Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Was ist der „White Gaze“?

Foto: Jurien Huggins / Unsplash / Bearbeitung: jetzt

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Bücher werden für weiße Menschen geschrieben. Sowie Filme, Bilder, Technologien – die gesamte Welt. Kolumbus entdeckte Amerika und POC-Autor*innen, unabhängig ihres Genres, werden in der deutschen Buchbranche unter die „Ausländer*innen“-Literatur sortiert. Für dieses Phänomen gibt es eine Bezeichnung und zwar White Gaze. Es tritt immer dann auf, wenn geschaffene Kunst und Kultur von Schwarzen Menschen, in einem weißen Ethnozentrismus (Anm. d. Red.: eine Weltanschauung, nach der die eigene Gruppe als den anderen überlegen verstanden wird) bewertet wird. Weißsein ist der Standard, normal, der Maßstab, der sich wie ein Deckmantel über die gesamte Welt legt. Alles, was dem nicht entspricht, ist nicht gut, falsch, nicht schön oder anders.

Die meisten Bücher werden mit den Blick auf eine weiße Leserschaft geschrieben

Es war die afroamerikanische Autorin Toni Morrison, die das Konzept vom „White Gaze“ nutzte, um auf ein Phänomen in der Literaturszene aufmerksam zu machen. Die meisten Bücher – die sowohl von Schwarzen als auch von weißen verfasst werden, werden mit den Blick auf eine weiße Leserschaft geschrieben. Aus diesem Grund dient das geschaffene Material dazu, die Erfahrungen von weißen Menschen zu erklären und in einen Kontext zu stellen, während es gleichzeitig die Erfahrungen und Persönlichkeiten der Schwarzen als eine Möglichkeit nutzt, das Wachstum der weißen Charaktere zu unterstützen – ohne viel mehr über das Leben des Schwarzen Charakters zu bieten. Du kennst es vermutlich. Die coole und lässige beste Freundin, mit Eiscreme und einen witzigen Spruch steht sie zur Seite –  die ewige Nebenrolle. Dieses Bild unterstützt White Supremacy – das Konzept, dass Weißsein die Norm ist.

„Our lives have no meaning, no depth without the white gaze. And I have spent my entire writing life trying to make sure that the white gaze was not the dominant one in any of my books.“ – Toni Morrison 

 Weißer Ethnozentrismus beinhaltet die Idee, dass alles, was existiert, für den Konsum des White Gaze bestimmt ist, so Malik Pitchford im 14East. Die Vorstellung, dass einige Formen von Medien und Kultur nicht explizit mit Blick auf weiße Menschen produziert werden, kann für diese weißen Konsument*innen manchmal respektlos und ungültig erscheinen. Letzteres ist etwas, über das ich immer wieder stolpere, sobald ich das Konzept von RosaMag beschreibe. Viel zu häufig hörte ich die erstaunte Frage, ob es nicht separatistisch sei, ein Magazin nur für Schwarze Menschen zu konzipieren? Ich spiele die Frage gern zurück, denn ein Blick auf die Magazinwelt in Deutschland zeigt uns: Dass jedes, wirklich jedes, Magazin für weiße Menschen geschaffen wird. Wie würde die Welt denn mit einem Black Gaze aussehen? Es ist schier unmöglich sich das vorzustellen und ein Beispiel ist die Geschichte des HipHops.

Erst mit der Akzeptanz durch den White Gaze wurde HipHop eine etablierte Musikrichtung

Die Definition von „White Gaze“ laut dem Urban Dictionary

„To be black in America gives one the ever-present feeling that you have to explain or excuse why you are occupying spaces that are meant — or feel as though they are meant — solely for white people, crouched in a posture of defensive vigilance, susceptible to the intended occupiers’ insults, condescension or violence when our bodies occupy those spaces. When those spaces are particularly wealthy, there’s the expectation that you’ll be additionally subjected to a host of snide insults or barbs aimed at your expressions of race, while asked to both stand in for all members of it and be able to joke about how you aren’t like „those people.“

