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7000 Euro brutto für den Stationsmeteorologen

Wenn Pablo nicht mit Arbeit beschäftigt ist, vertreibt er sich die Zeit in der Arktis mit Musizieren.
Helen Hobin

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Dass er in seinem Leben mal für ein Jahr in der Antarktis überwintern würde, hätte Pablo Conrat Fuentes, 26, vor zwei Jahren noch nicht gedacht. Heute ist er der Stationsmeteorologe auf Neumayer III, so der Name der deutschen Polarforschungsstation des Alfred-Wegener-Instituts (AWI). Mit elf weiteren Personen hält er die Station am Laufen, die nächsten Nachbarn: Eine Kolonie von Kaiserpinguinen.

Was ich als Stationsmeteorologe mache

„Viele verbinden mit einem Meteorologen den, der nach den Nachrichten das Wetter vorstellt. Ich sag dann immer: Meteorologie ist Wetter und Klima. Eigentlich finde ich auch ‚Atmosphärenwissenschaften‘ den schöneren Begriff. Wir sind hier auf Neumayer III, einem meteorologischen Observatorium. Das heißt, dass wir versuchen, möglichst viele Aspekte der Atmosphäre zu messen. Die Standardsachen sind beispielsweise die Temperatur, Feuchte, Windgeschwindigkeit und die Windrichtung. Die aus diesen Erhebungen entstandenen Datenreihen sind deshalb so wertvoll, weil sie kontinuierlich seit 1981 erhoben werden. Dadurch können heute die Entwicklungen von Wetter und Klima innerhalb der letzten 43 Jahre analysiert werden.

Ansonsten machen wir hier viele Strahlungsmessungen. Auf einem Messfeld, etwa 400 Meter von der Station entfernt, messen wir unter anderem im kurzwelligen, also dem sichtbaren Bereich, wie viel Strahlung von der Sonne auf die Erde trifft und wie viel reflektiert wird. Diese Messungen sind für das Verständnis des Klimawandels extrem wichtig. Satelliten messen die Strahlung zwar auch, aber sie brauchen an gewissen Punkten eine sogenannte ‚ground truth‘. So kann man die Werte, die der Satellit generiert, mit den am Boden gemessenen vergleichen.“

Wie mein Arbeitsalltag aussieht

„Mein Tag ist sehr strukturiert. Gegen 8:30 gehe ich zum Messfeld, um zu schauen, ob bei den Instrumenten alles in Ordnung ist. Wenn ein Gerät kaputt gegangen ist, muss ich mich darum kümmern, manchmal auch zwischen den Routineterminen. Um 9 Uhr mache ich meine erste sogenannte Wetterbeobachtung. Wir melden im Winter nämlich zwischen morgens um 9 Uhr und Mitternacht alle drei Stunden das Wetter manuell, also durch eigene Beobachtung. Von den sechs Terminen werden mir zwei pro Tag von einem Kollegen abgenommen. Einfach, um auch genug schlafen zu können.

Für die Wetterbeobachtung muss ich die Station verlassen, schauen, wie das Wetter ist, und anschließend wieder drinnen die Daten im Computer eintragen. Diese Meldung wird dann weltweit verschickt. Außerdem lasse ich gegen 11 Uhr einen Wetterballon steigen, der durch die ganze Atmosphäre bis circa 30 Kilometer Höhe misst. Zwischendurch schaue ich mir an, ob bei den Daten vom Vortag alles in Ordnung ist. Einmal in der Woche machen wir auch eine sogenannte Ozonsondierung. Dann lassen wir einen größeren Ballon steigen, um zusätzlich das Ozon in der Atmosphäre zu messen. Eine Mittagspause mache ich natürlich auch.“

