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Meine Theorie: Geburtstagsglückwünsche zu vergessen, ist nicht schlimm
Eine Mischung aus schlechtem Gewissen, Ärger über die eigene Schusseligkeit und der Sorge, einer Freundschaft geschadet zu haben. Dieses Gefühl setzt zuverlässig dann ein, wenn ein:e Freund:in beiläufig davon erzählt, dass er oder sie vor einigen Tagen Geburtstag hatte. „Oh Gott, vergessen“, blitzt es dann im Kopf auf, Schweiß bricht aus. Und jedes Mal aufs Neue stellt sich die Frage: Wie reagieren? Lieber gar nichts sagen und unauffällig verhalten oder einen strafenden Blick riskieren, wenn man sich doch zu einem kleinlauten „Glückwunsch nachträglich“ überwindet? In solchen Situationen kann man eigentlich nichts richtig machen. Denn wer vergessen hat, zu gratulieren, hat sich schuldig gemacht und sich als schlechter Freund oder schlechte Freundin erwiesen. So sehen es zumindest Menschen, die wegen vergessener Glückwünsche ernsthaft enttäuscht oder verärgert sind.
Dabei kann aber nicht nur Schaden anrichten, einen Geburtstag zu vergessen. Sondern auch, Freund:innen böse zu sein, weil sie den Geburtstag vergessen haben. Denn in der Regel meinen Menschen es ja nicht böse, wenn sie nicht (rechtzeitig) zum Geburtstag gratulieren. Und es macht sie auch nicht zu schlechteren Menschen. Sie hatten vielleicht nur etwas anderes im Kopf, können sich nicht so gut Zahlen merken – oder zeigen ihre Freundschaft grundsätzlich lieber auf andere Weise, als dadurch, floskelige Geburtstagsgrüße zu schicken.
Eigentlich auch ziemlich unromantisch, sich so auf acht Ziffern zu versteifen
Zum Beispiel, indem sie sich auch mal spontan als Besuch ankündigen, für Freund:innen kochen, oder indem sie da sind, wenn gerade die Beziehung zerbröselt. Es gibt so viele verschiedene Arten, eine Freundschaft zu pflegen und Wertschätzung für einen anderen Menschen auszudrücken. Sich acht Ziffern zu merken, gehört für manche eben nicht dazu – eigentlich auch ziemlich unromantisch, sich auf Zahlen zu versteifen, oder? Freund:innen, die nicht zum Geburtstag gratulieren, mögen verplant sein – aber sie haben sicherlich andere Methoden, ihre Freundschaft zu beweisen.
Andersrum sind ja auch nicht alle, die gratulieren, automatisch gute Freund:innen. Es ist jedenfalls kein Indikator für eine gute Freundschaft, wenn sich die Gratulierenden einmal am Tag bei Facebook anmelden, um zu checken, ob jemand aus ihrem Dunstkreis Geburtstag hat. Möglicherweise gar aus Eigennutz, weil die Anzahl der Geburtstagsglückwünsche 2012 noch als öffentlich einsehbare Beliebtheitsskala galt und sie hofften, im Gegenzug auch eifrig gratuliert zu bekommen.
Einen Geburtstag zu vergessen – das kann aus Versehen oder zufällig passieren. Es kann aber durchaus auch ernste Gründe haben: Möglicherweise ist die Person mit ihrer Lebenssituation überfordert und mit dem Kopf woanders. Oder ist psychisch gerade einfach nicht in der Verfassung, sich zu Glückwünschen aufzuraffen. Manchmal stecken auch unerkannte Verhaltensstörungen wie ADHS dahinter, die mit Vergesslichkeit und Überforderung im Alltag einhergehen. Es lohnt sich also, das Am-Geburtstag-vergessen-worden-sein nicht persönlich zu nehmen – sondern Verständnis für diejenigen aufzubringen, die eben nicht zum Gratulieren gekommen sind.
Viel wichtiger ist, dass Freund:innen sich schreiben, wenn sie einfach so aneinander denken
Hinzu kommt: Meistens sind Geburtstagsglückwünsche sowieso nur Floskeln. „Hey, ich wünsche dir alles Liebe zum Geburtstag! Feier schön, hab einen tollen Tag.“ So oder so ähnlich klingt jede zweite Nachricht, die man am Geburtstag bekommt. Ähnlich lesen sich die Geburtstagskarten, die man selbst verfasst. Gibt man bei Google „Geburtstag“ in die Suchleiste ein, reihen sich Ergebnisse wie „Geburtstagswünsche“, „Geburtstagssprüche“, „Geburtstagswünsche lustig“ untereinander auf. Das Internet quillt über vor platten Formulierungsvorschlägen für den Geburtstagsgruß – eben gerade deshalb: Weil sehr viele Menschen nicht mal wissen, was sie denn nun zum Geburtstag wünschen sollen. Geburtstagsgrüße sind oft nichts Besonderes – und sagen so auch rein gar nichts über die Qualität der Freundschaft aus.
Der viel bessere Freundschaftsbeweis als der Glückwunsch zum Geburtstag ist daher doch eine Nachricht, die anlasslos kommt. „Hey, ich hab gerade an dich gedacht, als ich unser Lieblingslied gehört habe. Der Abend war mega, weißt du noch?“ Hört sich das nicht viel besser an als: „Alles Gute zum Ehrentag“?