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Gehalt: Was verdient ein Digital Streetworker
Bereits während seines Studiums hatte Andreas, 31, den Wunsch, digitale Medien in der Jugendarbeit einzusetzen. Er selbst zockt schon seit Jahrzehnten, angefangen mit Tetris und Super Mario auf dem Gameboy, als er fünf Jahre alt war.
Was ich als Digital Streetworker mache
„Ich bin Sozialpädagoge und arbeite als Digital Streetworker beim Bayerischen Jugendring, zuständig für den Bezirk Unterfranken. Ich bin im Internet auf sozialen Medien, Spielen und Plattformen unterwegs und biete dort Jugendlichen von 14 bis 27 Jahren bei Problemen Hilfe an. Ich berate sie, unterstütze sie bei Anträgen, helfe ihnen, Therapieplätze zu finden, oder bin verfügbar, falls sie einfach nur reden wollen. Meine Fokusthemen sind Einsamkeit, psychische Gesundheit und Identität.
Für unser Projekt sind 14 Digital Streetworker mit unterschiedlichen Fokusthemen tätig. Man kann sich grundsätzlich mit jedem Thema an uns wenden. Zum Beispiel auch bei drohender Obdachlosigkeit, Armut, Diskriminierungserfahrungen. Falls wir ein Thema nicht selbst bearbeiten können, vermitteln wir die Person an eine geeignete Fachstelle. Wir sind auf verschiedenen Plattformen wie Discord, Instagram und Tiktok unterwegs, wo wir gezielt Leute ansprechen oder sie sich bei uns melden können. Wenn ich zum Beispiel auf Reddit lese, dass jemand unter Einsamkeit oder depressiven Episoden leidet oder Mobbingerfahrungen schildert, mache ich ein Gesprächsangebot. Unser Angebot ist kostenlos und wir unterliegen einer Schweigepflicht. Über die Grenzen der Schweigepflicht klären wir frühzeitig auf.“
Wie mein Arbeitsalltag aussieht
„Ich arbeite mal im Büro, mal von zuhause aus. Morgens checke ich zuerst am Laptop, ob neue Nachrichten und E-Mails angekommen sind oder sich Ämter gemeldet haben. Ich arbeite alles ab und erledige einige Anrufe. Dann beginne ich mit der Suche nach Fällen: Pro Tag nehme ich mir eine Plattform vor. Bei Reddit suche ich mithilfe eines Bots gezielt nach Schlagwörtern wie Angst, Gewalt, Sucht. So werden auffällige Beiträge herausgefiltert. Die durchsuche ich dann händisch, das können 1000 bis 1500 Beiträge sein.
Wie alt Personen sind, frage ich nicht. Die meisten Klienten sagen von selbst, ob es passt oder nicht, wenn wir die Zielgruppe unseres Angebots nennen. Wir arbeiten grundsätzlich datensparsam und erfragen zum Beispiel das Geschlecht nur dann, wenn es für die Bearbeitung des Falls relevant ist. Nach dem Wohnort fragen wir nur, um Hilfsangebote in der Nähe vermitteln zu können.
Manche Klienten brauchen den Kontakt in Echtzeit. Andere brauchen weniger Kontakt, schreiben eher lange Nachrichten oder melden sich nur unregelmäßig. Eine Daumenregel sind maximal fünf Beratungen pro Streetworker am Tag. Aber es gibt auch Tage, an denen ich gar nicht weiß, wem ich zuerst antworten soll. Zwischendurch machen wir im Büro auch Bildschirmpausen und tauschen uns beim Kaffee mit Kollegen aus.“
Wie ein typischer Fall aussieht
„Einsamkeit ist ein häufiges Thema. Das bezieht sich nicht nur auf das physische Alleinsein, sondern kann auch in Partnerschaften oder Freundesgruppen entstehen. Ein typischer Fall wäre also, dass mich jemand anschreibt und sagt, dass er oder sie sich einsam fühlt. Dann schreibe ich zurück, dass unser Angebot kostenlos ist und wir unter Schweigepflicht stehen.
