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„Für mich ist das Kunst aus dem Elfenbeinturm der Privilegierten, ein elitäres Gewimmer“

Fotos: Andreas Rentz/Getty Images, Marvin Ruppert, Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance, Niels Schwarz, Wolfram Kastl/dpa, Tobias Hase/dpa

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Die Videokampagne #allesdichtmachen vieler bekannter deutscher Schauspieler*innen

schlägt auch Tage nach ihrer Veröffentlichung noch hohe Wellen. Einige der Promis, die darin Medien und die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung kritisierten beziehungsweise sich darüber lustig machten, sind mittlerweile zurückgerudert. Andere haben ihre Kritik bekräftigt. Der Shitstorm jedenfalls hält immer noch an. 

Wir haben sechs bekannte Schauspieler*innen, die nicht Teil der Kampagne waren, gefragt, was sie von der Aktion ihrer Kolleg*innen halten, ob sie ihre Interessen vertreten sehen – und ob eine differenzierte Sichtweise auf das Ganze möglich ist. 

„Ich hoffe, dass wir es schaffen, den Karren wieder gemeinsam aus dem Dreck zu ziehen“

schauspieler protokolle text pegah ferydoni

Foto: Marvin Ruppert

Die Schauspielerin Pegah Ferydoni ist bekannt durch ihre Rolle der Yagmur Öztürk in der Serie „Türkisch für Anfänger“. Sie moderiert und spielte in Kino- und Fernsehfilmen mit, darunter „Eine Hand voll Wasser“, „Soko Hamburg“ oder „Isi & Ossi“.  

„Als ich die Videos gesehen habe, ist mir der Schädel geplatzt. Wenn man sich das Ganze anschaut und mal darüber nachdenkt, was es hätte sein können, wie die Kolleg*innen ihre Reichweite hätten nutzen können, um ein Zeichen zu setzen für Solidarität und Verständnis, dann enttäuscht mich das schon sehr. Anscheinend haben bei keinem dieser Kollegen und Kolleginnen die Alarmglocken geläutet.

Einige Kolleg*innen sind zwar schon zurückgerudert, haben sich entschuldigt und sich von rechtem Gedankengut distanziert. Allerdings geht mir das nicht weit genug. Ich finde, man muss sich da auch selber konfrontieren und seine eigenen Privilegien überdenken, gerade bei den Kolleg*innen, die bisher ziemlich gut durch die Pandemie gekommen sind. Ich selbst habe auch gearbeitet und arbeite immer noch. Es wird momentan gedreht wie blöde. Aber die große Mehrheit der Schauspieler*innen kämpft ums blanke Überleben. Viele haben monatelang auf Hilfe und Unterstützung warten müssen.

Letztlich mache ich die einzelnen Kolleg*innen gar nicht so sehr verantwortlich. Ich denke, die meisten hatten eine recht naive beziehungsweise gute Absicht und dachten, sie könnten vielleicht etwas Künstlerisches beisteuern. Aber die, die das Gesamtwerk vor Augen hatten, die sollten sich doch wirklich mal hinsetzen und Rede und Antwort stehen, was sie mit dieser Aktion beabsichtigt hatten.

Ich würde mir wünschen, dass wirklich einfach offen ausgesprochen wird, was man denkt, und dass man sich nicht hinter einer zynisch gequirlten Kunstkacke versteckt. Für mich ist das Kunst aus dem weißen Elfenbeinturm der Privilegierten, ein elitäres Gewimmer. Und das stört mich. Denn unsere Kernkompetenz als Schauspieler ist es, Menschen zuzuhören, sie zu beobachten, ihre Geschichten zu erzählen und dabei emphatisch zu sein. Wenn wir unser Ego nicht zurückstellen können in der derzeitigen Situation, die für alle Menschen schwierig ist, dann weiß ich auch nicht weiter. Das macht mich einfach wütend und fassungslos. Ich hoffe, dass wir es schaffen, den Karren wieder gemeinsam aus dem Dreck zu ziehen.“

 

„Ich habe an keiner Stelle das Gefühl, dass in Deutschland jemandem der Mund verboten wird“

schauspieler protokolle text sandra hueller

Foto: Tobias Hase/dpa

Sandra Hüller spielte in diversen Filmen wie zum Beispiel „Toni Erdmann“, „25km/h“ oder „Vergiss mein Ich“ mit, zudem war sie in „Der Tatortreiniger“ zu sehen.