In „Rap and Race: It’s Got a Nice Beat, but What about the Message?“, einem Artikel im Journal of Black Studies, schreibt Rachel E. Sullivan: „In den Anfangsjahren waren die Fans des Raps vor allem Schwarze und Latinos; in den 1980er Jahren nahm die Popularität der Rap-Musik jedoch dramatisch (drastisch) zu.“ Ab Ende der 80er wurde Rap nicht mehr nur als „Trend“, sondern als Musikform anerkannt, so Sullivan. Erst mit der Akzeptanz durch den White Gaze wurde HipHop eine etablierte Musikrichtung. Und das ist das Paradoxe am White Gaze. Zwar kann der weiße Blick Schwarzen Künstler*innen materiell durch Dinge wie finanzielle Unterstützung und Sichtbarkeit zugute kommen, aber Schwarze Künstler*innen fühlen sich dennoch in einem Konflikt, weil die Abhängigkeit von weißen Menschen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, eine Ironie ist, die nicht nur Alltag in den USA ist, sondern auch hier in der Bundesrepublik. Das Fazit von Sullivans Studie lautete, dass sich Schwarze Menschen überproportional persönlich mit den Themen und Botschaften des Hip-Hop identifizieren können. Für die einen ist es Unterhaltung, für die anderen mehr. Das zeigt ein Video, das vor zwei Jahren viral ging.

Sie wiederholt das N-Wort so häufig, bis Kendrick und sein DJ die Musik stoppen

Ein im Mai 2018 aufgetauchtes Video einer weißen Frau bei einem Kendrick-Lamar-Konzert enthüllt die Distanz, die das Hip-Hop-Genre von seinen weißen Konsument*innen hat, so Pitchford. Das Video zeigt eine weiße Frau, die auf die Bühne eingeladen wird, um „m.A.A.A.d. City“ zu singen. Das Lied beginnt und sie singt das Intro und geht in die Hook, in der Kendrick das N-Wort viele Male sagt. Sie wiederholt das Wort so häufig, bis Kendrick und sein DJ die Musik stoppen. Das Publikum versteht sofort ihren Fehler – die Frau selbst sagt: „Bin ich nicht cool genug für dich? Was ist los, Bruder?“ Kendrick antwortet: „Du musst aber ein einziges Wort piepsen“, worauf sie antwortet: „Oh, tut mir leid. Habe ich das getan? Oh, es tut mir so leid. Ich bin es gewohnt, es so zu singen, wie du es geschrieben hast.“

Die einzige Lösung ist, sich dieses Prozesses bewusst zu sein

Kendrick gibt ihr noch eine Chance, auf der Bühne mitzusingen, aber es klappt nicht, und der Sicherheitsdienst eskortiert sie von der Bühne. „m.A.A.A.d. City“, ein Lied mit explizitem Text, erzählt die grobe Geschichte von Kendricks Erziehung in Compton. Der White Gaze gibt weißen den Glauben, dass alle Kulturen für ihren Konsum bestimmt sind. Von Musik, Bilder, Literatur – Kunst generell. White Gaze dient dazu, den kulturellen Ausdruck von Schwarzen durch weiße Ethnozentrik einzuschränken. Die einzige Lösung ist, sich dieses Prozesses bewusst zu sein. Für Schwarze und weiße Konsument*innen. Pitchford ist überzeugt, dass es wichtig sei, dass weiße Menschen ihren Blick anerkennen, wenn sie mit der Schwarzen Kultur interagieren, um ihre Vorstellungen davon, was die Schwarze Kultur repräsentieren sollte, nicht aufzuzwingen. Diese Achtsamkeit wird dazu beitragen, die kulturelle Souveränität und Identität der Schwarzen zu schützen.

*Dieser Text ist zuerst bei RosaMag erschienen, mit dem die jetzt-Redaktion kooperiert. RosaMag ist das erste Online-Lifestylemagazin für Schwarze Frauen und Freund*innen. Und das ist wichtig, denn: Es gibt drei Magazine über Weihnachtsbäume, zwei über UFOS und ZERO über das Leben, die Gedanken und Perspektiven von Schwarzen Frauen im deutschsprachigen Raum. Bis jetzt. Das afrodeutsche Journalistinnen-Kollektiv informiert, inspiriert und empowert.

  • teilen
  • schließen