Ich frage, ob wir auf eine datenschutzsichere Plattform wechseln wollen. Wenn nicht, ist das in Ordnung. Dann frage ich nach: Wann fühlst du dich einsam? Was macht das mit dir? Würdest du dir wünschen, das aufzulösen? Sollen wir Strategien erarbeiten, wie du das selbst auflösen kannst? Je nach Antwort leiten wir dann den nächsten Schritt ein.“
Wie ich zum Job gekommen bin
„Das ist eine ziemlich lustige Geschichte. Ich habe Sozialpädagogik und Erwachsenenweiterbildung in Bamberg studiert und habe zu der Zeit einen Vortrag von jemandem aus der Fachberatung Oberfranken gehört. Ich habe da viele Nachfragen gestellt. Später hat mir die Person eine E-Mail mit einer Stellenbeschreibung geschickt, mit der Frage, ob ich jemanden kennen würde, der an der Stelle interessiert wäre. Ich habe nicht lange gezögert, denn die Beschreibung war genau das, was ich machen wollte. Also habe ich angerufen und gesagt: Ja, ich weiß jemanden – mich!“
Was der Job mit meinem Privatleben macht
„Es ist eine Herausforderung, sich abzugrenzen und die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen, vor allem bei schwierigen Fällen. Das geht mal besser, mal schlechter. Es ist ein Prozess. Aber zum jetzigen Zeitpunkt kann ich sagen, dass meine Arbeit keinen negativen Einfluss auf mein Privatleben hat. Natürlich nehme ich durch den Job auch im Netz Dinge sensibler wahr, die ich davor noch nicht gesehen habe. Meinen privaten Account gebe ich bei der Arbeit nicht preis, um eine Grenze zu schaffen – mein Privatleben bleibt mein Privatleben.“
Welche Fragen ich auf Partys gestellt bekomme
„,Kommen die wirklich mit allen Problemen zu euch?‘ oder ,Und mit dir kann man dann Fortnite zocken?‘, solche Fragen kommen oft. Ich sage dann: ,Ja, wenn man möchte.‘ Aber wir zocken nicht nur zum Spaß: Das ist ein digitales Spiel, wie beim Jugendtreff das Schachbrett oder das Mensch-ärgere-dich-nicht, um eine Beziehungsebene zu schaffen. Für viele Menschen ist Gaming ein Entspannungsmoment und ein Bereich, in dem sie sich besser öffnen können.
Zudem kann Gaming bei sozialer Phobie eine Möglichkeit sein, aus der Einsamkeit herauszukommen, da die Person den Abstand zu anderen selbst bestimmen kann, ohne physisch anwesend zu sein. Am häufigsten angefragt werden Fortnite oder Minecraft. Ich biete den Jugendlichen ein Potpourri aus Spielen an. Wenn man etwas anderes spielen möchte, geht das auch, es muss nur zum Alter passen.“
Welche Eigenschaften man für den Job braucht
„Man braucht auf jeden Fall ein dickes Fell und die Fähigkeit, sich abzugrenzen. Schließlich stößt man auch auf Hasskommentare oder Negativität in den Kommentarspalten. Es erfordert Disziplin, das nach Feierabend nicht mit nach Hause zu nehmen. Und wie in jedem sozialen Job braucht man viel Empathie, um auf die Leute eingehen zu können: Man kann sich nie zu 100 Prozent in eine Person einfühlen. Jeder Mensch fühlt ja anders. Zudem braucht man ein gewisses Maß an Argumentationsfähigkeit, um einen Vertrauensvorschuss zu bekommen. So kann man Vor- und Nachteile erläutern und gemeinsam eine Zukunftsvision erarbeiten. Und nicht zuletzt sollte man eine Faszination für digitale Medien mitbringen: Wenn man mit schriftlicher oder telefonischer Beratung nichts anfangen kann, wird man sich hier schwertun.“
Vorstellung vs. Realität
„Es ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe, und immer noch mein Traumjob. Positiv überrascht hat mich, wie viele Leute sich einem öffnen. Das ist toll, weil man nur so wirklich helfen kann.“
Wie viel man als Digital Streetworker verdient
„Ich habe einen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst, wo man je nach Erfahrung und Stufe mehr verdient. In meiner Stufe verdiene ich 3897 Euro brutto bei einer 40-Stunden-Woche. Damit bin ich zufrieden und, soweit ich weiß, ist das ein relativ gutes Gehalt in der Branche.“