„Ich kann sagen, dass mich die Kampagne auf eine unangenehme Art und Weise berührt hat. Sie hat etwas mit mir gemacht und ich fühle mich von ihr nicht vertreten. Dieser Umgangston hat mir sogar Angst gemacht. Den kannte ich aus meiner Schauspiel-Blase bisher noch nicht. Naiverweise dachte ich, wir wären gegen so eine Art von Herablassung und Respektlosigkeit gefeit. Deswegen habe ich mich ehrlicherweise richtig erschrocken. Wie groß die Wut meiner Kolleg*innen ist, wurde durch die Videos deutlich. Ich muss dazu sagen, dass ich auch nicht mit allen Entscheidungen der Regierung einverstanden bin. Trotzdem maße ich mir nicht an, dass ich es besser weiß. Mich hat außerdem unangenehm berührt, dass sich meine Kolleg*innen so wahnsinnig sicher in ihrer Haltung waren. Das ist mir sehr fremd.

In erster Linie würde ich mir jetzt wünschen, dass sich alle etwas beruhigen. Ich glaube, diese aufgeregte Diskussion bringt niemandem was. Mich würde auch interessieren, woher die Aggression kommt. Ich würde gerne den Dialog mit den Schauspieler*innen suchen, die sich im Video geäußert haben, aber nicht in der Öffentlichkeit, das ist mir viel zu aufgeregt. Ich habe an keiner Stelle das Gefühl, dass in Deutschland jemandem der Mund verboten wird und dass irgendwer irgendwas nicht sagen darf. Es macht mich total traurig, dass bei einigen Kolleg*innen offenbar der Eindruck entstanden ist, dass das aber dennoch so sei. “

„Ich habe diese Meinung zu tolerieren und trotzdem schäme ich mich dafür“

schauspieler protokolle text dustin loose

Foto: Wolfram Kastl/dpa

Dustin Loose ist ein deutscher Regisseur und Drehbuchautor und machte Serien und Fernsehfilme wie „Rampensau“ und  „Tatort“. 

„Das Problem ist, dass die Kampagne keine Botschaft hat, keine Idee, keine Vision. Die Kampagne ruft nicht zu einem Gespräch auf. Sie vermittelt den Eindruck, dass wir willfährig durch die Regierung klein gehalten werden und Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie Schabernack seien. Das ist einfach destruktiv. Ich habe diese Meinung zu tolerieren und trotzdem schäme ich mich dafür.

Viele von den dort auftretenden, von mir geschätzten Kollegen, haben im vergangenen Jahr - trotz Pandemie und erheblicher Beschränkungen des öffentlichen Lebens - eine beachtliche Anzahl von Drehtagen absolviert. Sie wurden und werden mehrfach die Woche getestet und mit größter Sorgfalt zu ihren Engagements verbracht. Sie befinden sich in einer privilegierten Situation, aus der heraus sie sich nun voller Zynismus und mit dem Narrativ populistischer Kräfte als Opfer stilisieren.

Die wahren Opfer dieser Pandemie sind die Toten, die Erkrankten, die Genesenen mit unberechenbaren Langzeitschäden, die Angehörigen. Ich hatte selbst eine schwere Covid-Erkrankung und habe das hautnah miterlebt.

