Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Im Cocoa Butter Club dürfen nur People of Colour auftreten

Sadie hat ein Ensemble in London gegründet, in dem nur People of Colour arbeiten.
Foto: Tony Health Art

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

An einem kalten Novemberabend stehen rund 50 Leute vor einem Zelt auf dem Winterville-Festival in London. Sie warten darauf, dass sich die Türen zur Show des Cocoa Butter Clubs öffnen. Drinnen sind die Zeltwände mit Spiegeln ausgekleidet, ein Runway teilt in der Manege das Publikum. Grelles Licht fällt von der Decke, als die erste Burlesque-Tänzerin die Bühne betritt.

Sie trägt ein rosafarbenes Korsett, lange Seidenhandschuhe und eine Federboa, grinst, als sie die Hüften ruckartig nach rechts und links schnellen lässt. Die Menge fängt an zu pfeifen und zu johlen, als sie sich mit den Zähnen die Handschuhe von den Fingern zieht. Nach ihr beginnt sich ein Drag King zu Michael Jacksons Smooth Criminal langsam auszuziehen. Insgesamt neun Künstler*innen treten an diesem Abend auf – sie sind alle People of Colour (PoC).

Was Rassismus bedeutet, begriff Sadie das erste Mal mit sechs Jahren

Auch Sadie Sinner gehört zu den Acts. In einem grell gemusterten Kostüm moderiert sie erst die Show an, dann singt sie einen Beyoncé-Song in dem es heißt: „I’m a grown woman, I can do whatever I want“. Sadie tanzt, kreist mit ihren Hüften. Sadie tut, was sie will. Im gesamten Zelt spürt man ihre Kraft.

cbc biga 2

Teil der Show des Cocoa Butter Clubs ist auch der Auftritt der Rollschuhfahrerin Symoné.

Foto: Tony Health Art
cbc biga 7

Das fordert vollen Körpereinsatz!

Foto: Cornelia Neumeyer
cbc biga 8

Hier sieht man außerdem Rhys Hollis bei seiner Drag-Show.

Foto: Cornelia Neumeyer
cbc biga 6

Chiyo Gomes ist eine der wenigen weiblichen Drag-Künstlerinnen, identifiziert sich aber als Mann.

Foto: Sloetry Photography
cbc biga 4

Das sind alle Künstler*innen des Cocoa Butter Clubs, die an diesem Abend auftratet. In der Mitte mit Mikrofon: Sadie Sinner.

Foto: Sloetry Photography

Ein paar Wochen später in einem Restaurant im Londoner Norden. Sadie, die mit bürgerlichem Namen eigentlich Mwice-Margaret Kavindele heißt, trägt kein Kostüm mehr, sondern ganz normale Jeans. Von ihrer Ausstrahlung hat sie nichts abgelegt. Sie kommt gerade von einem Auftritt, der knallgelbe Lidschatten ist noch auf ihren Augen. Die Haare der 28-Jährigen sind in kurze Braids geflochten, ihr Gesicht glitzert. Der Cocoa Butter Club ist Sadies Club, sie hat ihn 2016 gegründet. Aus Trotz und aus dem Gefühl heraus, Rassismus etwas entgegensetzen zu müssen. Sadies Eltern stammen aus Sambia.

Was Rassismus bedeutet, begriff Sadie das erste Mal mit sechs Jahren. Damals, als sie von einer Nachbarin aus dem Haus geworfen wurde, erzählt sie. Nach der Schule hatte sie sich dort mit einer Freundin zum Spielen getroffen. Als die Mutter nach Hause kam, packte sie Sadie an der Schulter und zerrte sie Richtung Ausgang. „Ich will diesen Nigger nicht in meinem Haus“, sagte die Frau. Dann fiel die Tür ins Schloss.

19 Jahre später, im Juni 2016, fühlt Sadie sich wieder wie das kleine Mädchen, das aus dem Haus geworfen wurde. Auf Facebook hatte sie ein Bild von zwei deutschen Burlesque-Tänzerinnen entdeckt, in der Kommentarspalte darunter tobte eine Diskussion über Rassismus im Showbusiness.

