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„Ich wollte, dass Mädchen wie ich sich weniger einsam fühlen“

Candice Carty-Williams ist Buchkolumnistin für den britischen „Guardian“, Bestseller-Autorin und stolze Südlondonerin.
Foto: Lily Richards

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Einen Interview-Termin mit Candice Carty-Williams auszumachen, ist gar nicht so leicht: Ihr Debüt-Roman „Queenie“, der im August auf Deutsch erschienen ist, war in Großbritannien ein großer Erfolg und wurde sogar mit dem „British Book Award“ ausgezeichnet. Seitdem ist die 31-jährige Londonerin viel beschäftigt. Unter anderem arbeitet sie gerade an ihrem zweiten Roman und an einer Serien-Adaption von „Queenie“. 

Queenie, eine Schwarze Frau Mitte 20, lebt in London, versucht, eine Trennung und eine Fehlgeburt zu verarbeiten, sich gegen alltäglichen Rassismus und ihre übergriffige Familie durchzusetzen und in ihrem Job bei einem Magazin endlich „Black Lives Matter“ als Thema zu platzieren. Leider klappt das alles nicht besonders gut und stattdessen manövriert sie sich immer tiefer ins Chaos hinein. „Queenie“ ist ein lustiges und gleichzeitig tragisches Buch, unterhaltsam, ohne seicht zu sein. 

Als der Interview-Termin nach fast acht Wochen endlich steht und Candice Carty-Williams sich per Zoom meldet, wirkt sie trotz der vielen Arbeit entspannt und zugewandt. Nur die Kamera möchte sie lieber nicht anmachen. „Ich sehe heute Morgen nicht so gut aus und habe beschlossen, dass du mich so nicht sehen sollst“, sagt sie und lacht. 

jetzt: Candice, „Queenie“ wird auch „Die Schwarze Bridget Jones“ genannt. Was hältst du von diesem Label? 

Candice Carty-Williams: Das Interessante ist: Ich habe ihr das Label selbst gegeben.

Wirklich? Warum das?

Ich wollte, dass die Verlage den kommerziellen Wert des Buchs sehen. Bücher Schwarzer Autor*innen werden oft nur in einem sehr kleinen Rahmen veröffentlicht, weil Verlage sagen: „Wir wissen nicht, was die Zielgruppe ist.“ Ich dachte, wenn ich einfach behaupte „Das ist die Schwarze Bridget Jones“, müssen sie einsehen, dass es kein Buch für eine kleine Gruppe von Leser*innen ist. Und das hat funktioniert. 

Niemand hat sich am dem Label gestört? 

Es gab schon Stimmen, dass es ein komischer Vergleich sei. „Queenie“ ist ja auch politisch, was „Bridget“ nie hätte sein können. Aber ich meinte den Vergleich ja vor allem im Sinne von: Es geht um eine Frau, die viel durchgemacht hat. Und ohne Helen Fielding (die Autorin der „Bridget Jones“-Romane, Anm. d. Red.), die uns gezeigt hat, dass man auch von einer chaotischen Frau erzählen kann, hätte ich mich weniger selbstbewusst an „Queenie“ gewagt. Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich wollte, dass Mädchen wie ich sich weniger einsam fühlen. Dass ich das geschafft habe und sogar in einem so großen Maßstab, ist super!

Wie viel von dir selbst steckt in Queenie? 

Sie hat einen ähnlichen Hintergrund und eine ähnliche Familienkonstellation wie ich und sie erlebt, sieht und hört Sachen, mit denen auch ich konfrontiert war. Sie ist ein bisschen wie meine kleine Cousine: Jemand, den ich gut kenne, aber trotzdem eine ganz andere Person als ich. Und was ihr Liebesleben angeht, haben wir null Gemeinsamkeiten – meins ist nämlich sehr langweilig.

„In unserer Gesellschaft eine Schwarze Frau zu sein, ist hart“

Queenie hat das Gefühl, nirgendwo richtig dazuzugehören. Warum?

In unserer Gesellschaft eine Schwarze Frau zu sein, ist hart. Du musst gegen so viele Stereotype ankämpfen: laut, aggressiv, übersexualisiert, dreist, selbstbewusst, witzig. Ich bin zum Beispiel eher schüchtern und still und fand es oft sehr belastend, dass Menschen eine Vorstellung von mir hatten, bevor ich auch nur den Mund aufgemacht habe. Auch alle meine Schwarzen Freundinnen haben diese Erfahrung gemacht und nachdem das Buch erschienen ist, haben mir sehr viele Leserinnen geschrieben: „Du hast genau festgehalten, was ich erlebt habe!“

queenie buchcover text

Candice Carty-Williams: Queenie. Blumenbar, 544 Seiten, 22 €.

