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3600 Euro brutto für die Reha-Lehrerin

Maria arbeitet in der Blinden- und Sehbehindertenrehabilitation am Sehzentrum Berlin.
Foto: Maria Schüller/Bearbeitung: SZ Jetzt

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Dass sie mit Menschen mit Behinderung arbeiten möchte, wusste Maria Schüller, 33, schon früh. Zu ihrem heutigen Job in der der Blinden- und Sehbehindertenrehabilitation kam sie aber eher zufällig – durch einen Braille-Kurs an der Uni.

Wie mein Arbeitsalltag aussieht

„Mit meiner Vorgesetzten habe ich abgesprochen, dass ich zwei bis drei Termine pro Tag mache. Auch Büroarbeit fällt täglich an. Mittwochnachmittage halte ich mir frei für Dienstbesprechungen. Meist fahre ich am Morgen gegen 8.30 oder 9 Uhr zu meinem ersten Klienten. Dort arbeiten wir in Schulungseinheiten von 90 Minuten miteinander, dann fahre ich weiter zu den nächsten Klienten. So bin ich den ganzen Tag in Berlin und Brandenburg unterwegs, es kommen also viel Fahrtzeit und große Entfernungen zusammen. Je nachdem, welche Art von Termin ansteht, kochen wir bei ihm zuhause oder üben mit dem Langstock auf der Straße. Gegen 17 oder 18 Uhr mache ich Feierabend.“

Was ich als Reha-Lehrerin mache

„Ich arbeite als Fachkraft der Blinden- und Sehbehindertenrehabilitation, wie der Job genau genommen heißt,  am Sehzentrum Berlin. Das ist eine Einrichtung der beruflichen Rehabilitation für Menschen mit Sehbehinderung. Mein Job ist es, blinden und sehbehinderten Menschen zu helfen, ihren Alltag wieder selbstbestimmt zu gestalten. Dafür schule ich Betroffene einerseits in Orientierung und Mobilität. Sie lernen die Nutzung des weißen Langstocks, häufig Blindenstock genannt. Hierfür mache ich mich zunächst mit der Wohnumgebung des Klienten vertraut, schaue mir die Wege und Gegebenheiten vor Ort an. Dann üben wir in Gebäuden, auf der Straße und in unbekannten Gegenden das Gehen mit dem Stock. Meine Klienten sollen so lernen, sicher und eigenständig mobil zu sein.

Andererseits vermittle ich den Klienten Techniken und Strategien in den lebenspraktischen Fähigkeiten. Also alles, was ihren Haushalt betrifft – kochen und essen, Wäsche waschen, Körperpflege und so weiter. Auch dafür mache ich mich vor Ort zunächst mit dem Haushalt vertraut und lasse mir beispielsweise die Ordnung in der Küche erklären und von den Klienten die größten Herausforderungen im Alltag beschreiben.“

Wie ich Reha-Lehrerin geworden bin

„Ich wusste früh, dass ich mit Menschen mit kognitiven und körperlichen Behinderungen zusammenarbeiten möchte. Von 2011 bis 2014 habe ich erstmal eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin in Baden-Württemberg absolviert. 2017 habe ich dann ein Studium der Rehabilitationspädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin angefangen. In einem Braille-Kurs bin ich durch einen geburtsblinden Dozenten dann auf das Thema Blinden- und Sehbehindertenrehabilitation gestoßen. 2019 habe ich ein Praktikum im Sehzentrum Berlin gemacht und war begeistert. Ich fand es so spannend, mich immer wieder neu auf die Klienten und ihre individuelle Sehbehinderung und Wahrnehmung einzustellen.

An der Blista (Bundesweites Kompetenzzentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung) in Marburg habe ich 2020 dann die Ausbildung zur Reha-Fachkraft absolviert. Das ist eine einjährige Weiterbildung im Bereich Orientierung und Mobilität. Da habe ich einiges über die medizinischen, psychologischen und sozialpädagogischen Aspekte von Sehbehinderung gelernt. Als Teil der Praxis unterrichtete ich ab dem neunten Monat Schüler der Blista, gemeinsam haben wir Schulwege oder den Aufbau des Bahnhofs in Marburg erarbeitet. 2022 und 2023 habe ich die Qualifikation für den Fachbereich Lebenspraktische Fähigkeiten nachgeholt.“

Wie ich als Reha-Lehrerin ein Gefühl für die Wahrnehmung meiner Klienten entwickelt habe

„In der Weiterbildung haben wir sehr viele Eigenerfahrungen gemacht. Mithilfe von Simulationsbrillen oder Augenbinden entwickelte ich ein Gefühl für die verschiedenen Wahrnehmungen blinder und sehbehinderter Menschen. Hier habe ich die Langstock-Grundtechniken, also die pendelnde Bewegung des Langstocks, unter einer Augenbinde erlernt. Das war  intensiv, genau wie das erste Mal mit verbundenen Augen mit einem scharfen Messer zu arbeiten.