Eine weiße Tänzerin verkörperte dunkelbraun angemalt das Klischee einer „wilden“ Person

Eine der beiden Tänzerinnen auf dem Foto hatte für einen Auftritt ihr Gesicht und ihren Körper mit dunkelbrauner Farbe bemalt. Sie war in ein Bikinioberteil mit Leopardenmuster geschlüpft, verkörperte so das Klischee einer „wilden“ Person. Kritiker nennen diese Form der Maskerade „Blackface“. Sie wurde ursprünglich zur Entwürdigung und Unterdrückung schwarzer Menschen erfunden und praktiziert und entstand in den USA im 19. Jahrhundert zur Zeit der Sklaverei. Wie oft sich Menschen noch heute im Showbusiness das Gesicht dunkel anmalen, um Schwarze darzustellen, ist unklar, aber Vorwürfe gibt es immer wieder. Erst kürzlich stand die Opernsängerin Anna Netrebko in der Kritik, weil sie sich für den Auftritt als Aida das Gesicht dunkler schminkte.

Für Sadie war das Bild mit den Tänzerinnen der Anstoß, den Cocoa Butter Club zu gründen. Einen der ersten Londoner Showclubs, der nur Artists of Colour beschäftigt.

„Als ich das Bild damals sah, war ich so wütend“, sagt Sadie. In dem Moment fühlte sie sich wieder wie ihr sechsjähriges Ich. Es war aber nicht nur das Bild, das sie damals dazu bewog, den Club ins Leben zu rufen. Sondern auch, dass Diskriminierung immer und immer wieder Teil ihrer Arbeit war. Auch sie selbst kennt das Gefühl gut, in ihrem eigenen Beruf ausgegrenzt und benachteiligt zu werden. „Anstatt schwarze Künstler zu buchen, buchen Produzent*innen weiße Körper, die sich dann braun anmalen“, sagt sie.

Im Showbusiness passiert Diskriminierung oft subtiler

Eine Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) ergab im November 2018, dass 30 Prozent der Schwarzen in Europa schon einmal rassistisch beleidigt worden sind, fünf Prozent wurden sogar schon einmal Opfer rassistisch motivierter Gewalt. Die FRA hatte europaweit 6000 EU-Bürger afrikanischer Abstammung befragt. Das sind nur die Zahlen. Aber Diskriminierung kann auch subtiler ablaufen – wie zum Beispiel im Showbusiness.

Seit bereits 90 Jahren werden in den USA die Oscars verliehen, sie gelten als der wichtigste Filmpreis der Welt. Seit der ersten Verleihung 1929 gingen 3140 der goldenen Trophäen an Schauspielerinnen und Schauspieler weltweit – nur 47 von ihnen waren schwarz. In den Jahren 2015 und 2016 wurde sogar gar nicht erst eine Person of Colour für die wichtigsten Kategorien des Preises nominiert, was einen Aufschrei unter dem Hashtag #OscarsSoWhite auslöste. Und erst vergangenes Jahr verursachte allein das Gerücht, der britische Schauspieler Idris Elba könnte der erste schwarze James Bond Darsteller sein, bei so einigen Twitter-Usern Schnappatmung. Doch das sind nur die großen Preise. Wo niemand so genau hinguckt, sind die kleinen Shows.

Um also zu verstehen, warum Sadie den Cocoa Butter Club gegründet hat, muss man nach dem Auftritt auf dem Festival in London, hinter das Spiegelzelt und in einen der Bauwagen dahinter treten.

„Bei anderen Engagements fühle ich mich wie jemand, den man als Produzent vorzeigen kann, um divers zu erscheinen“

Eine der Burlesque-Tänzerinnen und die einzige Schwertschluckerin des Abends, die sich dort gerade aus ihrer Strumpfhose schält, ist Missa Blue. Die Hamburgerin kennt Sadie seit Jahren, ihr Auftritt ist der politischste der Show: ein Tribut an die Black Panther Party. Gekleidet in eine schwarze Jacke mit goldenen Schulterklappen, schwarzem Barett und in die Luft gereckter Faust stand Missa Blue bis gerade eben noch auf der Bühne. Das Publikum grölte während ihres Auftritts. „Für mich ist der Club wie ein Zuhause“, erzählt Missa Blue. Nirgends sei der Zusammenhalt so wie hier.

Ihre Kollegin Symoné nickt. „Ich fühle mich hier um einiges wohler, weil meine Produzentin eine PoC ist“, sagt sie. Die 25-Jährige stammt aus Washington, DC und kam vor fast acht Jahren zum Studieren nach London. Teil ihrer Show ist es 50 Hula-Hoop-Reifen auf den Hüften zu kreisen, während sie auf Rollschuhen fährt. „Bei anderen Engagements fühle ich mich wie ein Token, wie jemand, den man als Produzent vorzeigen kann, um divers zu erscheinen“, sagt sie.

cbc biga 1

Das sind Cynthia Franklin, Stage Managerin, Cassie Leon, die Produzentin, und Sadie Sinner, die Gründerin des Ensembles.

