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Warum der Wetter-App-Wahnsinn nervt
Im Sommer, als es kurzzeitig so aussah, als würde die weltweite Pandemie pausieren, wollte ich mich mit Freund*innen im Freibad treffen. Ich schaute aus dem Fenster, draußen war es sonnig, ich schrieb eine SMS mit dem ungefähren Inhalt „15 Uhr treffen am Eingang?“. Soweit, so normal.
Was danach passierte, ist sehr typisch für Verabredungen unter Millennials: Es begann eine Diskussion um Niederschlagmessungen und Regenwahrscheinlichkeiten unter Hobby-Meterolog*innen. Die Wetter-App zeigte um 14 Uhr 30 Prozent Regenwahrscheinlichkeit an, um 15 Uhr seien es aber schon 40 Prozent. Die Lage danach – unklar! Man könne jetzt natürlich noch den Regenradar befragen, der sei aber erst zwei Stunden vorher zuverlässig. Eine andere App sage übrigens wiederum etwas ganz anderes voraus, die auf dem iPhone sei sowieso unzuverlässig und bei Wetter.com sähe es noch schlimmer aus. Vielleicht sollte man das Treffen lieber gleich ganz absagen?
Wenn es regnet, stellt man sich halt unter. Wenn man friert, fährt man heim
Mich nervt dieser Wetter-App-Wahnsinn, der Menschen bei der Planung eines einfachen Spazierganges mittlerweile befällt. Anstatt die wirklich wichtigen Fragen zu klären („Wann?”, und: „Wo gibt es unterwegs was zu essen?“) redet man über Regenwahrscheinlichkeiten. Dabei ist das doch ganz einfach: Wenn es regnet, stellt man sich halt unter. Wenn man friert, fährt man heim. Kein Grund schon im Vorhinein zu kapitulieren.
Die Mentalität in meiner Familie war immer „es gibt kein falsches Wetter, nur die falsche Jacke.“ Dabei muss ich sagen, volle Transparenz, dass ich aus Norddeutschland komme. Es kann also gut sein, dass die jährlichen Dänemark-Urlaube eine kleine Gehirnwäsche für mich waren: 14 Grad und Nieselregen sind für mich Hochsommer! Stellt euch nicht so an!
Das Befragen von Wetter-Apps ist Symptom eines größeren Problems
Sollte es wider Erwarten ein Monsunartiges Unwetter geben, erfährt man das meistens vorher aus den Nachrichten. Dafür braucht man keine minutengenaue App. Auch die Frage, ob man eher Gummistiefel oder Sandalen anziehen sollte, klärt ein einfacher Blick aus dem Fenster.
Die zweite Infektionswelle und der damit verbundene Zwang zum „wenn-überhaupt-draußen-Treffen” haben mich in meinem Wetter-App-Hass noch weiter radikalisiert. Jetzt gilt: Wer ständig auf dem Handy Regenwahrscheinlichkeiten anstarrt, geht am Ende gar nicht mehr raus. Insbesondere nicht im deutschen Winter, der ja meistens aus Matsch und Graupelschauer besteht und eben nicht aus glitzernden Schneetürmchen wie in einem Disney-Film. Dabei sind frische Luft und sowas ähnliches wie Sonnenlicht wichtig, um im Lockdown nicht den Verstand zu verlieren. Deshalb: Nieder mit den Wetter-Apps!
Natürlich ist das Befragen von Wetter-Apps nur Symptom eines größeren Problems: Der Illusion, im Leben alles unter Kontrolle zu haben. Wer in der eigenen Wohnung via Handy die Heizung anmachen, per Tracking das genaue Zeitfenster der Paketzustellung bestimmen und via Zoom mit Menschen in jeder Zeitzone kommunizieren kann, denkt natürlich, dass das eigene Leben ziemlich problemlos planbar ist. Aber gerade die Corona-Pandemie hat uns doch gezeigt, dass das Quatsch ist. Man kann noch so viele To-do-Listen schreiben und Coachingbücher lesen – und dann überträgt irgendwo auf der Welt ein Tier ein Virus auf einen Menschen und nichts ist mehr, wie es war. Und dann nieselt es auch noch. Also lieber gleich die Möglichkeit zulassen, dass Pläne sich ändern können, und dass man sich noch so viel Mühe geben kann: Perfekt ist das Leben nie.
Sich ständig darüber grämen, dass man das Außen nicht verändert bekommt, macht unglücklich
Coaches bezeichnen sowas gerne als „das Außen“ in Abgrenzung zum „Innen“. Wer die ganze Zeit versucht, das Außen zu verändern, kann sich noch so sehr bemühen – es wird nicht funktionieren. Wie das Hochzeitspaar, das am Morgen der Sommergartenparty die ganze Zeit auf die Wetter-App starrt in der Hoffnung, dass es an diesem Tag bloß nicht regnen wird. Guess what: Wenn es regnet, regnets, daran kann man nichts ändern, egal wie oft man auf die App schaut. Außer vielleicht, man hat ein Wetteränderungsamt wie China. Sich ständig darüber grämen, dass man das Außen nicht verändert bekommt, macht unglücklich. Also lieber auf das „Innen“ konzentrieren und die eigene Einstellung überdenken.
Damit dieser Text jetzt aber nicht auf einer ausgelutschten „Du musst im Regen tanzen“-Note endet: Nein, muss man natürlich nicht, insbesondere nicht bei drei Grad und Schneematsch. Wie gesagt, unterstellen hilft auch. Das ist alles besser, als wegen 30 Prozent Regenwahrscheinlichkeit gar nicht ins Freibad gehen.