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Bis zu 3900 Euro brutto für die Notfallsanitäterin

Jule liebt ihren Job – doch das System drumherum würde sie gerne ändern.
Foto: Privat/Bearbeitung: SZ Jetzt

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Jule ist als Notfallsanitäterin auf Fahrten des Rettungswagens verantwortlich für die Gesundheit der Patient:innen. Sie ist oft vor allen anderen am Einsatzort und übernimmt die Erstversorgung. 

Wie ich zu dem Job gekommen bin

„Nach meinem Abitur habe ich ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei einer Rettungswache des Bayerischen Roten Kreuzes gemacht. Eigentlich wollte ich so nur die Zeit überbrücken, bis ich weiß, was ich wirklich machen will. Mir hat die Arbeit aber großen Spaß gemacht, also bin ich geblieben. Nach der Grundausbildung zur Rettungshelferin habe ich noch im FSJ die Ausbildung zur Rettungssanitäterin angehängt. Rettungssanitäter helfen bei Einsätzen dem Notfallsanitäter, der die Verantwortung trägt. Außerdem sind sie auf den Fahrten des Krankentransportwagens, auf dem geplante Überweisungen in andere Kliniken gefahren werden, verantwortlich für die Gesundheit der Patienten. Nach meinem FSJ habe ich ein Jahr als Rettungssanitäterin gearbeitet und danach meine dreijährige Ausbildung zur Notfallsanitäterin bei einem privaten Rettungsdienst angefangen. Die habe ich im Herbst 2022 abgeschlossen. Damit bin ich jetzt die Verantwortliche, wenn Notfälle über Funk von der Leitstelle reinkommen.“

Wie mein Arbeitsalltag aussieht

„Ich arbeite 45 Stunden pro Woche im Schichtdienst, entweder von acht bis 20 Uhr oder von 20 bis acht Uhr. Eine weitere Schicht geht von acht bis 18 Uhr. In dieser fahren wir auf längeren Strecken geplante Überweisungen von Intensivpatienten, zum Beispiel vom Krankenhaus in eine Spezialklinik. Nachts sind wir nur zu zweit auf der Rettungswache, tagsüber zu viert. Mein Arbeitstag startet auf der Wache, wo wir den Rettungswagen checken und auf Vollständigkeit prüfen. Wir erledigen Wachaufgaben wie den Rettungswagen zu desinfizieren, neues Einsatzmaterial zu bestellen, das gesamte Material des Rettungswagens auf Verfallsdaten zu prüfen und die Wache zu putzen. Oft üben wir in unserem Schulungsraum verschiedene Einsatzszenarien und bilden uns fort. Wenn alles erledigt ist, kochen wir oft gemeinsam, spielen Brettspiele oder entspannen uns beim Fernsehen. Dabei tragen wir immer einen kleinen Melder an unseren Gürteln, der laut piepst, sobald ein Einsatz reinkommt. Die Leitstelle nimmt den Notruf vom Patienten entgegen und sieht im System, welches Rettungsteam am schnellsten am Einsatzort wäre. Wenn der Notfall bei uns in der Nähe ist und wir nicht bereits bei einem anderen Einsatz sind, alarmiert sie uns. Ansonsten weicht sie auf andere Rettungswägen im Umkreis aus. Sobald der Einsatz bei uns reinkommt, lassen wir alles stehen und liegen und rücken sofort aus.

Im Auto stehen auf dem Navigationssystem dann schon die Adresse, Route und Informationen zum Patienten bereit. Das geht automatisch über das System der Leitstelle. Die Leitstelle gibt uns auch vor, ob wir mit oder ohne Blaulicht zum Einsatzort fahren – je nach Dringlichkeit des Notrufes. Die typischsten Einsätze sind Schlaganfälle, Herzinfarkte, Stürze, Knochenbrüche, Reanimationen oder Autounfälle, nachts häufiger auch Schlägereien oder Alkoholvergiftungen. Als Notfallsanitäterin bin ich Beifahrerin, spreche mit den Patienten, mache die Erstversorgung und entscheide, wie wir vorgehen, welche Medikamente der Patient bekommt und ob wir ihn ins Krankenhaus bringen oder nicht. 

Bei schweren Fällen kommt vor Ort ein Notarzt dazu, der die Behandlung übernimmt. Wir sind meist die Ersten vor Ort, weil  viele Ärzte im Krankenhaus arbeiten und einen längeren Weg zum Auto haben als wir. Im Anschluss fahren wir den Patienten ins Krankenhaus und übergeben ihn ans Personal in der Notaufnahme. Danach geht es zurück zur Wache, wo wir das Auto auffüllen und wieder einsatzbereit sind. Im Schnitt haben wir drei oder vier Einsätze pro Schicht. Keinen Einsatz zu haben, schafft man fast nie.“

Welche Einsätze für mich am schlimmsten sind

„Wir behandeln alle Krankheiten und Unfälle, Säuglinge genauso wie Senioren. Am schlimmsten sind für mich Notfälle mit Kindern oder Säuglingen. Der Umgang mit ihnen ist in einer Notfallsituation oft schwieriger, weil sie noch nicht kommunizieren können, wo sie Schmerzen haben.  Da wir meistens die Ersten am Einsatzort sind, kann der Druck sehr hoch sein, nichts falsch zu machen.

