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Macht mal wieder öfter eine Szene

Man sieht vielleicht crazy aus, aber immerhin wissen alle, woran sie sind.
Illustration: Julia Schubert

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Meine Facebook-Timeline ödet mich an. Nicht nur wegen der Algorithmen, die mir Werbung reinspülen. Nein, es sind meine Facebook-Freund*innen, die nur noch super eintönige Sachen posten: Mit Spritzer in der Abendsonne (#lovemylife), Selfies beim Joggen (Halbmarathon smileyyy) und der Klassiker: „Kennt jemand jemanden, der eine Wohnung in Hamburg zu vergeben hat?” Absolut keine Ahnung, wie es den Menschen dahinter wirklich geht. Vor sechs Jahren herrschte da noch ein ganz anderer Ton: Fotos von Knutschenden in irgendwelchen dreckigen Dissen, Menschen, die total unironisch den Beziehungsstatus „Es ist kompliziert“ angegeben haben und deepe Sprüche über Freundschaften.

Vorbei. Man ist jetzt erwachsen – nicht nur digital, sondern auch analog. Paare, die sich Mitte-Ende-Zwanzig trennen, schleudern sich kein „Du mich auch, du Pfosten“ mehr entgegen, sondern ein: „Danke für die tolle Zeit, die wir zusammen hatten“. Conscious uncoupling à la Gwyneth Paltrow ist das, mit viel Verständnis für die Gefühle des anderen – nicht nur in romantischen Beziehungen, sondern auch in Freundschaften. Wenn einer mal frustriert ist, behält er das schön für sich, macht es mit sich selber aus. Deeskalierend, diplomatisch, erwachsen. Richtig bescheuert. 

Mann, ich vermisse das Drama! Kündigt euren Exen doch nicht nur die Facebook-Freundschaft, sondern postet auch noch ein Kack-Emoticon an ihre Pinnwand. #WTF #entfriended #kissmyass. Schreibt lange, verschwurbelte Whatsapp-Nachrichten, die vor getroffenem Stolz triefen, ruft aus der Ubahn an und heult auf Mailboxen, lästert bei gemeinsamen Freunden, kurz: Lasst euch gehen, lasst es raus, macht ‘ne Szene. Lebt die Scheiße.

Zugegeben: Es ist meistens nicht sonderlich konstruktiv, der anderen Person zu sagen, was für eine dumme Sau er oder sie eigentlich ist. Deswegen hört man mit dem Erwachsenwerden irgendwann auf, Highschool-Dramen zu schieben. Stattdessen lernt man alternative Kommunikationsstrategien: von „Ich-Formulierungen“ bis zum „Feedback-Sandwich“ und dem rational-pragmatischen Klärungsgespräch mit Mediator*in. Lauer Kaffee verursacht mehr Adrenalin.

Freund*innen kommen, Freund*innen gehen, Lebensträume zerplatzen, man zieht in eine andere Stadt, man verliebt sich, man entliebt sich. Anstatt wie früher ein Fass deswegen aufzumachen, wollen wir damit nicht auffallen. Bloß nicht peinlich sein. Schwäche zuzugeben ist ätzend und man will das auch niemanden zumuten – dieses ewige Chaos der eigenen Gefühle. Die anderen haben schließlich auch ihre eigenen Probleme!

Nichts sagen ist schlimmer als streiten

Während uns also das Herz in Schmirgelpapier gewickelt in der Brust liegt, lächeln wir und sagen: „Ach kein Problem, das geht vorbei.“ Und meistens geht es dann tatsächlich vorbei. Aber keiner merkt, wie heftig es um einen steht. Erwachsen sein ist ein einsames Business. Dabei geht es auch vorbei, wenn man zwischendrin mal einen kleinen Schreianfall kriegt. Sich heulend im Bett wälzt und pathetisch das eigene Kissen boxt. Seiner besten Freundin oder seinem besten Freund 18 Minuten lange Sprachnachrichten schickt, wie uhuhuuhuuungerecht alles ist.

Drama ist eine Lebensentscheidung: Sag ja zum Ausdruck deiner Gefühle. Es braucht absoluten Todesmut, um die große Liebe nachts um zwei Uhr betrunken anzurufen. Aber wenn sonst nichts dabei rumkommt, ist es wenigstens eine gute Geschichte. Und Gefühle zu zeigen, heißt, dass man Gefühle hat. Dass es einem eben nicht scheißegal ist. Eigentlich etwas schönes.

Das Beste am Drama ist die Transparenz. Du berichtest ehrlich über deinen emotionalen Leidensstand. Dein Gegenüber bekommt die Chance darauf zu reagieren. Sich zu rechtfertigen, seine eigene Interpretation vom Geschehenen loszuwerden. Das geht theoretisch natürlich auch in einem normalen Gespräch. Aber oft hat man einen dermaßenen Schiss vor der Eskalation, dass man doch lieber den Mund hält und nichts sagt. Das ist viel schlimmer als der Streit selber: Es zeigt, dass man null Vertrauen in die Standhaftigkeit der Beziehung, der Freundschaft hat. Dann doch lieber Drama.

Manchmal muss man den inneren Teenager rauslassen

Wenn es richtig gut läuft, hilft ein Ausraster sogar bei einer Versöhnung. Nach einem kleinem Nervenzusammenbruch ist klar, was eigentlich Phase ist. Da hat man wenigstens etwas, wofür man sich im Nachhinein entschuldigen kann, etwas worüber man sich versöhnen kann. Und wenn man erst einmal miteinander am Küchentisch geheult hat, ist es schwer so zu tun, als ob einem eine Beziehung nichts wert ist. 

Und auch dritte, nicht-beteiligte Menschen haben etwas von mehr zur Schau gestellten Gefühlen. Erstens ist es, ja das klingt zynisch, unterhaltsam. Zweitens kann man miteinander leiden. Und wenn du drüber weg kommst, das Drama vorbei geht, sind auch Freunde und Familie froh zu sehen, dass du wirklich heilst – und nicht nur so tust. 

Es gilt natürlich auch andersherum: Wenn du richtig verliebt bist, sei nicht zu cool, zu einem oder einer brabbelnden, labbelnden, händchenhaltenden, knutschenden Fünfzehnjährigen zu degenerieren. Man muss nicht nur sein inneres Kind pflegen, man muss auch den inneren Teenager rauslassen. Der macht nämlich alles aufregender. 

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals am 01.09.2019  und wurde am 27.02.2021 nochmals aktualisiert und veröffentlicht. 

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