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Was mir das Herz bricht: Deko in Airbnb-Unterkünften

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Es ist eigentlich nicht sehr wahrscheinlich, dass einem bei einem Wochenende am Meer das Herz bricht. Man ist ja zum Entspannen da, nicht, um sich unglücklich zu verlieben oder sich verlassen zu lassen. Auch ansonsten hat man Scheuklappen auf und versucht, das Elend der Welt einfach mal ein paar Stunden lang auszublenden. Trotzdem ist mir in genau so einer Feriensituation schonmal das Herz gebrochen. Und zwar, als ich die Unterkunft betreten habe. Erst sah ich große Fenster: schön! Ein sauberes Bad: top! Eine Auswahl an Teesorten in der Küche: wie nett! Aber dann. Ein Schild im Flur, auf dem „Beach – Sunshine – Surfin’ – Happiness“ stand: knack! Eine schmale Vase mit einer einzelnen künstlichen Gerbera darin: knack, knack! Ein Wandtattoo mit der Aufforderung „Live, laugh, love“: knack, knack, knack!

Die Deko in Ferienwohnungen macht mich oft sehr traurig. Vor allem in denen, die man über Airbnb bucht und die für sich laut Beschreibung den Anspruch erheben, „beautifully furnished“ zu sein. Ja, manchmal ist die Deko auch geschmacklos oder hässlich oder billig oder beliebig, aber ausnahmslos immer ist sie: tieftraurig. Ich frage mich dann, wie sie zustande kommt, und stelle es mir ungefähr so vor:

Wie es zu der geschmacklosen Auswahl kommen könnte

Eine Frau, nennen wir sie Regina, hat eine Wohnung in einem Städtchen am Meer. Jahrelang hat sie die ganz normal vermietet, aber dann hat ihr jemand den Tipp gegeben, dass sie viel mehr Geld mit ihrer Immobilie verdienen würde, wenn sie eine Ferienwohnung daraus macht. Nachdem die letzten Mieter*innen gekündigt hatten, hat sie darum alles neu gestrichen und die Wohnung eingerichtet, hauptsächlich mit Produkten aus einem bekannten schwedischen Möbelhaus: ein Esstisch, passende Stühle, ein Sofa, Lampen, ein freischwingender Sessel, ein Bett, diese eine Bettwäsche mit Blumenmuster, einen Fake-Flokati-Teppich für warme Füße. Dann stand sie in ihrer Wohnung, die noch ziemlich nach frischer Farbe und Weichmachern roch, und hatte das Gefühl, das irgendwas fehlte. Aber was? Ihr Blick fiel auf die kahlen Wände und die leeren Oberflächen, bis ihr auffiel: „Ach, natürlich, ich brauch’ noch Deko!“

Das Wichtigste der Airbnb-Wohnungsdeko: günstig und pflegeleicht

Und damit nahm das Elend seinen Lauf. Weil Regina nämlich ihr Airbnb-Profil endlich fertig anlegen wollte, weil sie das eingeplante Budget für die Herrichtung der Ferienwohnung schon ausgereizt hatte (den Punkt „Deko“ hatte sie in der Kostenaufstellung natürlich vergessen) und weil sie eigentlich auch überhaupt keine Zeit hatte, denn wer hat die schon, setzte sie sich an den Computer, rief die Webseite eines Online-Versandhandels auf, tippte die Suchbegriffe „Deko Wohnzimmer“ und „Deko Wand“ ein und bestellte Kram im Wert von 50 Euro, der ihr irgendwie passend schien und pflegeleicht ist (auf keinen Fall Pflanzen, die gießt ja dann keiner!). Zum Beispiel dieses Beachsunshinesurfinhappiness-Schild. Surfen kann man hier zwar nicht und die Sonne scheint auch nicht so oft, aber hey, einen Strand gibt’s und für Happiness sind die Gäste selbst zuständig! Außerdem suggeriert die Holzoptik Natürlichkeit, der Aufhänger in Schiffstau-Optik Rustikalität, und billig ist es auch. Was will man mehr?