Was ich in meiner Freizeit auf der Station mache

„Super wichtig ist, dass man nicht in Monotonie versinkt. Es kann vorkommen, dass man wegen eines Sturms quasi eine Woche lang in der Station eingeschlossen ist und nur mal ganz kurz für ein paar Meter raus kann. Da muss man sich irgendwie zu beschäftigen wissen. Wir schauen zum Beispiel zusammen Filme und spielen Gesellschaftsspiele, aber ich mache auch viel Sport in der Kraftsport-Ecke, schnitze, sticke und setze mich ans E-Piano. Außerdem gibt es eine Sauna, was total geil ist. Von der Sauna direkt raus in Minus 30 bis Minus 40 Grad ist schon ein Erlebnis. Trotzdem ist eine der wichtigsten Regeln: ‚Don’t do stupid shit‘. Wir sind hier allein – und die Stationsärztin kann nur bis zu einem gewissen Punkt helfen. Also macht man alles ein bisschen vorsichtiger.“ 

Was der Job mit meinem Privatleben macht

„Das ist relativ krass, weil man faktisch komplett rausgerissen wird. Ich habe davor in München studiert und bin jetzt für vierzehn Monate weg. Und es gibt zwischendrin keine Möglichkeit, heimzugehen oder Besuch zu empfangen. Man ist einfach raus. Heutzutage ist es nicht mehr ganz so extrem wie früher, weil man ziemlich easy mit Video telefonieren kann und das mache ich mit der Familie und Freunden auch regelmäßig. Aber es ist trotzdem so, dass ich einen ganz anderen Lebensalltag habe. Das ist manchmal schwierig, rüberzubringen. Man ist hier in einer ganz anderen Welt.“

Wie ich zu dem Job gekommen bin

„Nach der Schule habe ich an der TU München Ingenieurwissenschaften studiert. Ich wusste, dass mich die technisch-naturwissenschaftlichen Dinge interessieren, aber so konnte ich mir offen halten, in welche Richtung es genau gehen wird. Der Studiengang ist nämlich relativ breit aufgestellt. Nach den vier Semestern Grundstudium habe ich mich dann auf die angewandten Naturwissenschaften konzentriert, nachdem ich in ein paar Vorlesungen Meteorologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) reingeschnuppert hatte. Die konnte ich mir sogar an der TU anrechnen lassen. Die Atmosphäre an der Munich School of Engineering war total offen, ganz nach dem Motto: ‚Wir machen es möglich, wenn es irgendwie geht.‘ Das Studium hat mir so gut gefallen, dass ich für den Master Meteorologie an die LMU gewechselt bin. In Teilzeit studiere ich nebenher noch den Master Politics & Technology an der TU, aber den habe ich derzeit pausiert.

Auf den Job als Überwinterer beziehungsweise Stationsmeteorologe bin ich durch Dr. Schmithüsen gestoßen. Er ist der wissenschaftliche Betreuer der meteorologischen Observatorien des AWI und hat alle dreizehn Unis in Deutschland angeschrieben, die meteorologisch ausbilden. Mein erster Gedanke war: ‚Krass, was einem so für Stellen vorgeschlagen werden, wenn man in der Meteorologie ist.‘ Aber ich hab sehr schnell festgestellt, dass mich der Gedanke an eine Überwinterung fasziniert.“

Welche Fragen ich auf Partys gestellt bekomme

„‚Hä, wie kommt man da überhaupt hin?‘ ‚Kann man zwischendurch heim?‘ ‚Was isst man da?‘ Ganz viele sagen natürlich auch: ‚Krass, das könnte ich mir überhaupt nicht vorstellen.‘ Ich habe das ehrlich gesagt nie ganz verstanden, weil man doch alles, was man stattdessen machen könnte, davor und danach intensiver machen kann. So war es zumindest bei mir.“ 

Welche Eigenschaften ich für den Job brauche

„Man muss medizinisch expeditionstauglich sein. Das klingt erstmal ganz groß, bedeutet aber eigentlich vor allem, dass man kein Risiko für lebensbedrohliche Krankheiten hat. Hätte man einen Herzfehler, müsste man natürlich genauer darüber nachdenken, ob man sich wirklich bis zu vierzehn Monate aus der Zivilisation hinaus begeben kann. Deswegen wird man auch vorher auf die eigene Expeditionstauglichkeit untersucht.