Foto: Aufbau-Verlag

Zu den Erfahrungen, die Queenie macht, gehören alltäglicher und struktureller Rassismus, etwa in ihrem Job als Redakteurin.

Mikroaggressionen am Arbeitsplatz existieren und sie sind schwer zu ertragen. Allein schon, die einzige Schwarze Person in einem Büro mit 50 oder 100 Weißen zu sein, ist hart. Ich habe das Buch vor fünf Jahren geschrieben und seitdem ist einiges passiert: Viel mehr Menschen machen jetzt ihre Erfahrungen mit Rassismus öffentlich, weil diese Themen durch die neuen „Black Lives Matter“-Proteste eine Plattform haben. Aber die meisten von uns haben das alles lange Zeit still ertragen. 

„Black Lives Matter“ spielt in deinem Buch auch eine Rolle. Wäre sie größer, wenn du es nach dem Mord an George Floyd geschrieben hättest?

Nein, ich denke nicht. Ich würde immer wollen, dass es vorkommt, aber nicht, dass es im Zentrum der Geschichte steht. Weißt du, Schwarze Menschen wissen ja nicht erst seit dem Tod von George Floyd, dass es diese Ungerechtigkeit gibt. Und es ist schrecklich, dass es erst einen Mord brauchte, den jede*r in einem Video ansehen kann, damit auch der Rest es begreift.

Wie hast du die Wochen nach dem Vorfall erlebt? 

Es war eine schwierige Zeit. Ich konnte das Video nicht ansehen, das war zu schmerzhaft. Und als die Proteste ihren Höhepunkt erlebten, haben sich sehr viele Leute bei mir gemeldet: „Hey, du bist meine Schwarze Freundin, ich wollte mal fragen, wie es dir geht?“ Das war verrückt, warum machen Leute sowas? Oder ich wurde gefragt: „Was soll ich jetzt lesen?“ Ich bin doch nicht auf einmal deine „Schwarze Quelle“, weil du beschlossen hast, dass es jetzt ehrenwert von dir wäre, dich zu informieren!

„Warum sollten wir so tun, als wären wir alle gleich?“

Queenie und ihre beste Freundin Darcy lieben sich sehr – und trotzdem gibt es immer wieder Missverständnisse, weil Queenie Schwarz ist und Darcy weiß. Glaubst du, dass diese Verständnislücke jemals geschlossen werden kann? 

Ich finde es okay, die Unterschiede von Menschen anzuerkennen. Manche meiner Freund*innen sind weiß und aus der Mittelklasse und ich weiß, dass sie nie wirklich werden verstehen können, was ich durchgemacht habe. Andere meiner weißen Freund*innen hatten nicht die Chance, so eine gute Bildung wie ich zu genießen, waren nie an der Uni, haben nicht dasselbe kulturelle Kapital wie ich. Sie haben also nochmal ganz andere Erfahrungen machen müssen als ich. Warum sollten wir so tun, als wären wir alle gleich? Ich glaube übrigens auch, dass Queenie gar nicht alles mitbekommt, was Darcy vielleicht gerade durchmacht, weil sie so sehr mit sich selbst beschäftigt ist. 

Auch die Diskriminierungserfahrungen von Queenie und ihre Schwarzen Freundin Kyazike unterscheiden sich. 

Ja, und es war mir sehr wichtig, dass das im Buch vorkommt: Kyazikes Haut ist dunkler als Queenies – und für Queenie ist sie die schönste Frau, die sie je gesehen hat. Aber die meisten Menschen sehen sie nicht auf diese Art. Kyazike ist witzig, offen und sehr selbstbewusst, aber die Gesellschaft suggeriert ihr, dass sie nicht das Recht hat, sich so wohl mit sich selbst zu fühlen. 

Beim Online-Dating macht Queenie die Erfahrung, dass viele Männer sie als „Fetisch“ betrachten. 

Ja, auch das ist eine Tatsache für viele Schwarze Frauen. In meiner Dating-Phase vor etwa einer Million Jahren ist mir das auch passiert. Aber ich habe immer direkt gesagt: „Das ist ekelhaft, hau ab!“

Queenie hingegen hat oft Sex mit Männern, die sie nicht gut behandeln. 

Sie weiß, dass diese Männer nicht gut für sie sind, aber sie macht mit, um überhaupt etwas zu fühlen. Weil sie ihren eigenen Wert nicht sieht, handelt sie selbstzerstörerisch. Es war echt schwer, das zu schreiben.

