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3800 Euro brutto für den Zimmerer

Foto: Privat/Bearbeitung: SZ Jetzt

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Seit zwei Jahren legt Jonas an jedem Arbeitstag seine schwarze Kluft aus Cord an, bevor er in den kleinen Betrieb geht, bei dem er als Zimmerer arbeitet. Ein Knochenjob, sagt er. Aber er mag die harte körperliche Arbeit. Dass er in seinen Mittagspausen oft für einen Dachdecker gehalten wird, gefällt ihm allerdings gar nicht.

Was ich als Zimmerer mache

„Wir bauen richtig große Sachen aus Holz, sowas wie Dachstühle, Holzhäuser oder Fassaden. Im Vergleich zur Arbeit von Tischlern ist die Zimmerei noch größer, anstrengender und stellt Dinge in bis zu zehn Metern Höhe her. Unser Betrieb ist eher ländlich, so haben wir viel Platz und sehr große Lagerhallen. Dadurch können wir Holz mit bis zu 13 Metern Länge verarbeiten. So sind wir beim Bauen von Rahmen oder Wänden viel flexibler. Dafür haben andere Betriebe oft gar nicht ausreichend Fläche zur Verfügung.“ 

Was mich an der Arbeit mit Holz fasziniert

„Bei einem Stück Holz sehe ich nicht einfach nur Holz, sondern die ganzen Möglichkeiten, die es einem bietet. Dazu kommt, dass jedes Stück ein Unikat ist. Die Maserung sieht schön aus, es ist rau und riecht gut. Sobald ich in die Halle komme und es überall nach Holz riecht, fühle ich mich wohl. Mir gefallen aber auch die schweren Werkzeuge, mit denen wir arbeiten. Wo andere Betriebe Autokräne nutzen, arbeiten wir mit Muskelkraft. Da wird nicht gemurrt, sondern gemacht.  Obwohl mir bewusst ist, dass das ein veraltetes Bild ist, gehört das irgendwie für mich zu Männlichkeit dazu. In unserer Branche arbeiten auch überwiegend Männer, wobei das natürlich nicht so sein muss. Wir haben jetzt eine Azubine in unserem Betrieb, das finde ich cool.“ 

Wie ich mit Höhenangst umgehe

„Am Anfang war das schwierig. Als ich das erste Mal von einem Fenster aus auf ein Gerüst klettern sollte, habe ich den Kopf geschüttelt und gestreikt. Das war in meiner ersten Ausbildungswoche. Auch wenn ich eigentlich eine große Klappe habe, ist mir in der Ausbildung schnell klar geworden, dass es nichts bringt, dem Meister zu widersprechen. Natürlich musste ich trotzdem da hoch. Da habe ich die Erfahrung gemacht, dass das mit der Höhenangst eine Gewöhnungssache ist. Mittlerweile denke ich beim Arbeiten nicht mehr über die Höhe nach. Jetzt tanze ich Lambada auf dem Dachstuhl. Sollte jemand gar nicht mit der Höhe klarkommen, gibt es in der Zimmerei auch Aufgaben, die auf dem Boden erledigt werden müssen. Am wichtigsten ist die Konzentration bei der Arbeit: Alle Unfälle, die ich mitbekommen habe, sind passiert, weil jemand unaufmerksam war. Meistens wollte man „nur mal eben“ nochmal etwas machen. In unserem Umkreis ist vor einiger Zeit ein Dachdecker bei der Arbeit verunglückt. Das ist natürlich tragisch. Ich selbst habe mir bei der Arbeit bisher nur Schnittwunden zugezogen.“

Wie ich Zimmerer geworden bin 

„Mein Onkel war Architekt und hat mir mal während eines Praktikums alle Bereiche des Bauens gezeigt. Dabei war ich einen Tag lang auch bei einem Zimmermann. Davon muss ich danach zuhause wohl lange erzählt haben. Denn als ich nach dem Abitur nicht wusste, was ich beruflich machen möchte, hat mich meine Mutter genau daran erinnert. Daraufhin habe ich mir einen Betrieb in der Nähe ausgesucht und eine Bewerbung geschrieben. Als ich die gerade in den Briefkasten vor der Firma werfen wollte, kam sofort der Chef raus: „Was willst du denn hier? Du kannst direkt mal reinkommen!“ Einen Monat später war ich dort zum Probearbeiten. Da habe ich sofort gemerkt, dass Zimmern genau mein Ding ist. Seit meiner Ausbildung freue ich mich jeden Morgen auf den Tag. Diese Motivation hatte ich während der Schulzeit nie. Die Ausbildung konnte ich durch das Abi auf zweieinhalb Jahre verkürzen. Es wäre auch möglich gewesen, noch weiter zu verkürzen. Doch in dem ersten Jahr geht es viel um die Basics im Umgang mit Holz. Das wollte ich nicht verpassen. Nun bin ich seit zwei Jahren Geselle und mache bald meinen Meister.“