In persönlicher Hinsicht braucht man auf jeden Fall eine gewisse Belastbarkeit. Man kann die Antarktis nunmal von Ende Februar bis Ende Oktober nicht erreichen, weil die Bedingungen zu schlecht sind. Das Meereis friert so weit zu, dass Eisbrecher nicht durchkommen können und wegen der immer wiederkehrenden Stürme sind die Flugbedingungen zu schlecht. Ich würde sagen, die Isolation ist Teil der Herausforderung – gerade deswegen sollte man teamfähig sein! Wir sind hier als Überwintererteam dreizehn bis vierzehn Monate zusammen auf der Station, davon circa neun Monate nur unter uns. Das Leben auf der Station ist wie eine WG unter Extrembedingungen, aber der gemeinsame Traum der Überwinterung ist ein ziemlich starker Kitt. Das ist für uns alle die einmalige Gelegenheit, ein Jahr in der Antarktis zu erleben.“ 

Vorstellung vs. Realität

„Der größte Unterschied ist, dass man an Abenteuer denkt, wenn man die Worte Überwinterung und Antarktis hört: ‚Da ist bestimmt jeder Tag neu und alles total aufregend!‘ Aber mein Betreuer meinte in der Vorbereitungszeit auch mal zu mir: ‚Alle denken immer diese Extreme, die Temperaturen von bis zu -50 Grad oder Stürme mit Böen von 70 Knoten, seien die größte Herausforderung. Aber eigentlich ist die größte Herausforderung, dass man die Station konsistent und mit wissenschaftlicher Genauigkeit über knapp 400 Tage am Laufen hält.‘ Ich finde auch: Man muss sich den Atem richtig einteilen, wenn man hier klarkommen will.“

Worauf ich mich am meisten freue, wenn ich zurück bin

„Wir sind hier auf dem Gletscher und die nächsten zwanzig bis dreißig Kilometer um uns herum ist auch erstmal nichts, nur flache, weiße Ebene. Die einzige Farbe am Boden ist blaues oder weißes Eis. Dadurch habe ich hier tatsächlich den Himmel ganz anders wertschätzen gelernt, weil er einer der wenigen Dinge ist, die optisch Abwechslung bieten. Bei Sturm ist allerdings nicht nur unten weiß, sondern auch oben – der Schnee ist einfach überall. Und wenn ein Sturm so eine Weile geht, dann denkt man sich: So ein paar Farben, ein Berg, einfach irgendwas, woran sich die Augen festhalten können, wäre schon nett. Ich freue mich sehr auf den Blick, wenn ich wieder auf einem Berggipfel stehe. Und natürlich Pflanzen, ihr Grün. Das wird einfach der Hammer.“

Wie viel ich verdiene

„Ich habe einen Zweijahresvertrag mit dem AWI und bin in der Entgeltgruppe E 13 nach dem Tarif für öffentlichen Dienst. Während meiner Zeit in Deutschland bekomme ich also 4400 Euro brutto. Während der Expeditionszeit, also vom Tag meiner Ankunft bis zum Tag der Abreise, kommt eine so genannte Erschwerniszulage dazu. Wegen der extremen Wetterbedingungen, die hier herrschen, und natürlich wegen der sozialen Isolation steigt das Gehalt dann auf 7000 Euro brutto.

Aber klar, ich mach diesen Job nicht wegen des Geldes. Wahrscheinlich würde ich es auch für weniger machen, weil die Erfahrung einfach so genial ist. Allerdings finde ich das Gehalt auch gerechtfertigt, weil man wirklich lange von Zuhause weg ist, viel verpasst und viel Zeit hier reinsteckt. Ich seh es auch nicht als Geld, was ich hier jeden Monat zur Verfügung habe, sondern eher als Pufferaufbau für später.“

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