Und die Leistungsträger sind die Ärzt*innen und Pfleger*innen, die Menschen im öffentlichen Dienst, der Feuerwehr, der Polizei, der Handwerker, die Mitarbeitenden im Lebensmittelhandel und unzählige mehr, für die wir noch vor einem Jahr applaudiert haben. Die versuchen, jedem und jeder Einzelnen mit Würde und Respekt durch diese für uns alle schwierige Zeit zu helfen und das Land und unsere Gesellschaft am Laufen zu halten. Es gibt eigentlich ein zentrales Element, das uns künstlerisch Tätige, Schauspieler*innen und Filmemacher*innen vereint. Das ist Empathie. Davon hätte ich mir von den Kollegen in dieser Sache mehr gewünscht.“

„Inhaltlich fehlte mir da einfach die differenzierte Betrachtungsweise“

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Foto: Andreas Rentz/Getty Images

Wayne Carpendale ist Schauspieler und Moderator. Er spielt sowohl in Fernsehfilmem wie „Das Traumschiff”  als auch in vielen Fernsehserien mit. 

„Grundsätzlich finde ich es gut, dass eine Diskussion angestoßen wurde, aber eben nicht um jeden Preis. Ich mag es ja auch, ernste Themen ironisch aufzunehmen, aber die Inszenierung dieser Aktion fand ich unerträglich. Als ich den ersten Film gesehen habe, war ich etwas verwirrt. Und mit den weiteren Beiträgen kam dann schnell ein beklemmendes Gefühl auf, weil das alles so wirkte, als würde man sich da ein bisschen wichtig nehmen. Und das in einer Zeit, in der es so sehr um Gemeinschaft geht. Was genau die Kollegen mit der Aktion erreichen wollten, ist mir immer noch nicht ganz klar. 

Es gibt natürlich auch in unserer Branche viele Menschen, die die Corona-Maßnahmen furchtbar hart treffen – das gilt vor allem für die Kollegen, die jetzt eigentlich auf der Bühne gestanden hätten. Und auch die unzähligen Teamkollegen hinter der Bühne und hinter der Kamera dürfen wir nicht vergessen. Viele von ihnen steigen jetzt notgedrungen in andere Branchen ein, und es ist fraglich, ob wir sie jemals für die Kultur zurückgewinnen können. 

Dass die Schauspieler*innen, die größtenteils aufgrund der Maßnahmen und ausgefeilter Sicherheitskonzepte weiter drehen durften, in ihren Beiträgen für eben diese Betroffenen gesprochen haben, kam meiner Meinung nach nicht wirklich rüber. 

Inhaltlich fehlte mir da einfach die differenzierte Betrachtungsweise. Bei aller Ironie, wenn ich als ernstzunehmender, erfolgreicher Schauspieler pauschal Maßnahmen ins Lächerliche ziehe, die teilweise Leben retten, dann ist das aus meiner Sicht einfach saugefährlich. 

Es geht doch nicht darum, dass man nicht mehr seine Meinung sagen oder nicht mehr kritisieren darf. Aber gerade mit großer öffentlicher Reichweite müssen wir uns einfach unserer Verantwortung bewusst sein. Und gerade von Schauspielern, die sich in ihrer Arbeit tagtäglich mit sehr feinen Nuancen auseinandersetzen, erhoffe ich mir da ein bisschen mehr Feingefühl.“

 

„Es ist schade, dass das jetzt die AfD und die Querdenker-Szene nutzt und nichts Konstruktives bei rumkommt“

schauspieler protokolle text katrin flues

Foto: Niels Schwarz

Die Schauspielerin Katrin Flüs lebt in Berlin. Sie ist Theaterschauspielerin und hatte Auftritte in Fernsehfilmen wie Soko Wismar und Soko Leipzig.

„Als ich die Videos zum ersten Mal gesehen habe, war ich irritiert: Unterstützen die Schauspieler die Corona-Maßnahmen, kritisieren sie sie oder machen sie sich darüber lustig? Ich habe gelesen, dass sie ein Diskurs schaffen wollen. Das ist meiner Meinung nach aber nicht gelungen, denn viele haben die Videos falsch verstanden. 