Wie mein Alltag als Zimmerer aussieht

„Mein Wecker klingelt um kurz vor sechs Uhr, knapp eine Stunde später stehe ich an der Halle meines Betriebs. Dort ist unsere Teambesprechung. Mein Chef entscheidet dann, mit wem ich wohin fahre und was wir dort machen. Natürlich gibt es Kolleg:innen, mit denen man nicht so gerne zusammenarbeitet und auch unschöne Aufgaben. Dämmen ist zum Beispiel mein persönlicher Horror, weil das Material total juckt. Im Verlauf des Arbeitstages habe ich dann zwei Pausen und gegen Nachmittag Feierabend. Im Handwerk wird jedoch selten pünktlich Schluss gemacht. Stellen wir im Sommer ein Holzhaus auf, können wir erst wieder fahren, wenn die Bude dicht ist.“

Vorstellung vs. Realität

„Kaum jemand weiß, was wir Zimmermänner überhaupt machen. Ich merke, wie unser Beruf in Vergessenheit gerät. Wenn ich in meiner schwarzen Zunftkleidung unterwegs bin, werde ich oft für einen Dachdecker gehalten. Ich glaube, auch deshalb haben die wenigsten Menschen uns Zimmerer auf dem Schirm. Wer an den Bau denkt, stellt sich meistens Dachdecker oder Maurer vor. Wenn ich ehrlich bin, ging es mir früher auch nicht anders. Obwohl der Beruf der Zimmerer sehr alt ist, ist er wenig präsent.

Seitdem ich selbst Zimmermann bin, ist es mir wichtig, die Traditionen der Zimmerei aufrecht zu halten. Das mache ich zum Beispiel durch das Tragen meiner Kluft aus Cord und den Gesellenhut. Auf Wanderschaft bin ich nicht gegangen. Denn dabei darf man sich für drei Jahre und einen Tag seinem Zuhause nicht mehr als 50 Kilometer nähern. Die Wanderschaft war ursprünglich dafür gedacht, dass man sich selbst und verschiedene Arbeitsweisen kennenlernt. Ich konzentriere mich lieber bewusst auf die Zimmerei. Einen Ohrring habe ich mir trotzdem stechen lassen - traditionell mit Nagel und Hammer. Leider musste ich den mittlerweile wieder rausnehmen, weil es sich ziemlich entzündet hatte. Trotzdem gehört das für mich alles dazu.“

Welche Eigenschaften ich für den Job brauche

„Neben handwerklichem Geschick ist es praktisch, wenn man gut Kopfrechnen kann und ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen hat. Die körperliche Fitness ist auch wichtig. Und ein dickes Fell, denn es herrscht ein rauer Ton. Wegen des straffen Zeitplans auf der Baustelle bleibt wenig Zeit für Höflichkeiten. Doch selbst, wenn man sich während der Arbeit mal ordentlich anbrüllt, ist mit dem Feierabend wieder alles verziehen. Der Bau ist einfach noch sehr männlich geprägt. Dabei freue ich mich, wenn auch Frauen Lust auf die Arbeit haben. 

Dafür muss man aber erstmal Lust auf so einen Knochenjob haben. Auf den Baustellen balanciere ich auf Balken, die teilweise nur zwölf Zentimeter breit sind - auf acht Metern Höhe.

Heutzutage wird in vielen Berufen darauf geachtet, dass man sich nicht kaputt arbeitet. Doch in unserer Branche ist das noch nicht so verbreitet. Natürlich gibt es auch in der Zimmerei Betriebe, die mehr Maschinen einsetzen als unserer. Doch gehört für mich das harte Arbeiten auch zu meinem Handwerk dazu. Am Ende des Tages weiß ich genau, was ich geschafft habe. Manche Forderungen, die in anderen Berufen laut werden, wie die Vier-Tage-Woche, machen meiner Ansicht nach in unserer Branche wenig Sinn. Ganz anders als zum Beispiel in sozialen Berufen kann ich nach erledigter Arbeit aber auch gut abschalten. Das ist leicht voneinander zu trennen.“ 

Wie sich der Job auf mein Privatleben auswirkt

„Wenn ich mit dem Auto an Häusern vorbeifahre, die ich mitgebaut habe, ist das ein tolles Gefühl. Die zeige ich auch meiner Familie, nach dem Motto: Guckt mal, das habe ich gemacht. Mein Lieblingsprojekt war das Holzhaus von meinem Chef. Da haben wir auch die Fassade gebaut, was sehr besonders ist. Sollte ich irgendwann mal selbst bauen, wird es definitiv ein Holzhaus. Davon bin ich auch wegen der Nachhaltigkeit überzeugt. Doch leider wird man durch die Arbeit körperlich schnell alt. Mir ist daher bewusst, dass ich das nicht für immer machen kann.“

Welche Frage ich auf Partys gestellt bekomme

„Als Handwerker fragen einen regelmäßig auch privat Leute, ob man nicht mal eben dies oder jenes reparieren oder bauen könne.  

Darauf antworte ich dann meistens im Scherz, dass sie sich meine Arbeitszeit gar nicht leisten können.“

Wie viel ich verdiene

„Als Geselle verdiene ich 3800 Euro brutto. Damit bin ich aktuell zufrieden. Mit einem Meister ist die Verhandlungsposition für ein höheres Gehalt noch besser. Es ist aber auch möglich, ohne den Meister mehr Verantwortung zu übernehmen. Das geht zum Beispiel als Vorarbeiter:in, wenn man eine Baustelle leitet. Generell denke ich, dass das Handwerk leistungsorientiert ist: Wer gute Arbeit leistet, wird auch gut vergütet.“ 

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