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Liebeserklärung an die Großküche
Verkochtes Gemüse, lasche Pommes und matschiger Reis mit weißer Soße: Das Wort Mensa ruft bei den meisten Menschen eher negative Gefühle hervor. Kein Wunder, schließlich sieht die Realität in den meisten deutschen Großküchen auch recht trist aus. Kantinen erfreuen sich hierzulande nicht gerade großer Beliebtheit, das zeigen auch die Zahlen: Nur drei Prozent der Deutschen essen täglich in einer Kantine oder Mensa, nur knapp jede:r Sechste einmal in der Woche und rund zwei Drittel nie.
Ich hingegen bin bekennende Liebhaberin der Großküche und wünschte, es gäbe mehr davon – auch außerhalb von Schulen, Unis und großen Firmen. Zugegeben: Meine Liebe für Mensen konnte sich nur dadurch entfalten, dass während meines Studium eine gute Kantine Teil meines Alltags wurde. Denn in der Mensa der Uni Freiburg gibt es jeden Tag fünf verschiedene Gerichte unterschiedlicher Preiskategorien. Mindestens vier davon sind vegetarisch und zwei meist vegan. Damit richtet sich die Auswahl nach dem Bedarf der Besucher:innen. Und trotz der Inflation kostet der Veggie-Cheeseburger mit Pommes und Salat – Stand September 2023 – nur 2,95 Euro und das Mangold-Linsen-Curry mit Basmatireis und Naanbrot 3,35 Euro. Ganz ehrlich: Wer will bei solchen Deals noch Zeit damit verbringen, abends Essen vorzukochen und in Tupperdosen zu füllen?
Im Alltag ist das Kochen zuhause selten romantisch
Damit möchte ich natürlich nicht sagen, niemand solle mehr für sich selbst kochen. Ich koche auch sehr gerne. Am liebsten Spinatcannelloni, bei ein oder zwei Gläsern Wein neben dem Herd und entspanntem Jazzgedudel im Hintergrund. Aber so romantisch sieht die Realität leider selten aus. Stattdessen endet es meist mit einem weiteren gestressten Supermarktbesuch auf dem Heimweg, bei dem ich mich mal wieder für die veganen Fertigmaultaschen entscheide. Denn mir fehlen schlicht Zeit und Energie, um drei ausgewogene Mahlzeiten am Tag zusammenzustellen. Und regelmäßig auswärts essen zu gehen ist ein Luxus, den sich die wenigsten leisten können. Doch es gäbe eine Alternative – und eines unserer Nachbarländer hat das schon lange begriffen.
In Polen gibt es sogenannte Milchbars, auf Polnisch „Bar Mleczny“. Hier werden Nationalgerichte in schmucklosem Ambiente zu unschlagbaren Preisen aufgetischt: Es gibt Piroggen, eine Art gefüllte Teigtaschen, und Barszcz, eine Suppe aus roter Beete – alles vom Staat subventioniert. Ein Mittagsgericht kostet dadurch meist keine drei Euro, wobei man natürlich einberechnen muss, wie viel günstiger die Lebensmittelpreise in Polen verglichen mit Deutschland sind.
Diese Milchbars sind nicht neu, es gibt sie bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Damals wurden vor allem Milch- und Mehlspeisen verkauft, daher der Name. Das Angebot eines günstigen vegetarischen Essens ermöglichte ärmeren Menschen, sich eine warme Mahlzeit zu leisten. Zwar schrumpfte die Zahl der Milchbars nach dem Ende des Ostblocks auf einige hundert, beliebt sind sie aber noch immer.
Großküchen können insbesondere Frauen entlasten
Das ist wenig überraschend, schließlich leisten sie einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag, indem sie insbesondere Frauen im Alltag entlasten. Denn noch heute ist der Haushalt in den meisten Familien ihre Aufgabe: Sie übernehmen täglich etwa eineinhalb Stunden mehr Sorgearbeit als Männer. Und in der Lebensphase, in der Kinder ins Spiel kommen, ist der sogenannte Gender Care Gap sogar noch höher: Frauen Mitte 30 leisten jeden Tag mehr als doppelt so viel Care-Arbeit wie Männer. Gerade berufstätigen Müttern würde es helfen, wenn sie mehrmals in der Woche mit ihren Kindern in eine helle und gemütliche Kantine gehen könnten, statt jeden Abend noch einkaufen, kochen und alles wieder aufräumen zu müssen.
Und dann wäre da noch der wohl schönste Nebeneffekt: In Kantinen treffen Menschen aufeinander und so könnten Großküchen auch bei uns ein Weg sein, der voranschreitenden Vereinsamung entgegenzuwirken. Denn bereits vor der Pandemie fühlte sich jede:r sechste Deutsche einsam. Hinzu kommt, dass gerade für ältere Menschen ständiges Einkaufen und Kochen schnell anstrengend wird. Und für die zwei Fünftel der Deutschen, die alleine leben, lohnt es sich oftmals schlicht und einfach nicht, nur für sich zu kochen.
Der Staat sollte dabei helfen, eine ausgewogene Ernährung für alle zu ermöglichen
In Großküchen hingegen könnten sie alle bei al dente gekochten Spaghetti mit Hackfleisch- oder Veggie-Bolognese für maximal fünf Euro pro Mahlzeit zusammen am Tisch sitzen. Denn zumindest theoretisch müsste die Großküche erschwingliche Preise ermöglichen. Lebensmittel in großen Mengen zu kochen ist in der Regel effizienter und daher auch günstiger. Erst recht, wenn der Staat mitzahlt, wie es in Polen der Fall ist.
Doch genau hier liegt das Problem: Das Konzept der Großküche ist nicht darauf ausgelegt, viel Profit zu erwirtschaften. Damit hat sie es heutzutage nicht leicht. Dabei wäre es so wichtig, eine ausgewogene Ernährung der Bevölkerung als Teil der öffentlichen Infrastruktur und des Sozialstaates zu sehen. Denn durch die andauernde Inflation haben immer mehr Menschen Schwierigkeiten, sich vollwertige Mahlzeiten zu leisten. Und insbesondere jene Kinder, die von Armut bedroht sind – in Deutschland ist das jedes fünfte – könnten so regelmäßig eine warme und gesunde Mahlzeit zu sich nehmen.
Gut ankommen würde diese neue Form der Großküche auch in Deutschland, da bin ich mir sicher. Liest man sich durch Reiseblogs von deutschen Tourist:innen in Polen, berichten viele begeistert von den Milchbars und empfehlen einen Besuch. Warum also bringt man das Modell nicht über die Grenze? Ich wäre die Erste, die sich in die Schlange stellt. Damit Kochen keine lästige Alltagsaufgabe mehr ist, die mich dazu bringt, Tütensuppen oder Nudeln mit Pesto zu essen. Sondern ein Hobby fürs Wochenende oder schöne Abende mit Freund:innen.