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Prostitution in Berlin, Kurfürstenstraße: Lea Bräuer macht Fotoprojekt „Wo Milch und Honig fließt“
Da liegt eine pinke Unterhose auf weißem Untergrund, ein benutztes Kondom, ein Zigarettenstummel mit Lippenstiftabdruck. Ästhetisch fotografiert, ganz clean und in Hochglanzoptik. Abgebildet sind Fundstücke, die die Fotografin Lea Bräuer auf dem Straßenstrich in der Berliner Kurfürstenstraße aufgesammelt hat. Sie sind Teil ihres Fotoprojekts „Wo Milch und Honig fließt“.
Diese Gegenstände sammelte Lea auf dem Straßenstrich.
„Ich habe eine Freundin meiner Schwester kennengelernt, die mit 16 von daheim ausgerissen ist. Sie ist dann auf dem Berliner Straßenstrich gelandet. Darüber haben wir viel gesprochen, und das hat mich nicht losgelassen“, erzählt die 26-jährige Fotografin. Aus der Erzählung wurde ein Kunstprojekt. Lea recherchierte zu Elendsprostitution, kam dafür immer wieder auf den Straßenstrich auf der Berliner Kurfürstenstraße. Bewusst entschied sie sich dagegen, den Begriff „Sexarbeit“ in ihrem Projekt zu verwenden. Denn die Arbeit der Frauen, denen sie auf der Kurfürstenstraße begegnete, mit denen sie sich unterhielt und die sie immer wieder traf, hätte nichts mit Selbstbestimmtheit zu tun, sagt Lea.
Auch die Freier kommen in dem Projekt zu Wort
Erst wollte Lea Bräuer die Frauen porträtieren, merkte dann aber: „Das geht nicht. Einfach das Leid zu zeigen, das ist viel zu plakativ.“ Sie begann, ehrenamtlich in einem Café zu arbeiten, in das viele der Frauen kommen, um sich aufzuwärmen. Dort lernte sie die Frauen kennen und hörte ihre Geschichten. Ein halbes Jahr kam sie regelmäßig her. Und immer wieder sammelte sie auf, was sie auf der Straße fand: Zigarettenpackungen, ein Spritzset, Schachteln, in denen sich starke Schmerzmittel befunden hatten. Doch das reichte ihr nicht.
Viele der Frauen kommen aus Bulgarien, Rumänien oder Ungarn. Die Fotografin wollte „zumindest ansatzweise ein Bild der Herkunftsländer der Frauen zeigen“, erzählt sie. Deshalb fuhr sie mit dem Auto die Balkanroute ab, fotografierte verlassene Landstriche, Grenzübergänge, Wohnblocks und Parkplätze. Und vor allem auch: den Himmel.
Für ihr Projekt reiste Lea Bräuer in die Heimat einiger Frauen, die in Berlin zwangsprostituiert werden.
„Ich fand es so krass: Die Frauen haben immer in den gleichen Himmel geschaut, in ihrer Heimat in Bulgarien, auf ihrem Weg nach Deutschland und auch in Berlin. In den gleichen Himmel wie wir alle“, sagt Lea. Das Projekt wird so zu einem Zusammenspiel aus Traum und Realität. „Die Frauen lieben ihre Heimatländer, aber sie sind nach Deutschland gekommen, um Geld zu verdienen und wussten nicht, wo sie landen werden. Andere wurden von ihrer Familie oder anderen Personen in die Prostitution gezwungen.“
Alle schauen in den gleichen Himmel – dieser Gedanke berührte Lea Bräuer während ihres Projekts.
Im Buch spielt auch die Perspektive der Freier eine Rolle. Drei Tage lang durchsuchte Lea diverse Onlineforen, in denen Freier die Frauen bewerten: „Ich war erstaunt, wie viel Abartiges und Frauenverachtendes in diesen Foren steht. Da habe ich kurzzeitig wirklich den Glauben an die Menschheit verloren.“ Einer schreibt da zum Beispiel über eine Frau: „Deutliche Einstichstellen an den Armen zu sehen, typische Berliner-Drogen-Hure. Blank einlochen problemlos, Gummi keinen gesehen bzw. gefordert. Abspritzen in ihrer Pussy war erlaubt.“ Ein anderer: „Bei Whatsapp war sie seit zwei Wochen nicht mehr online und wenn man anruft geht nur die Mailbox ran. Das ist schade, würde sie gerne mal wieder benutzen.“
Diese und weitere Aussagen fand Lea Bräuer in Onlineforen, in denen sich Freier austauschen.
Der Titel „Wo Milch und Honig fließt“ stammt aus einem Interview mit einer der Frauen, die sagte: „Für mich war Deutschland der Ort, wo Milch und Honig fließt.“ „Da klaffen Wunsch und Realität so weit auseinander“, sagt Lea Bräuer. Genau wie auch in der Arbeit die träumerischen, fast romantischen Fotografien von Wolken und verlassenen Landstrichen im krassen Gegensatz stehen zu den mit Blitz abfotografierten Fundstücken, die sie auf der Straße fand. Ihre Arbeit bezeichnet Lea Bräuer zwar nicht als dezidiert politisch. Wichtig ist ihr dennoch: „Es soll weiter darüber diskutiert werden, wie man die Frauen schützen kann, das muss politisch weiter Thema bleiben.“
Hinweis: Dieser Text wurde zum ersten Mal am 16. September 2019 veröffentlicht und am 28. Dezember 2020 noch einmal aktualisiert.