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3300 Euro brutto für die Bewährungshelferin

In ihrem Job erkennt Jessica bestimmte Verhaltensmuster bei ihren Klienten und wurde auch schon angelogen.
Foto: Nathalie Herbinger/Bearbeitung: SZ Jetzt

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Als Bewährungshelferin steckt Jessica Carbow, 28, in zwei Rollen. Sie kontrolliert einerseits Straftäter auf Bewährung. Andererseits hilft sie ihren Klienten, nicht rückfällig zu werden und wieder in ein geregeltes Leben zu kommen.  

Was ich als Bewährungshelferin mache

„Als Bewährungshelferin habe ich eine doppelte Funktion: Einerseits kontrolliere ich im Auftrag des Gerichts, dass die Straftäter ihre Auflagen einhalten. Andererseits unterstütze ich die Klienten und gebe Hilfe zur Selbsthilfe. Sie sollen so lernen, auf Dauer wieder allein und straffrei zu leben. Arbeit mit Straftätern ist Opferschutz.

Um dahin zu kommen, begleite ich meine Klienten auch mal zu Terminen bei Kooperationspartnern wie dem Jobcenter oder der Suchtberatungsstelle. Außerdem schreibe ich Berichte an das Gericht, in denen ich die Lebenssituation des Klienten schildere, von der ich in Gesprächen und manchmal auch bei Hausbesuchen erfahren habe. Ansonsten muss ich für Verhandlungen bei Folgestraftaten zum Gericht.“

Wie mein Arbeitsalltag aussieht

„Meine Arbeitswoche hat 41 Stunden. Außerhalb unserer Öffnungszeiten arbeite ich nach Notwendigkeit. Meistens starte ich um 8.30 Uhr. Montagabends haben wir in der Geschäftsstelle bis 19 Uhr Nachmittagssprechstunde für Klienten. Ich habe zusätzlich dienstags und mittwochs Sprechstunde. Termine mit den Klienten kann ich auch außerhalb der Sprechzeiten vereinbaren, zu den Sprechzeiten muss ich aber im Büro sein, damit Menschen mit akuten Problemen vorbeikommen können. Freitage halte ich mir meistens frei, um Berichte und Papierkram zu erledigen.

Abgesehen davon ist in der Bewährungshilfe jeder Tag anders. Neben den Gesprächen bei uns in der Dienststelle bieten wir den Klienten Hausbesuche an oder besuchen sie in der Justizvollzugsanstalt (JVA).

Morgens bereite ich die Gespräche mit den Klienten vor, die am Tag vorbeikommen. Dazu sehe ich mir die Akte an und gehe durch, was wir beim letzten Mal besprochen haben. Wenn die Person kommt, schaue ich mir an, ob sie Absprachen eingehalten haben und hake nach, wenn nicht.“

Darüber spreche ich mit meinen Klienten

„Je nach Auflagen geht es im Gespräch um unterschiedliche Dinge. Wichtig ist, wie die soziale Lage bei den Klienten aussieht. Hat die Person Kinder und Familie? Wie ist die Wohnsituation? Hat sich etwas verändert? Brauchen sie eine Notschlafstelle? Auch wirtschaftliche Aspekte sind wichtig: Arbeiten die Klienten? Wurde ein Antrag auf Bürgergeld gestellt? Zusätzlich besprechen wir individuelle Probleme wie etwa Suchtproblematiken oder Verschuldungen.“

Wie ich mich von den Klienten abgrenze

„Im Gespräch muss ich klar machen, dass es sich um ein rein professionelles Verhältnis handelt. Natürlich unterstütze ich als Bewährungshelferin und biete den Leuten Hilfe zur Selbsthilfe. Wenn das, was der Klient erzählt, aber zu persönlich oder irrelevant für die Bewährungshilfe wird, dann sage ich, dass das hier nichts zu suchen hat und rate zum Gespräch mit Vertrauenspersonen oder Psychotherapeuten.

Dass ich mich abgrenze, ist wichtig. Jeder hat in seinem Berufsleben belastende Situationen. Man sollte dann mit Kollegen in den Austausch gehen. In der sogenannten Supervision bespreche ich mit Kolleginnen und Kollegen regelmäßig verschiedene Fälle, hole mir Rat von ihnen und reflektiere, wie ich am besten vorgehen kann.“

Wie sich das Verhältnis mit den Klienten gestaltet

„Je nach Klient und Beziehung verläuft die Zusammenarbeit unterschiedlich. Manche Klienten möchten gerne zusammenarbeiten und nehmen die Hilfe an. Andere verweigern die Zusammenarbeit, das macht es schwieriger. Am Ende handelt es sich um einen Zwangskontext: Keiner der Klienten ist freiwillig bei uns. Sie wurden vom Gericht zu einer Bewährung verurteilt, sie müssen zu uns kommen. Deswegen stellt man auch mal im Nachhinein feststellt, dass man vom Klienten angelogen wurde.

