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5000 Euro brutto für den KI-Philosophen

Timo gefällt die Kombination aus Informatik und Philosophie in seinem Job.
Foto: Privat/Bearbeitung: SZ Jetzt

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Timo Freiesleben hat nach der Schule die Ausbildung zum Speditionskaufmann abgebrochen und über das Lesen seinen Weg zur Philosophie gefunden. Heute arbeitet er als Postdoc mit dem Schwerpunkt „Künstliche Intelligenz“ an der Universität Tübingen. Dort mietet er zwar eine Wohnung, ist aber hauptsächlich in München, wo er sich mit Freunden eine WG teilt.

Was ich als Philosoph mache

„Meine Aufgabe ist es nicht, den ganzen Tag in einem Sessel zu sitzen und nachzudenken. Philosophen sind nicht nur Schwafler, wie oft angenommen wird. Sie haben eine Vermittlerrolle. Meine Aufgabe ist es, komplexe Probleme und Debatten so zusammenzufassen, dass sie jeder versteht. Auch, wenn es manchmal nicht danach aussieht, haben Philosophen im Optimalfall noch einen Realitätsbezug.

Gerade beschäftige ich mich viel mit der Philosophie von künstlicher Intelligenz: Wie verändert KI die Art, wie wir Wissenschaft betreiben? Der KI-Bereich in der Philosophie ist in den letzten zehn Jahren extrem gewachsen. Einerseits hält die Wirtschaft KI-Modelle wie Chat GPT am Laufen, andererseits gibt es da noch die Wissenschaft hinter der KI. Wenn man sich diesen Teilbereich der Künstlichen Intelligenz ansieht, fällt auf, wie chaotisch er ist: Zum Beispiel sind Begriffe nicht klar definiert und voneinander abgetrennt. Als Philosoph habe ich dann sozusagen einen Ordnungsdrang und will die wissenschaftliche Sprache konkret machen, Begriffe definieren und Struktur reinbringen, um aus Technik nachvollziehbare Wissenschaft zu machen.“

Vorstellung vs. Realität

„Nach dem Klischee ist mein Bereich der Philosophie, also die Logik und Wissenschaftstheorie, eine Männerdomäne, und man muss ehrlicherweise sagen, dass das zumindest auf der Professorenebene leider nach wie vor zutrifft. Wenn man aber in andere Teilbereiche der Philosophie wie zum Beispiel die Ethik schaut, ist der Frauenanteil erfreulicherweise höher. Um dem Geschlechterungleichgewicht in den mathematischeren Bereichen der Philosophie entgegenzuwirken, gibt es aber zum Beispiel bereits Initiativen wie die Summer School for Widening Participation in Mathematical Philosophy an der LMU.“

Welche Eigenschaften man für den Job braucht

„Als KI-Philosoph ist ein Hang zur Abstraktion nützlich, ebenfalls fast sowas wie ein Rationalitätsfetisch. Ich glaube, Verbissenheit ist wichtig, genau wie Durchhaltevermögen. Häufig suche ich ewig nach Lösungen für Probleme, ganz klischeehaft mit Papier und Stift. Für Philosophie muss man bereit sein, lange und tief über etwas nachzudenken.

Und Überraschung: Man braucht Kommunikationsfähigkeit. Kennst du die richtigen Leute, bist du auf den richtigen Konferenzen oder Workshops? Und nehmen die dich dort ernst, bist du Teil der wissenschaftlichen Community? Im Austausch mit Wissenschaftlern bringt es nichts, wie ein Philosoph zu sprechen, weil du dann nicht verstanden wirst. Wenn du im interdisziplinären Kontext arbeitest, braucht es eine Art Mehrsprachigkeit. Das heißt konkret: Fachsprachen verstehen und den Beitrag aus der Philosophie in die Fachsprache übersetzen. Da spielt Offenheit eine total wichtige Rolle. Wenn das funktioniert, entsteht ein Dialog verschiedener Fachrichtungen und das ist total cool.“

Wie ich zu dem Job gekommen bin

„Ich komme aus einem religiösen Arbeiterhaushalt und außer Mathe fiel mir Schule eher schwer. Nach dem Realschulabschluss habe ich eine Ausbildung zum Speditionskaufmann angefangen – und wieder abgebrochen, weil sie mir nicht gefallen hat. Dann stand ich ein zweites Mal vor der Frage, was ich machen will. Irgendwann habe ich versucht, Antworten auf meine Fragen zu finden. Ich habe viel Kant, Platon und Nietzsche gelesen und gemerkt: Wow, es gibt auch rationale Antworten auf diese Fragen, die Religion aufwirft. Das hat mich irgendwie motiviert, mein Abi nachzuholen, Schule fiel mir auf einmal leicht. Weil man Mathe und Philosophie aber nicht gleichwertig im Hauptfach studieren konnte, habe ich Mathe im Hauptfach und Philosophie im Nebenfach gemacht. Es folgte der Master in mathematischer Philosophie in München, dann der Doktor. Währenddessen wurde ich von einem Kollegen angeschrieben, der mir meine aktuelle Stelle als Postdoc angeboten hat.“