Gute Deko sagt etwas über die Persönlichkeit der Bewohner*innen aus

Die Sache ist: Als Gast will ich wirklich nicht mehr, sondern sogar weniger. Lieber gar keine Deko als diese! Ihre Traurigkeit rührt vor allem daher, dass Wohnungsdeko eigentlich erst mit der Zeit richtig gut wird. Sie muss wachsen und sich entwickeln, wie eine Patina, die eine Oberfläche veredelt. Weil man ein Bild, ein Sofakissen oder eine Obstschale nicht zwingend braucht, muss man sich nicht hetzen. Man kann mal was auf dem Flohmarkt mitnehmen, mal ein Souvenir im Urlaub kaufen, mal vom guten Geschmack der Freund*innen profitieren, die einem eine besonders schöne Vase zum Geburtstag schenken. Viele denken, Bilder oder Kerzenständer müssten immer zur Farbe der Vorhänge oder des Sofas passen, dabei gibt es eigentlich nur eine wichtige Deko-Regel: Sie ist dann gut, wenn man dazu eine Geschichte erzählen kann. Wenn hinter dem Bild über der Kommode mehr steckt als der Nagel in der Wand. Wenn es etwas über die Persönlichkeit der Bewohner*innen sagt oder bei ihnen bestimmte Gefühle auslöst, wenn sie es betrachten. Gute Gefühle, natürlich, nicht Traurigkeit. Doch welche Geschichte könnte Regina wohl über das Beachsunshinesurfinhappiness-Schild erzählen? Eigentlich nur diese: „Ich brauchte noch Deko, also hab ich welche bestellt.“ 

Lieblose Deko betont, dass in der Wohnung niemand wohnt

Ist ja auch logisch. Sie wohnt ja nicht dort. Niemand wohnt dort, also kann nichts an diesem Ort die Persönlichkeit irgendeines Menschen spiegeln. Muss auch gar nicht sein. Aber dann machen die Reginas dieser Welt leider den fatalen Fehler, es trotzdem nicht bei Funktionalität zu belassen, sondern fix noch „Gemütlichkeit“ und „Individualität“ herstellen zu wollen. So ein „liebevoller Touch“ ist ja schließlich das, was später für richtig euphorische „such a beautiful place!“-Bewertung sorgt, die die Wohnung dann wiederum in der Suche weit nach oben spülen.

Und das macht es doppelt traurig: Viele fallen anscheinend drauf rein. Finden es pfiffig, wenn auf dem Teelichthalter Muscheln sind, weil das Meer ja in der Nähe ist. Wenn in der Küche ein „Coffee Menu“-Plakat mit Cappuccino- und Latte-Macchiato-Erklärmotiven drauf hängt, denn hier kocht man schließlich Kaffee. Sie halten das für „wohnlich“, obwohl es eigentlich nur betont, das hier niemand wohnt. Denn zwischen dem Herzkissen mit Armen im Wohnzimmer und dem Schild neben der Wohnungstür, auf dem „Home“ steht, klaffen diese riesige Lücken, in denen sich in einer normalen Wohnung Leben ansammeln würde: an den Kühlschrank gepinnte Geburtstagseinladungen, dreckige Teller in der Spüle, eine zerwühlte Wolldecke, ein aufgeschlagenes Buch, eine halbvolle Tasse, eine Topfpflanze, ein überfüllter Wäschekorb und eine halbleere Zahnpastatube. Ohne die Deko würde gar nicht auffallen, dass das alles fehlt. Denn ohne die Deko würde die Wohnung nicht so kläglich „Ich tue so, als wäre ich ein echtes Zuhause!“ quieken. Und übrigens auch nicht so überdeutlich auf das moralische Versagen der Vermieterin (und der Mieterin) hinweisen: „Hier könnte eigentlich wirklich jemand wohnen, bloß verknappen wir halt lieber gemeinsam den Wohnraum in dieser Stadt. Sorry, not sorry!“

Aber warum war man noch gleich hergekommen? Ach ja: Um das Elend der Welt einfach mal ein paar Stunden lang auszublenden – zumindest wenn gerade keine Reisebeschränkungen gelten. Wenn man Scheuklappen hat, die sogar das hinkriegen, kann man damit ziemlich sicher auch traurige Deko ignorieren. Ich zumindest habe das bisher so gemacht: schnell weggeschaut. Und dann den Riss im Herzen in der Seeluft heilen lassen. 

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