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3600 Euro Brutto für den Kochlehrer in der Psychiatrie

Zusammen mit seinen Schüler:innen kocht Axel auch mal seine Lieblingsrezepte.
Foto: privat; Illustration: jetzt

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Wie man Fachlehrer:in wird 

Mein Weg zum Fachlehrer war ein bisschen holprig – ich bin viele Umwege gegangen. 

Ich war auf der Hauptschule und da auch ziemlich schlecht. Weil ich nie Hausaufgaben gemacht habe und faul war. In der neunten Klasse mussten wir dann drei Praktika absolvieren. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, in die Gastronomie zu gehen, weil ich Koch werden wollte. Gleich bei meinem ersten Praktikum habe ich gemerkt, wie hart es ist, in einer Küche zu arbeiten. Als 15-jähriger Junge war das echt die Hölle. Der Stress und der raue Ton, der nunmal in einer Küche herrscht, acht Stunden am Tag, das ist für einen Schüler schon anstrengend. Das Zweite und dritte Praktikum in der Gastronomie waren dann besser. Und schließlich habe ich bei meiner letzten Arbeitsstelle auch die Ausbildung zum Koch begonnen – direkt nach meinem Abschluss. 

Nach den drei Jahren Ausbildung hatte ich dann keine Lust mehr auf die Gastronomie. Also habe ich mich erstmal umorientiert und ein paar Jahre als Integrationshelfer gearbeitet, unter anderem an der Münchner Otto-Steiner Schule, das ist eine Förderschule für Kinder mit geistiger Behinderung. Ich habe zum Beispiel einen Autisten betreut und ihm durch den Tag geholfen. Das hat mir unglaublich viel Spaß gemacht. Im Gegensatz zur Küche war das eine sehr entspannte und lockere Arbeit. 

Eines Tages ist dann eine Fachlehrerin auf mich zugekommen, hat mich gelobt, wie gut ich mit den Kindern umgehe und mich gefragt, ob ich nicht auch Fachlehrer werden möchte – in meinem Fall Kochlehrer. Ich? Fachlehrer? Mit 21 Jahren, die Verantwortung für eine ganze Schulklasse? Und wie soll das gehen? Ich hatte ja nicht studiert und auch keine schulische Ausbildung. Sie gab mir die Nummer einer Frau die sich um Leute kümmert, die eine handwerkliche Ausbildung haben und Fachlehrer im Seiteneinstieg werden wollen. Also Quereinsteiger. Sie rief mich noch am selben Tag zurück und erzählte mir von einer frei gewordenen Stelle an der Heckscher Klinik. Das ist eine Einrichtung für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche in München. 

Nur wenig später hatte ich mein Vorstellungsgespräch und einen Tag Hospitanz. 

Ich stand vor dieser Klasse und plötzlich waren alle Sorgen und Ängste wie weggeblasen. Ich habe mich gefühlt, als hätte ich nie etwas anderes gemacht. Am nächsten Tag habe ich dann den Anruf bekommen, dass sie mich nehmen. Ich musste auch keine Zusatz-Ausbildung oder ein Seminar besuchen. Ich konnte einfach anfangen. Aber natürlich hat mich die Zeit als Integrationshelfer sehr gut darauf vorbereitet mit Kindern und Jugendlichen aller Art zu arbeiten. An einer Regelschule zu unterrichten wäre mir allerdings nicht möglich. Das ist von der Regierung so vorgegeben. Wer als Quereinsteiger anfängt, kann nur an Förderschulen unterrichten. An diesen müssen wir nämlich keine Prüfungen durchführen – dazu sind wir nicht befugt. 

Wie der Arbeitsalltag als Fachlehrer:in aussieht

Morgens gehe ich so gegen sieben Uhr einkaufen, besorge alle Lebensmittel, die ich fürs Kochen benötige. Entweder die Kinder haben sich ein spezielles Gericht gewünscht, oder es passt gut in den Lehrplan. Danach fahre ich direkt in die Arbeit. Und dann habe ich zwei oder drei Doppelstunden mit verschiedenen Klassen. An der Heckscher Klinik betreue ich zwei Krisen-Klassen. Das sind Schüler, die vorher eine normale Regelschule besucht haben. Aber aufgrund einer schweren Krise in der Familie oder der Schule werden sie für vier bis maximal sieben Wochen in der Klinik behandelt. Die Schüler sind also mit dem „normalen“ Schulalltag vertraut und sollen nach ihrem Aufenthalt möglichst wieder an ihre alten Schulen zurückgeführt werden. Sie sind also nur für einen sehr kurzen Zeitraum da. Deshalb habe ich zwar nicht viele Klassen, aber sehr viele Schüler. Oft fällt es mir deshalb sehr schwer, mir alle Namen zu merken. An meinem zweiten Arbeitsplatz, der Otto-Steiner-Schule ist das anders. An der habe ich auch schon als Integrationshelfer gearbeitet und als eine Stelle als Fachlehrer frei wurde habe ich sie direkt angenommen.

