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Wie die Corona-Krise mich zur Umweltsau macht

Illustration: FDE

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Ich würde behaupten, kein Auto mehr zu haben, war eine der wenigen Entscheidungen meines Lebens, die wirklich ökologisch motiviert war. Bei anderen Dingen konnte ich mich nicht zum Verzicht durchringen: Ich esse immer noch Fleisch, ich mache hin und wieder Flugreisen und die Mülltrennung und ich waren noch nie Freundinnen. Aber auf ein Auto zu verzichten, das erschien mir vor einigen Jahren ein Beitrag, den ich zur Rettung unseres Planeten leisten kann. Ein Schritt, der zwar ein bisschen weh tat, aber gerade deshalb fühlte er sich auch so gut an. Wer wie ich auf dem Land aufgewachsen ist, für den ist ein Auto nicht nur ein symbolischer sondern ein sehr realer Schlüssel zur Freiheit. Diesen für etwas zurückzugeben, das größer ist als ich selbst, war nahezu märtyrerhaft.  

Seit 2017 besaß ich also kein Auto mehr – und erzählte auch allen ungefragt, wie gut das in der Großstadt, in der ich derzeit lebe, funktioniere. Wie einfach die Seen und anderen Ausflugsziele außerhalb von München mit Bus und Bahn erreichbar seien und sowieso, die ganze Zeit, die ich jetzt aufgrund der ausbleibenden Parkplatzsuche sparen würde – ganz toll! Sogar, als ich Mutter wurde, verzichtete ich weiterhin aufs Auto, „Bahnfahren ist ja auch für den Kleinen viel stressfreier“. Und für die ganz komplizierten Reisen gibtes ja immer noch Car-Sharing und Mietwagen. Rückblickend muss ich zugeben: Ich erfüllte ein bisschen das Missionierende-Veganer*innen-Klischee – nur eben in Bezug auf Autos.

Dann kam Corona und ich musste erkennen, was mich von echten Umweltschützer*innen trennt: Beim kleinsten Rückschlag brach meine ach so tolle Überzeugung sofort in sich zusammen. Wie eine Veganerin, die besoffen genussvoll Döner isst, mieteten meine Familie und ich uns schon bei der leisesten Vorahnung eines Shutdowns einen Mietwagen für mehrere Wochen. 

Hier drin, zwischen Radio-Gedudel und Cheeseburger-Resten, bin ich sicher

Und was will ich mir vormachen: Ich genieße jede Sekunde damit. In Zeiten, in denen Menschen in Supermärkten Handschuhe und Schweißerhelm-artige Kopfbedeckungen tragen, fühle ich mich in meinem popeligen Renault wie eine Politikerin in einer gepanzerten Limousine. Die Welt draußen ist toxisch und gefährlich, aber hier drin, zwischen Radio-Gedudel und Cheeseburger-Resten, bin ich sicher. Und wenn ich wollte, könnte ich damit morgen an die Nordsee fahren. Dass ich es nicht tue – geschenkt. Es geht ja eher darum, sich einzureden, dass gewisse Freiheiten weiterhin möglich sind – auch wenn das Auto die meiste Zeit geparkt vor der Haustür steht.

Natürlich gab es für die Entscheidung „pro Auto“ einige Argumente, die ich auch rational gut nachvollziehbar finde: Öffentliche Verkehrsmittel sollten nur noch von Menschen genutzt werden, die sie wirklich brauchen, und dann bitte mit Mundschutz und möglichst kontaktfrei. Mein zweijähriger Sohn, der neulich ernsthaft eine Hauswand abgeleckt hat und in Bussen und Bahnen jeden Knopf antatscht, der irgendwie leuchtet, wäre dabei ein Risiko für andere Menschen. Und was, wenn wir dringend zum Arzt müssten? Irgendwann auch wieder zur Kita? Oder zu einem Corona-Test-Drive-In?

Die Wahrheit ist natürlich um einiges ernüchternder: Bei einer weltweiten Pandemie ist  erstmal jede*r sich selbst am nächsten – auch ich. Und damit bin ich nicht alleine. Eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt prognostizierte kürzlich ein Revival des Autofahrens, insbesondere bei jungen Städter*innen – weil man sich darin eben so wohl und sicher fühle. Das ist als Erkenntnis nach jahrelangem Kampf fürs Klima natürlich absolut deprimierend – aber auch nachvollziehbar: Da für dieses Jahr sowieso nichts mehr mit Sicherheit planbar ist, scheint es fast absurd, sich über die Folgen des jetzigen Handelns für die Erderwärmung in 20 Jahren Gedanken zu machen. Papp-Coffee-to-go-Becher? Überflüssiges Online-Shopping, weil sonst ja nix los ist? Essen vom Lieferservice in Kunststoffverpackungen? Nutzen jetzt wieder viele, die es sich vorher selbst verboten haben. Auch, weil es aus Hygiene- oder Logistikgründen gar nicht anders geht. Kann man ja auch gut für sich selbst argumentieren: Der Bäcker um die Ecke muss ja auch weiter unterstützt werden, auch wenn er den Kaffee jetzt nicht mehr in den mitgebrachten Mehrwegbecher einfüllen darf.  

Auch ich sage mir: Dadurch, dass ich seit mehreren Wochen Mietwagen fahre, kurble ich quasi die Wirtschaft an. Ich unterstütze die darbende Autoindustrie! Dass ich damit auch Zugang zu den wenigen verbleibenden Unterhaltungsmöglichkeiten habe (Autokino! McDrive!) nehme ich natürlich mit Freuden hin. Und dadurch, dass aktuell niemand mehr Flugreisen macht, ist unsere CO2-Bilanz derzeit ja eh top, die Klimakatastrophe quasi vertagt. Ein Aperol Spritz im Plastikbecher wird da nicht weiter ins Gewicht fallen.

Vermutlich hilft als einziges, den derzeitigen Ausnahmezustand wirklich als „Ausnahme“ zu begreifen

Tut er aber leider, wenn sich jetzt alle so umweltsaumäßig verhalten wie ich. Da kann man noch so viel davon fantasieren, dass wir nach dem Ende der Pandemie unsere Wirtschaft ganz neu auf Nachhaltigkeitsprinzipien errichten werden. Zum einen wird diese Pandemie nicht vom einen auf den anderen Tag „vorbei“ sein, sie wird noch lange unser Denken und Handeln beeinflussen. Eine S-Bahn oder auch Einzelhandelsgeschäfte werden nicht mehr das Gleiche wie vorher für uns sein, wenn sie monatelang als „gefährliche Orte“ galten, an denen fremde Menschen einen mit einem potenziell tödlichen Virus infizieren könnten. Dann doch lieber mit dem Auto zur Arbeit fahren und auf Zalando bestellen. 

Vermutlich hilft da als einziges, den derzeitigen Ausnahmezustand wirklich als „Ausnahme“ zu begreifen und sich aktiv anzustrengen, aus dieser Umweltsau-Phase danach auch wieder rauszukommen – auch wenn es natürlich sehr anstrengend wird. Ich habe zumindest beschlossen, beim zeitlich befristeten Mietwagen zu bleiben und mir kein Auto dauerhaft zu leasen oder zu kaufen. Dann kann ich mir, wenn ich das Auto zurückgebe, zumindest einreden, dass ich nun wieder sehr viel Geld spare, das ich in Online-Shopping … ähm, ich meine natürlich in die Kompensation des CO2-Ausstoßes meiner nächsten Flugreise stecken werde. Es wird wirklich höchste Zeit, dass Greta Thunberg und Fridays for Future mir auch auf der Straße wieder ein schlechtes Gewissen machen.

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