Ich würde mir wünschen, dass die Leute nicht einfach Sachen posten ohne zu reflektieren, was genau sie da machen. Sondern dass sie wirklich überlegen, in welcher Position sie sind und was für eine Reichweite das hat. Das sind Schauspieler, die in Deutschland bekannt sind und eine Stimme haben. Es ist schade, dass das jetzt die AfD und die Querdenker-Szene nutzt und nichts Konstruktives bei rumkommt. Von der Aktion fühle ich mich nicht vertreten. Sie hilft uns Schauspielern und Künstlern nicht, die jeden Pfennig noch mal umdrehen müssen. Denn in den Videos weisen sie nicht auf die schlimme finanzielle Lage der Schauspieler hin oder äußern sich differenziert dazu, was man dagegen machen kann. Stattdessen äußern sich nur Leute zynisch über die Corona-Maßnahmen, denen es gut geht. Das hilft wirklich niemanden. 

Ich habe voriges Jahr drei Sachen drehen können. Ein Dreh wurde aufgrund der Pandemie verschoben. Da hatte ich natürlich Panik. So ein Dreh ist für mich nicht einfach nur ein Dreh, sondern der potentielle Start meiner Karriere. Das bedeutet für mich viel. Ich war sehr froh, dass der Dreh doch weiter ging, das Geld konnte ich zur Seite legen. Leben kann ich vom Schauspielern aber nicht. Ich habe einen Nebenjob, dafür bin ich gerade in der aktuellen Lage sehr dankbar. Wenn ich nur als freischaffende Schauspielerin arbeiten würde, hätte ich ein echtes Problem.“

„Ihr seid doch tolle, intelligente Schauspieler –wisst ihr, was ihr da gerade macht?“

schauspieler protokolle text hans jochen wagner

Foto: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Der  Schauspieler Hans-Jochen Wagner spielt sowohl am Theater als auch in Kinofilmen wie „Das Ende der Schonzeit “ oder Fernsehfilmen wie „Tatort“ mit.

„Die Kampagne halte ich für verunglückt vom Inhalt, vom Zeitpunkt und von der Machart her. Viele Personen, die sich darin zu Wort melden, kenne ich auch persönlich ein bisschen. Deswegen war ich am Anfang sehr verwirrt, für wen oder gegen was sie sprechen und ob das ihre eigene Meinung ist oder nicht. Je mehr ich mich da durchgescrollt habe, desto erregter wurde ich, weil ich mich geärgert habe. Ihr seid doch tolle, intelligente Schauspieler – wisst ihr, was ihr da gerade macht?

Wir in der Filmbranche  – und das betrifft auch den Großteil derer, die sich da gemeldet haben –  sind in der privilegierten Situation, dass wir drehen. Für die großen Player im Filmmarkt ist es im Augenblick keine Katastrophe. Alle kleinen Player und freischaffenden Künstler*innen sind vollkommen geliefert. Das hat mich auch so gestört an der Kampagne. Ich hätte es super gefunden, wenn sie gesagt hätten: Wir als gut bezahlte Künstler*innen und Schauspieler*innen, die noch arbeiten dürfen, setzen uns ein für die, die nicht dieses Privileg haben, zum Beispiel durch einen Hilfsfonds. Aber das ist nicht passiert.

Trotzdem finde es falsch, dass es schon fast so etwas wie eine Kreuzigungs-Hetzjagd auf diese Kolleginnen und Kollegen gibt. Ich war gestern zwar völlig entsetzt, denn es war eine blöde Sache, es war ein blöder Zusammenhang und auch schlecht gemacht - aber jetzt ist es auch gut. Ich habe Kontakt zu Leuten, die da mitgemacht haben und die sind gerade am Boden zerstört. Die wissen gar nicht mehr, was sie tun sollen. Ich möchte sie nicht entschuldigen, aber die Welle der Empörung, die sie gerade trifft, ist ebenfalls übertrieben und falsch.“

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