Mit der Zeit erkennt man gewisse Muster und weiß, was die Personen für Abwehrmechanismen haben. Wenn ich merke, dass ich angelogen werde, spreche ich es an und frage, warum die Person lügt.“

Wie ich Bewährungshelferin geworden bin

„Für mich war früh klar, dass ich einen Beruf wählen möchte, bei dem ich Menschen unterstützen kann. Ich habe von 2015 bis 2018 Soziale Arbeit studiert, damals wusste ich noch nicht, wo ich genau hin möchte. Mein Praktikum habe ich bei der Suchthilfe gemacht und dort mit der Bewährungshilfe kooperiert. Ich fand die Arbeit abwechslungsreich und spannend. Nach meinem Studium habe ich mich auf gut Glück beim Landgericht Aachen beworben und wurde genommen.

An der Stelle als Bewährungshelferin wurde ich ein Jahr lang eingearbeitet und von einem erfahreneren Kollegen angeleitet. Neben dem zwischenmenschlichen Kontakt mit den Klienten, den ich mir bei dem Kollegen ansehen konnte, musste ich mir rechtliches Grundwissen aneignen – schließlich ist die Kommunikation mit dem Gericht auch Teil des Jobs.“

Mit welchen Straftaten ich zu tun habe

„Es fängt bei Schwarzfahren an und reicht bis zu Betrug, Betäubungsmitteldelikten, Körperverletzung und Missbrauch. Bei verurteilten Sexualstraftätern kooperieren wir meistens mit der Polizei. Abgesehen davon unterscheidet sich die Betreuung der Klienten mit verschiedenen Straftaten nicht grundlegend.

Wenn ich ein Urteil über sexuellen Kindesmissbrauch lese, macht das natürlich viel mehr mit mir als wenn jemand ohne Führerschein gefahren ist. Auch hier ist wichtig, Rücksprache mit den Kollegen zu halten. Man kann den Fall auch abgeben an einen Kollegen, der vielleicht besser mit dem Klienten zusammenarbeiten kann.

So oder so versuche ich, unvoreingenommen in das erste Gespräch zu gehen und mir ein Bild von den Menschen zu machen. Im weiteren Verlauf der Bewährung wird die Straftat dann ein Thema, weil wir darüber sprechen, wie es dazu gekommen ist und wie man sie in Zukunft verhindern kann. Das ist nicht immer leicht.“

Welche Eigenschaften man als Bewährungshelferin braucht

„Wir müssen die Person einerseits resozialisieren und schauen, ob sie sich an die Auflagen hält und auf der anderen Seite in Problemlagen unterstützen. Ich glaube, es ist eine wichtige Eigenschaft, flexibel zu arbeiten mit den unterschiedlichsten Personengruppen. Bei gewissen Situationen oder Krisen müssen wir schnell und angemessen intervenieren – sowohl zum Wohl der Klienten als auch dem der Gesellschaft.“

Was der Job mit meinem Privatleben macht

„Wenn man in einem Bezirk wohnt, in dem man auch arbeitet, kann es sein, dass man auf der Straße auf Klienten trifft. Mir ist das einmal beim Einkaufen passiert, aber das war nicht schlimm für mich und ich glaube, für den Klienten auch nicht. Ich spreche die Leute nicht an, weil ich nicht möchte, dass sie von ihrer Begleitung gefragt werden, wer ich bin oder warum sie auf Bewährung sind. Sollte ich angesprochen werden, sage ich ‚Hallo‘, führe aber kein ewig langes Gespräch.

Auch online kann der Job zum Thema werden. Ich selbst bin nicht auf Instagram und Facebook. Auch, weil ich nicht möchte, dass Klienten und Klientinnen mich finden. Kolleginnen und Kollegen von mir haben ihre Social-Media-Accounts privat gestellt oder ändern ihre Namen, sodass sie von Klienten nicht gefunden werden.“

Welche Fragen ich auf Partys gestellt bekomme

„Häufig fragen mich Menschen, was Bewährungshilfe überhaupt ist und was in mein Aufgabengebiet fällt. Die nächste Frage ist dann, warum ich diesen Job mache und mit Straftätern arbeiten möchte.“

Vorstellung vs. Realität

„Dadurch, dass ich mein Praktikum nicht in der Bewährungshilfe gemacht habe, hatte ich keine große Vorstellung davon, wie der Arbeitsalltag aussehen würde. Daher gab es keine großen Überraschungen, ich habe den Beruf erst währenddessen richtig kennengelernt.“

Wie viel ich verdiene

„Ich verdiene 3300 Euro brutto und bin verbeamtet. Die ersten zweieinhalb Jahre sind die Bewährungshelfer meist im Tarifvertrag als normale Arbeitnehmer angestellt. Nach diesen zweieinhalb Jahren wird man auf Probe verbeamtet, wenn Beamtenstellen frei sind, was meistens der Fall ist. Nach drei weiteren Jahren ist man dann auf Lebenszeit verbeamtet. So läuft es bei den meisten Bewährungshelfern. Ende des Jahres ist es bei mir so weit.“

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