Das Wichtigste, aber auch das Schwierigste in meinem Beruf ist es, eine Entscheidung zu treffen. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran und wird routinierter und sicherer. Wenn mich ein Fall länger beschäftigt, hilft es mir, mit Kollegen oder meinem Freund, der auch Notfallsanitäter ist, darüber zu sprechen und einen Ausgleich im privaten Leben zu haben. Außerdem habe ich ein Pferd. Wenn ich nach der Arbeit dort Zeit verbringe, kann ich abschalten.“

Was der Job mit dem Privatleben macht

„Durch den Schichtdienst ist es schwieriger, soziale Kontakte zu pflegen. Ich muss oft arbeiten, wenn meine Freunde frei haben. Generell bin ich vorsichtiger geworden. Ich würde zum Beispiel nie wieder ohne Helm Fahrrad fahren oder mich aufs Pferd setzen, weil ich oft gesehen habe, was dabei passieren kann.“

Welche Fragen ich auf Partys gestellt bekomme

„Alle sagen immer, dass sie das niemals machen könnten. Sie fragen mich, wie ich das aushalte. Für mich sind die meisten Einsätze inzwischen aber schon zur Routine geworden. Man gewöhnt sich an alles. Viele Menschen begegnen mir mit Unverständnis und gleichzeitig mit Bewunderung.“

Vorstellung vs. Realität

„Ich hatte mir vorgestellt, ich hätte nur dramatische Einsätze und wäre die krasseste Lebensretterin, auch weil man in der Ausbildung die lebensbedrohlichen Krankheitsbilder rauf und runter lernt. In der Realität spielt man als Notfallsanitäter aber oft Hausarzt und sagt Patienten, sie sollen sich einen Wadenwickel machen oder eine Tablette gegen Kopfschmerzen nehmen. Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist oft so überlastet, dass Patienten den Notruf wählen. Manchmal brauchen sie aber nur Bestätigung oder jemanden zum Reden.

Bei den dramatischen Einsätzen, wenn es auf Leben oder Tod ankommt, fühle ich mich trotzdem wie eine Lebensretterin. Das ist eine Rettungsdienstkrankheit: Wir wünschen uns natürlich, dass es allen gut geht. Irgendwie wollen wir aber auch Fälle haben, bei denen wir wirklich helfen und etwas bewirken können. Das gibt einem viel Positives zurück und man fühlt sich lebendig.“

Was ich an meinem Job mag und was nicht

„Vor allem mag ich es, Menschen helfen zu können. Außerdem liebe ich, wie abwechslungsreich meine Arbeit ist. Was in einer Schicht passieren wird, ist nie vorhersehbar. Kein Einsatz ist wie der davor. Ich könnte mir aktuell nicht vorstellen, etwas anderes zu machen.

 

Was mir nicht gefällt, ist das System, das hinter meinem Beruf steckt. Das Gesundheitssystem ist komplett überlastet, es herrscht Ärzte- und Pflegekräftemangel und zahlreiche Krankenhäuser müssen aufgrund der Krankenhausreform schließen. Manchmal muss ich bei einem Einsatz eine halbe Stunde herumtelefonieren, bis ich ein Krankenhaus finde, in das ich meinen Patienten bringen kann, der einen lebensbedrohlichen Notfall hat. Das ist frustrierend und gefährlich.“

Welche Eigenschaften ich für den Job brauche

„Empathie und Geduld spielen eine große Rolle, da die Patienten in Ausnahmesituationen sind. Gleichzeitig muss man durchsetzungsfähig und verantwortungsvoll sein und danach streben, alles richtig zu machen. Außerdem sollte man wissbegierig sein, denn Medizin schläft nie. Man muss sich ständig weiterbilden und Neues lernen.  Deshalb haben wir auch regelmäßig Schulungen und Fortbildungen.“

Wie viel ich verdiene

„Mein Grundgehalt liegt aktuell bei 3170 Euro brutto pro Monat, bald erhalte ich aber eine Lohnerhöhung. Je nachdem, an wie vielen Sonn- und Feiertagen ich arbeite und wie viele Nachtschichten ich in einem Monat übernehme, bekomme ich noch Zuschläge. Meistens komme ich insgesamt auf etwa 3700 bis 3900 Euro im Monat. Damit bin ich zufrieden. Natürlich gibt es Schichten, in denen wir von einem Einsatz zum nächsten hetzen. Da weiß ich manchmal nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Andere Schichten sind dafür ruhiger. Ich denke, das Verhältnis zwischen ruhigen und stressigen Schichten gleicht sich damit ganz gut aus.“

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