Foto: John-Paul Bichard
cbc biga 5

Mwice-Margaret Kavindele (Künstlername: Sadie Sinner) und ein Teil der KünstlerInnen des Cocoa Butter Clubs nach einem Auftritt

Foto: Sloetry Photography

Neben Missa Blue und Symoné sind etwa weitere 150 Künstler*innen in der Kartei, zu den Acts gehören Bauchtänzer, Drag Kings und Queens, Luftakrobatinnen, Rapper und Burlesque-Tänzerinnen. Viele der Performer*innen sind Teil der LGBTIQ-Community. Indem sie Teil des Cocoa Butter Clubs sind, wollen sie sich dagegen wehren, dass weiße Künstler*innen Teile der Kultur von People of Colour für Auftritte verwenden. Schaffen wollen sie das, indem sie mehr Sichtbarkeit für sich im Showbusiness kreieren – und in der Folge Produzent*innen nicht mehr weiße Künstler*innen buchen, die kulturelle Aneignung betreiben, sondern eben gleich PoCs. Es handle sich dabei aber um keinen Club gegen weiße Menschen, sondern um einen Ort für People of Colour. Dieser Unterschied sei Sadie wichtig, denn: „Natürlich ist im Publikum jeder willkommen.“

Darf man als Weißer also keine Dreadlocks tragen? Wo beginnt Rassismus und wo hört er auf? Kritiker*innen sagen, dass Künstler wie Elvis oder Eminem sich für ihre Musik an Tönen, Gesten und Melodien der schwarzen Subkulturen orientiert haben und daraus Profit ziehen – anstatt ihre Privilegien zu hinterfragen. Dadurch würden sie kulturelle Aneignung betreiben. Doch in der Kunst beruht vieles auf Inspiration, Musik ist auch immer ein Gesamtkunstwerk der verschiedenen Stile und Richtungen, die sich über Jahrhunderte entwickeln haben und ineinander verflossen sind. Kultur ist nicht statisch, sondern dynamisch. Wir stehen alle ständig im Austausch miteinander, sind ständig vernetzt. Kulturelle Bereicherung funktioniert daher in mehrere Richtungen.

„Nirgends schien es einen Ort zu geben, wo ich sein kann, wie ich bin“

„Es werden mehr weiße Künstler als People of Colour im Showbusiness gebucht“, fährt Sadie im Restaurant fort, so empfindet sie es zumindest. Dabei gebe es genug nicht-weiße Performer*innen, den Produzent*innen der Shows sei das nur egal. „Und wenn wir doch gebucht werden, dienen wir als 'Vorzeige-Schwarze': `Schaut her, wir haben doch eine schwarze Tänzerin, wir sind vielfältig.'“ Sadie schweigt. Dann sagt sie: „Als wäre ich eine Zoo-Attraktion.“ Als sie mit Produzent*innen über das Problem sprach und fragte, warum sie nicht mehr Artists of Colour für ihre Shows buchen, erhielt sie oft „Wir kennen keine People of Colour“ als Antwort. Manche strichen sie aus ihrer Kartei, andere blockten sie online.

„Ich war frustriert“, sagt sie, „nirgends schien es einen Ort zu geben, wo ich sein kann, wie ich bin.“ Sadie ist queer, ist also nicht nur von rassistischer Ausgrenzung betroffen. In ihrem Club können ihre Künstler und sie ganz sie selbst sein. Und seit nur einem Jahr nach der Gründung des Clubs in London, sogar noch mehr Artists of Colour weltweit.

2017 öffnete Sadie den Club auch in Melbourne in Australien. Dort gibt es seitdem eine ganz eigene Showgruppe, die regelmäßig auftritt. Anfang dieses Jahres brachte sie den Club auch nach Deutschland. Die Auftritte finden alle zwei Monate im Berliner Soho House statt. Die Kuratorin des deutschen Cocoa Butter Clubs zog dafür von Schottland nach Berlin. Sie kümmert sich seitdem um die Organisation der Shows. Ende Juli ist die nächste Show im Soho House geplant.

Sadie möchte sich eines Tages auch in Sambia für die Rechte von LGBTIQs einsetzen. Ihr Vater ist ehemaliger Vizepräsident des südafrikanischen Landes. Dort ist Homosexualität illegal, LGBT-Communitys sucht man vergeblich. „Mein Vater weiß bis heute nicht, dass ich queer bin“, sagt sie. Bis sie auch im Heimatland ihrer Eltern für ihre und die Rechte anderer kämpfen wird, will sie mit dem Cocoa Butter Club noch weiter expandieren.

  • teilen
  • schließen