Welche Eigenschaften sollte ein:e Fachlehrer:in haben?

Weil ich mit psychisch erkrankten und auch geistig behinderten Kindern und Jugendlichen arbeite, brauche ich in erster Linie Einfühlungsvermögen. Du musst empathisch sein und dich ein Stück weit in die Kinder hineinversetzen können. Natürlich brauchst du auch eine gewisse Ahnung von deinem Beruf. Je mehr Ahnung du hast, desto stabiler und selbstsicherer steht du im Unterricht. Wenn du etwas erklärst, wird es besser aufgenommen. Das ist auch das, was mir meine Schüler immer sagen: Sie sind begeistert davon, dass ich als Koch gearbeitet habe, eine Ausbildung gemacht habe. Ich kann ihnen das Kochen auf eine ganz andere Art und Weise beibringen. 

Die Herausforderung

Menschen mit Behinderung um mich herum zu haben, bin ich schon von klein auf gewöhnt. Meine Mutter arbeitet seit ich denken kann in diesem Bereich. Aber mit psychisch Erkrankten zu arbeiten, daran musste ich mich erstmal gewöhnen. Anfangs kann einen das sehr mitnehmen. Ich kriege jede Woche etwa vier neue Schüler in den Krisen-Klassen. Das heißt vier Anmeldebögen und somit vier Geschichten, wieso sie hier sind. Das sind teilweise schon schwere Schicksalsschläge. Da sind dann die Eltern gestorben oder sie waren von schwerem Mobbing betroffen. Diese Geschichten nimmt  man ab und zu auch in Gedanken mit nach Hause. Aber mit der Zeit habe ich gelernt, mit den Schülern abzuschließen, sobald sie mein Klassenzimmer verlassen. 

Eine ganz konkrete Herausforderung stellte sich mir vor nicht allzu langer Zeit. Ich hatte eine Schülerin total falsch eingeschätzt. Sie war mit den Aufgaben überfordert und ließ eine Schüssel mit Mandeln fallen. Das war ihr so peinlich, dass sie sich ohnmächtig stellte. Für etwa zwei Sekunden hatte ich das Gefühl von absoluter Hilflosigkeit. Aber natürlich sind wir auf solche Momente vorbereitet. Ich drückte einen Alarmknopf und merkte auch recht schnell, dass die Schülerin ihre Ohnmacht nur spielte. Wir redeten dann in Ruhe und konnten das Problem schnell lösen. 

Wie viel man als Fachlehrer:in verdient 

Ich habe zwei Arbeitsverträge. Einen bei der Heckscher Klinik und somit bei der Regierung von Oberbayern und mit der Otto-Steiner-Schule. Bei beiden arbeite ich jeweils 14 Stunden in der Woche, also 28 Stunden insgesamt. Außerdem habe ich die Schulferien frei, was ziemlich cool ist. Insgesamt bekomme ich im Monat 3600 Euro Brutto. 

Die Frage, die ich auf Partys immer gestellt bekomme 

Erstmal glaubt mir niemand, dass ich Fachlehrer bin, wenn das Thema aufkommt. Wahrscheinlich wirke ich einfach nicht wie der typische Lehrer und ich bin ja auch noch sehr jung. Und dann fragen sie immer, wie es ist, mit psychisch Erkrankten zu arbeiten. Die meisten stellen sich das unglaublich herausfordernd vor. Am Anfang dachte ich das auch. Weil ich mit ihnen koche und viele spitze und gefährliche Gegenstände benutzt werden.Ich hatte Angst, Schülern ein Messer in die Hand zu geben, dachte, dass sie sich sofort etwas antun würden. Aber so ist das nicht.  Sie lieben das Kochen, die Zubereitung der Gerichte. Ich schaffe in meinen Stunden einen Ort, an dem sie sich wohl fühlen und frei entfalten können. Die Stimmung ist dabei alles andere als bedrückend. 

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