„Ich habe kein Problem damit, auch Versäumnisse der Schwarzen Community zu beleuchten“

Queenies Familie stammt aus Jamaika und auch kulturelle Unterschiede stehen ihr manchmal im Weg. Ihre Großmutter will zum Beispiel nicht, dass sie zur Therapie geht. 

Alles, was Queenie durchlebt, habe ich aus einem bestimmten Grund geschrieben, und ich habe kein Problem damit, auch Versäumnisse der Schwarzen Community zu beleuchten – wie etwa diesen schlechten Umgang mit psychischer Gesundheit. Wenn jemand Probleme hat, wird erstmal gefragt: „Warum beschäftigst du dich damit überhaupt? Und wieso willst du dann auch noch einer anderen Person davon erzählen? Das ist doch verrückt!“ Zur Therapie zu gehen, wird als Schwäche angesehen. Ich habe das nie verstanden.

Hast du auch selbst Erfahrungen damit gemacht?

Ja. In meiner Familie heißt es bei Problemen immer „Trink einen Tee“ oder „Sprich deine Gebete“. Vor einige Jahren litt ich unter Panikattacken und als ich mit meinem Dad darüber sprach, sagte er nur: „Sei tapfer!“ Ich dachte: „Shit, stimmt, ich bin nicht stark genug!“ Aber dann erzählte ich meiner älteren Schwester davon und sie sagte: „Du weißt schon, dass Dad als junger Mann selbst Panikattacken hatte?“ Ich war total baff. Wie großartig wäre es gewesen, wenn er mit mir darüber gesprochen hätte! Ich hätte doch sofort gedacht: „Du hast es geschafft, ich werde es auch schaffen.“

Hast du trotzdem Hilfe gefunden? 

Ja, ich bin bis heute in Therapie. 

Ein weiterer wichtiger „Charakter“ in deinem Buch ist deine Heimatstadt London. Wie hat sie dich geprägt?

Ich bin in Südlondon aufgewachsen und habe mein ganzes Leben lang hier gewohnt, unter anderem in Brixton und Lewisham. Diese Gegend hat mich immer behütet und glücklich gemacht. Ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben – vor allem nicht woanders in dieser Stadt. Ich sage immer: Entweder ich bleibe in Südlondon oder ich ziehe ins Ausland – aber du wirst mich nie in einer Wohnung in einem anderen Teil Londons finden.

„Jetzt, wo Brixton trendy ist, heißt es auf einmal: Ihr habt hier eure Community aufgebaut, aber könnt ihr jetzt bitte wieder gehen?“

Queenie beobachtet besorgt, wie sich Brixton verändert. Du auch?

Ja. Als ich ein Kind war, sind wir samstags immer zum Brixton Market gegangen, um  alles einzukaufen, was zur jamaikanischen Küche gehört: Früchte, Yams, grüne Bananen und so weiter. Jetzt lebe ich wieder hier und plötzlich gibt es überall diese fancy Läden, die zehn verschiedene Marken Tischsets verkaufen! Die Mieten sind mittlerweile so hoch, dass viele alte Geschäfte, in denen ich früher mit meiner Familie oft war, schließen müssen. Wenn ein Ort, den du kennst, verlorengeht, ist das seltsam. Und bei Brixton tut es besonders weh. 

Warum?

Als meine Familie nach England gekommen ist, wurde sie in Brixton angesiedelt, darum ist auch der „Windrush Square“ hier (an Bord des Schiffs „Empire Windrush“ kam im Jahr 1948 eine der ersten Gruppen karibischer Einwander*innen nach England. Jamaika war damals britische Kolonie; Anm. d. Red.). Und jetzt, wo die Gegend trendy ist, heißt es auf einmal: „Ja, okay, ihr habt hier eure Community aufgebaut, aber könnt ihr jetzt bitte wieder gehen? Wir übernehmen das Viertel und eure Kultur. Viel Glück, wo immer ihr auch hingeht!“ Das ist echt irre. Ich fürchte, dass sich dieser Prozess noch verstärken wird. Darum gibt es Teile von Südlondon, von denen ich weiß, dass sie für mich immer eine Art „nostalgischen Puls“ haben werden – aber dass ich mich ihnen nie mehr so verbunden fühlen werde wie früher.

Queenie hat mittlerweile viele Fans. Planst du eine Fortsetzung?

Hatte ich erst nicht geplant, aber dann haben viele danach gefragt. Ich glaube, ich mach’s – unter anderem, weil ich Queenie vermisse. Sie ist doch mein Baby! Aber bevor ich mich an eine Fortsetzung mache, muss ich mich trotzdem erstmal ein bisschen von ihr erholen. 

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