man zwischendurch neue Orte erkundet. Eine Online-Heimat, die nicht irgendwann fluchtartig verlassen oder von Hassprediger*innen übernommen wird oder ihre Relevanz verliert, weil die Menschen was anderes interessanter finden. 

Keine Ahnung, wie genau so ein Ort aussehen soll, ich bin ja kein Ehssan Dariani (der damals StudiVZ gegründet hat), kein Mark Zuckerberg und auch niemand mit einer rosigen, realistischen Zukunftsvision für Social Media. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.

  • teilen
  • schließen