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Sagt öfter „Ist mir egal!“

„Du, äh, ich... hab da keine Präferenz, bin mit allem zufrieden...“
Illustration: Federico Delfrati

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Eine für mein Leben (vor der Pandemie) typische Situation sieht ungefähr so aus: Ich bin mit einer Freundin verabredet und sie fragt, was ich machen möchte. Ob wir uns bei ihr, bei mir oder in einer Bar treffen sollen? Wenn mir eine dieser Optionen wegen akuter Müdigkeit, akutem Bewegungsdrang oder aus finanziellen Gründen besonders taugt, sage ich das. Aber oft genug kommt es vor, dass es mir egal ist, weil es mir ja darum geht, diese Freundin zu sehen, nicht darum, an welchem Ort das passiert. Und dann sage ich das auch: „Ist mir egal.“ Das Problem ist: Die Reaktion meiner Freundin daraufhin bewegt sich meist irgendwo zwischen genervtem Augenrollen und betrübtem Seufzen. 

Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Aussage „Ist mir egal“ verboten ist. Das war schon früher so. Im Freundeskreis galt ich oft als die, die alles mit sich machen lässt und sich nicht traut zu sagen, was sie will. Aber oft wollte ich eben wirklich nichts Bestimmtes und darum denjenigen die Entscheidung überlassen, für die es ein echtes Problem gewesen wäre, in Bar A statt in Bar B zu gehen. Ich fand das eigentlich sehr nett von mir. Von Seiten der Freund*innen wurde es trotzdem mit einem „Oaaar, war ja klar!“ quittiert. 

Alle wollen es allen recht machen, niemand will niemanden vor den Kopf stoßen, alle sollen sich ganz und gar wohlfühlen

Je älter ich werde, umso schlimmer wird diese Situation. Weil ich immer häufiger vor irgendwelche nebensächlichen Entscheidungen gestellt werde. Alles wird ständig und überall abgefragt: Was willst du essen, wann wollen wir los, wo sollen wir hingehen, wie viel Uhr passt dir am besten, in welcher Farbe soll’s sein, groß oder klein, morgen oder übermorgen, per Post oder per E-Mail, Skype oder Telefon, Fenster auf oder Fenster zu? Klassisches First-World-Problem, ich weiß – aber genau darum lautet meine Antwort ja auch so oft: „Ist mir egal!“ Mach halt einfach das Fenster zu oder schick mir einen Brief, ich sag dann schon, wenn mir das nicht passt! 

Hinzu kommt, dass der schlechte Ruf von „Ist mir egal“ immer schlechter geworden ist. Nichts wird mehr gemacht, ohne vorher einen Konsens einzuholen, als wären wir alle eine basisdemokratisch organisierte Gruppe linker Aktivist*innen und müssten erstmal abstimmen, wie wir abstimmen, bevor wir abstimmen. Alle wollen es allen recht machen, niemand will niemanden vor den Kopf stoßen, alle sollen sich ganz und gar wohlfühlen – und vor allem soll jede*r zu allem eine Meinung haben. Denn wer keine Meinung hat, und sei es nur zur Wahl des Mittagessens, der*die ist ein Fähnlein im Wind, nicht ganzheitlich und konsequent in seinen*ihren Entscheidungen und keine ernstzunehmende, gefestigte Persönlichkeit!

Manchmal kommt mir das Leben darum mittlerweile vor wie eine Bestellung an der Subway-Theke. Man will ein Sandwich, aber bis man es kriegt, muss man gefühlte hundert Fragen beantworten: Welches Brot, getoastet oder nicht, welcher Belag, scharf oder nicht scharf, welche Sauce? Wie schön wäre es, wenn man einfach sagen könnte: „Mir egal!“ Meinetwegen auch mit dem für die verunsicherte Person beruhigenden Zusatz: „Mach einfach, wie du denkst, ich esse es sicher und ich werde mich auch nicht beschweren, versprochen.“ Aber macht man nie. Weil man sich verpflichtet fühlt, jetzt sofort genau zu wissen, was man will. Ansagen zu machen. Tief in sich zu spüren, dass die „Chipotle Southwest“-Sauce genau das Richtige für einen ist, und nicht etwa die „Hickory Smoked BBQ“. 

Ich glaube, es ist auch die Formulierung an sich, die auf Widerstand stößt. „Ist mir egal“ klingt für viele nach Wurschtigkeit und irgendwie beleidigend. Als würde man sich für all die tollen Vorschläge und Auswahlmöglichkeiten des Gegenübers nicht interessieren. Dabei bedeutet es meistens einfach nur, dass man in dieser Sache genügsam ist. Ich habe darum angefangen, Formulierungen zu wählen, die weniger hart klingen, zum Beispiel „Ach du, ich hab da keine Präferenz“ oder „Ich bin mit allem zufrieden“. Manchmal wirkt das Wunder. Manchmal auch nicht und dann rollen wieder Augen. Ich würde dann gerne sagen, dass es doch völlig egal ist, wenn mir das hier gerade egal ist, solange es mir nicht egal ist, wer im Bundestag sitzt und ob das Rettungschiff auf dem Mittelmeer in einen Hafen einlaufen darf oder nicht – aber ich fürchte, das würde alles nur noch schlimmer machen, auch, wenn’s stimmt. 

Lasst uns öfter nach dem Grundsatz „Freiheit, Egalheit, Brüderlichkeit“ leben

Natürlich ist mir klar, dass auch kleine Entscheidungen getroffen werden müssen. Wenn allen alles egal ist, steht man für immer an der Straßenecke und geht nirgendwohin. Aber wenn mir etwas wirklich egal ist, will ich das sagen dürfen, damit jemand, dem*der es nicht egal ist, die Chance hat, zu entscheiden. Und wenn es uns allen egal ist, können wir ja einfach eine Münze werfen (macht man eh viel zu selten). 

Ich wünsche mir darum, dass „Ist mir egal“ endlich als valide Meinungsäußerung anerkannt wird. Und dass mehr Menschen sich trauen, Dinge egal zu finden – oder sich einzugestehen, dass sie ihnen egal sind. Ich glaube, das wäre sehr befreiend: Wir könnten dann öfter den Zufall entscheiden lassen und niemand wäre mehr eingeschnappt, wenn man aus seinen*ihren Vorschlägen keinen bestimmten auswählen möchte. 

Vielleicht klappt es, wenn wir uns auf die Herkunft des Wortes zurückbesinnen: „Egal“ kommt vom Französischen „égal“ und das bedeutet „gleich“ oder „ebenbürtig“. „Ist mir egal, was wir machen“ bedeutet also eigentlich: „Hey, du, alle deine Vorschläge sind ebenbürtig, alles, was wir tun könnten, ist gleich viel wert!“ Also lasst uns im Alltag einfach öfter nach dem – frei aus dem Französischen übersetzten – Grundsatz „Freiheit, Egalheit, Brüderlichkeit“ leben! Macht egal legal! Findet alles gleich gut, lasst irgendwen anders entscheiden, seid indifferent, leidenschaftslos, ohne Präferenz und mit allem zufrieden, denn egal ist manchmal richtig gut!

Dieser Text wurde zum ersten Mal am 15. September 2019 veröffentlicht, aber weil er so schön ist, am 12. November 2020 noch einmal aktualisiert.

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