Wie mein Arbeitsalltag aussieht

„Morgens habe ich meine Arbeitsphasen und lese Paper aus der Forschung, damit ich weiß, was der aktuelle Stand der Wissenschaft ist. Ich reviewe die Paper auch. Der Sinn dieses Begutachtens, dem Peer Reviewing, ist es, die Unabhängigkeit, Vollständigkeit und vor allem die Gültigkeit des Papers zu sichern. Darauf folgen Schreibphasen. Momentan schreibe ich zum Beispiel ein Buch. Darin geht es um philosophische Fragen, die sich durch Technik lösen lassen. Ansonsten besteht mein Alltag viel aus Interaktion mit meinen Kollegen: Häufig habe ich zum Beispiel Konferenzen oder Workshops, bei denen ich meine Arbeit präsentieren und heruntergebrochen erklären darf.“

Was der Job mit dem Privatleben macht

„Viel: Zum einen wird im akademischen Bereich der Philosophie erwartet, dass man häufig den Ort wechselt. In der Regel ist es so, dass man zwei, drei Jahre in den USA forscht und dann vielleicht noch einen Aufenthalt in Großbritannien anhängt, um dort die Arbeitsweisen der bekannten Unis kennenzulernen. Das ist ein Statusding und erhöht die Chance auf eine Stelle für eine Professur. Ich möchte eher ungern meinen Standort wechseln. Das sehe ich nicht ein, weil meine Freunde und Familie in Deutschland sind. Zum anderen hat sich mein Job wegen der Planungsunsicherheit auf vergangene Beziehungen ausgewirkt. Einen unbefristeten Vertrag kriegst du, wenn alles sehr, sehr gut läuft, erst mit Ende 30 oder Anfang 40. Davor gibt es eigentlich nur Zwei- bis Dreijahresverträge und man ist sehr lange in der Schwebe.“

Was ich an meinem Job mag und was nicht

„Ich habe mit meiner Stelle das Glück, viel Freiheit zu haben. Wenn ich an einem Tag nicht produktiv bin, kann ich meine Arbeitszeiten und auch meinen Arbeitsort anpassen. Ich kann eigentlich überall und zu jeder Uhrzeit mit meinem Laptop arbeiten, wenn ich nicht gerade mit Kollegen ein Paper schreibe. Nach dem Jura- oder Medizinstudium weiß man, welcher Beruf einen erwartet. Das ist bei einem Philosophie- oder Mathestudium anders. Das, was man lernt, ist selten konkret anwendbar. Außerdem gibt es sehr wenig Arbeitsplätze für Philosophen, die tatsächlich als Philosophen ihr Geld verdienen. Obwohl ich noch etwa ein Jahr angestellt bin, muss ich mich schon jetzt nach meinem nächsten Job umschauen. Ob ich den dann überhaupt bekomme, weiß ich nicht. Eine feste Stelle an einer Universität bietet die größte Planungssicherheit. Das ist aber erst realistisch, wenn man sich einen Namen mit seiner Arbeit gemacht hat.“

Welche Fragen ich auf Partys gestellt bekomme

„Ich werde immer nach meiner Zukunftsplanung gefragt und ob ich Professor werden möchte. Wahrscheinlich, weil ich vorweg meistens die befristete Postdoc-Arbeitsstelle erwähne. Die meisten Leute sind total verwirrt, wenn ich sage, dass ich eine Mischung aus Mathematik, Informatik und Philosophie mache.“

Wie viel ich verdiene

„Aktuell bin ich in der Gehaltsklasse E13 und verdiene ungefähr 5000 Euro brutto im Monat. Das ist für mich ein wirklich großer Sprung. Ich war lange Student und habe mich mit BAföG und Nebenjob über Wasser gehalten. Mein Gehalt ist mehr, als ich zum Leben brauche.  Jetzt gehe ich zum Beispiel reisen und esse häufiger auswärts, aber ich habe auch kein Auto oder irgendwelche technischen Geräte. Die Gehaltsspanne für Postdocs variiert je nach Land.“

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