- • Startseite
- • Kultur
-
•
Synästhesie und Kunst: Melissa McCracken malt Musik
Melissa McCracken ist 28 Jahre alt und lebt und arbeitet als Künstlerin in New York City. Ihre Werke sind besonders. Denn Melissa hat Synästhesie, ihre Sinne sind also durch zusätzliche neuronale Verbindungen miteinander verknüpft. Wenn sie hört, sieht sie gleichzeitig Farben. Sie malt daher, was wir nicht sehen können: Songs.
jetzt: Melissa, was passiert in deinem Kopf, wenn du Töne hörst? Melissa McCracken: Ich sehe Farben, Texturen, Muster, eine gewisse Aura zu dem jeweiligen Song. Man kann sich das vielleicht vorstellen wie manche Erinnerungen, die man noch sehr bildlich im Kopf hat. Synästhesie gibt es theoretisch bei allen Sinnen, Synästhesist*innen erleben das nicht immer gleich: Manche können Worte schmecken oder Zahlen fühlen. Bei mir gehört vor allem Hören und Sehen zusammen. Weil viele Songs sehr komplex sind, können da ziemlich interessante Bilder entstehen.
Diese Bilder zeigst du der Welt inzwischen. Du machst daraus ja Kunst. Genau, seit einigen Jahren male ich die Songs, so wie ich sie in meinem Kopf sehe. Meistens mit Öl auf Leinwand.
Wie wählst du die Songs aus, die du malst?
Meistens male ich Stücke, die mich emotional besonders berühren. Oft sind es Lieder, die mich irgendwie an meine Kindheit erinnern, zu denen ich deshalb ein ganz besonderes Verhältnis habe. Aber manche Songs sehen einfach nicht so spannend aus. Die male ich dann eher nicht.
Melissas Bilder sind meist nach den Songs benannt, die sie darin einfängt. „Unstoppable“ zeigt „Unstoppable“ von Lianne La Havas.
„Two of Us On the Run“ - „Two of Us On the Run“ von Lucius.
„At Last“ - „At Last“ von Etta James.
„Pavane“ - „Pavane“ von Gabriel Fauré.
„See Lookit, That’s Yours“ ist eines der wenigen Bilder, die nicht nach Songs benannt sind. Die Vorlage ist hier „Blood Bank“ von Bon Iver.
Welche Musik sieht denn langweilig aus?
Zum Beispiel die von Singer-Songwritern. Da passiert akustisch schon weniger, das spiegelt sich dann optisch auch wider. Songs, in denen viele Instrumente oder Stimmen vorkommen, sind viel aufregender.
Kannst du Musik genießen, wenn sie nicht schön aussieht?
Ja. Zum Anhören finde ich Singer-Songwriter oft ganz gut. Der Klang eines Songs ist mir immer noch wichtiger als sein Aussehen. Was vielleicht dadurch bedingt wird, dass Songs nie richtig hässlich aussehen. Die können sich furchtbar anhören, aber das Bild ist am Ende immer erträglich.
„Ich malte die Schritte meiner Mutter, an denen ich immer erkannte, dass sie Zuhause war“
Nimmst du für deine Bilder auch „Musikwünsche“ von anderen entgegen? Oder bist du da so rigoros wie manche DJS im Club?
Ich nehme Wünsche natürlich an, ich liebe das. Erstens, weil ich so immer wieder neue Musik kennenlerne. Und zweitens sind das meistens Lieder, die anderen Menschen extrem viel bedeuten. Kund*innen schicken mir beispielsweise Songs, die für ihre Beziehung stehen – das Bild dazu wird dann zur Hochzeit verschenkt. Das ehrt mich einfach.
Wann und wie fiel dir auf, dass du Synästhesistin bist?
Ich habe erst mit 15 oder 16 Jahren gemerkt, dass es besonders ist, farbig zu hören. Ich hatte mir gerade einen Klingelton für mein Handy ausgesucht und erzählte einem Freund davon, dass ich endlich den Ton mit der passenden Farbe zu meiner Handyhülle gefunden hatte. Der Song war orange, die Hülle war blau. Da war er total fassungslos. Ich dachte erst, er wäre der Außergewöhnliche. Erst später wurde mir klar, dass ich diejenige war, die anders ist.
Wann hast du dann angefangen, Lieder zu malen?
Privat schon lange vorher, als Kind würde ich sagen. Kunst hat mich schließlich schon immer interessiert und die Bilder waren schon immer in meinem Kopf. Zum Beruf habe ich das aber erst nach der Schule gemacht, so mit Anfang 20.
So sieht Melissas Version von „Little Wing“ aus, basierend auf „Little Wing“ von Jimi Hendrix. Es ist ihr Lieblingsbild, sie verbindet ihre Familie mit dem Lied.
„Julia“ - „Julia“ von The Beatles.
„Life on Mars?“ - „Life on Mars?“ von David Bowie.
„Freedom“ - „Freedom von Tim Fain“.
„Ex-Factor“ - „Ex-Factor“ von Lauryn Hill.
Hast du auch mal andere Geräusche gemalt als Musik?
Ja, tatsächlich. Ich habe als Kind mal mit dem Ohr auf der Brust meines Vaters gelegen, während er sich mit Freunden unterhielt. Später habe ich dann seine Stimme gemalt. Ein anderes Mal habe ich die Schritte meiner Mutter gemalt, an denen ich immer erkannte, dass sie jetzt Zuhause ist.
„Ich mochte Mathe beispielsweise, weil alle Zahlen und Buchstaben bunt waren“
Die Synästhesie hat dir in deiner Karriere als Künstlerin geholfen. Inwiefern hat sie dein Leben noch beeinflusst?
Ich war dadurch ziemlich gut in der Schule. Ich mochte Mathe beispielsweise, weil alle Zahlen und Buchstaben bunt waren. Dadurch konnte ich mir Gleichungen viel schneller merken, weil ich mich nur erinnern musste, wie der Farbverlauf ungefähr aussah.
Hast du schon mal andere Synästhesist*innen kennengelernt?
Ja, übers Internet haben einige Menschen mit Synästhesie Kontakt zu mir aufgenommen. Eine Bekannte verbindet Stimmen und Formen. Die Stimme ihres Vaters ist beispielsweise ein Dreieck. Außerdem verbindet sie Geschmackssinn und Töne. Sie hat also zum Beispiel Heißhunger auf ein hohes C - und sucht sich dementsprechend ihren Snack aus. Außerdem kenne ich eine Künstlerin, die auch Musik malt und sogar Schmuck daraus herstellt.
Seht ihr beiden denn das gleiche, wenn ihr den gleichen Song hört?
Das wollten wir anfangs auch herausfinden und haben beide „Little Wing“ von Jimi Hendrix gemalt. Die Endergebnisse sahen dann aber tatsächlich ganz anders aus. Da war uns klar, dass das wirklich etwas sehr Individuelles ist.