Durch die Eigenerfahrung habe ich erlebt, wie viele verschiedene Aspekte von Sehbehinderung es gibt. Kann man das Gesicht des Gegenübers aufgrund der Sehbehinderung nicht mehr erkennen, wirkt sich das auf das soziale Miteinander aus. Bei anderen wird das Gesichtsfeld immer kleiner, bis Betroffene nur noch einen Tunnelblick haben. Wenn sie etwas suchen, müssen sie hektische Bewegungen mit dem Kopf machen, um mit dem kleinen Gesichtsfeld noch etwas erkennen zu können. Das kann sich negativ auf die Muskulatur in Nacken und Schultern auswirken. Daher lernen die Klienten bei mir ruhige und systematische Suchbewegungen.“

Wie ich mich auf die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Klienten einstelle

„Zu Anfang der Schulung führe ich mit jedem Klienten ein Erstgespräch, in dem ich mir genau beschreiben lasse, welche Wahrnehmung sie haben – ob er beispielsweise noch Farben oder andere Menschen erkennen kann, ob er Probleme im Dunkeln oder bei starker Blendung hat. Während wir die Grundtechnik des Langstocks üben, frage ich immer wieder nach, was die Menschen nun wahrnehmen können, auch über andere Sinne.

Wenn die Grundtechniken sicher sind, gehen wir Straßenüberquerungen an. Je nach Wahrnehmung gehen wir unterschiedlich vor. Bei einer Person mit zentralen Gesichtsfeldausfällen, die Ampeln nicht erkennt, ist es wichtig, zunächst das Hören zu trainieren. Dann kann sie sich am Auffindesignal, also dem regelmäßigen Klopfen der Ampel, orientieren. Wenn die Ampel kein Geräusch macht, können die Betroffenen auf das Starten und Stoppen der Autos hören: Wo halten die Autos? Irgendwo in der Nähe müsste die Ampel sein. Bei den lebenspraktischen Fähigkeiten kann der Klient wiederum lernen, zu hören, ob das Schnitzel fertig gebacken ist.“

Was andere im Umgang mit blinden und sehbehinderten Menschen beachten sollten

„Ich erlebe häufig, dass andere Sehende „Vorsicht“ oder „Passen Sie auf“ zu meinen Klienten sagen. Damit kann eine blinde Person nichts anfangen, sie weiß ja nicht, worauf sie aufpassen soll. Besser ist ein kurzes, einfaches „Stopp“. Danach kann die sehende Person das Hindernis beschreiben und der sehbehinderten Person sagen, wie sie es umgehen kann. Oft packen Leute, die helfen wollen, einfach zu. Das ist übergriffig. Besser wäre es, zu fragen, ob die Person Hilfe braucht, wie man ihr weiterhelfen kann und ob man ihr dafür den Arm zum Festhalten und Führen anbieten darf.“

Welche Eigenschaften man als Reha-Lehrerin braucht

„In den Reha-Schulungen muss ich mich auf jeden Klienten neu einstellen, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind also wichtig. Selbst zwei Leute, die dieselbe Sehbehinderung haben, können völlig unterschiedlich damit umgehen. Darauf muss ich mich immer wieder einlassen, auch auf die Angst der Klienten, die etwa blind eine Treppe heruntergehen oder mit heißem Fett am Herd arbeiten.  Als Fachkraft für Blinden- und Sehbehindertenrehabilitation braucht man also Empathie. Aber man muss sich auch distanzieren und selbst reflektieren können. Wenn mir Menschen ihr Herz ausschütten, nehme ich mir Zeit zum Zuhören. Aber ich muss auch Grenzen setzen und bei bestimmten Themen psychologische Hilfe empfehlen.“

Was der Job mit meinem Privatleben macht

„Seit meiner Weiterbildung zur Fachkraft der Blinden- und Sehbehindertenrehabilitation nehme ich den öffentlichen Raum anders wahr. Ich gehe viel aufmerksamer durch die Straßen. Häufig rege ich  mich über E-Roller auf, die mitten auf dem Gehweg geparkt sind. Ich schiebe sie dann zur Seite, weil sie ein unnötiges Hindernis und eine Gefahr darstellen für Menschen, die mit Langstock unterwegs sind. Auch wenn bei Ampeln das Auffindesignal nicht funktioniert, melde ich das in der Ordnungsamt-App, in der Hoffnung, dass es schnell repariert wird.“

Die Frage, die ich auf Partys immer gestellt bekomme

„Wenn Menschen von meinem Beruf hören, fragen sie oft: „Hä, was ist denn das?“ Vielen ist klar, dass sie nach einer OP an der Hüfte in Reha gehen und Physiotherapie bekommen. Aber Betroffene stehen häufig vor ihrer Erblindung und wissen gar nicht, an wen sie sich wenden können. Hier greift die ambulante Reha durch uns Fachkräfte, aber das ist vielen Betroffenen nicht bekannt.“

Vorstellung vs. Realität

„Ich hatte nicht wirklich eine Vorstellung von dem Beruf, weil ich direkt ins Praktikum gestartet bin, nachdem ich mit ihm in Kontakt kam. Dort konnte ich sofort erleben, wie sich der Berufsalltag gestaltet.“

Das verdiene ich als Reha-Lehrerin für Orientierung und Mobilität

„Ich verdiene rund 3600 Euro brutto. Nach den ganzen Abgaben kommen ungefähr 2400 Euro netto dabei raus. Ich bin im Angestelltenverhältnis, wenn man selbstständig als Reha-Lehrer arbeitet, kann man potenziell mehr verdienen. Die Auftragslage ist sehr gut.“

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