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„Es geht nicht darum, die Story zu ändern, sondern die Personen, die sie erleben“

Foto: David Uzochukwu

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Dem Spielfilm „Futur Drei“ eilte schon vor seiner Kinopremiere ein Kultstatus voraus. Das Filmdebüt des jungen Regisseurs Faraz Shariat (26) erhielt bereits den „First Steps Award“ in den Kategorien „Bester abendfüllender Spielfilm“ und „Bestes Ensemble“ und den „Teddy Award“ der Berliner Filmfestspiele als „Bester Spielfilm“. Am 24. September startete er nun auch für alle zugänglich im Kino. „Futur Drei“ erzählt die Geschichte von Parvis, der als Sohn iranischer Eltern im niedersächsischen Hildesheim aufwächst. Nach einem Ladendiebstahl muss er Sozialstunden in einer Geflüchtetenunterkunft ableisten und verliebt sich dabei in Amon, der mit seiner Schwester Banafshe Arezu aus Iran geflüchtet ist. 

Wir haben mit dem Regisseur Faraz Shariat und den Darsteller*innen von Parvis (Benjamin Radjaipour, 29) und Banafshe (Banafshe Hourmazdi, 30) über den Film und die fehlende Selbstverständlichkeit von migrantischen und queeren Lebensentwürfen im deutschen Film gesprochen.

jetzt: In der Berichterstattung über Menschen mit Migrationsgeschichte stehen oft deren Vergangenheit und ihre traumatischen Erfahrungen im Zentrum. Wie wollt ihr das ändern?

Faraz Shariat: Es braucht mehr Geschichten über Menschen mit Migrationserfahrung, die abseits von Leid, Versöhnung und der stumpfen Aufarbeitung der eigenen Traumata erzählt werden. Wir wollten, dass unsere Figuren mehr sein dürfen, als Menschen mit Migrationserfahrung – sondern auch Töchter und Söhne, Liebende und Tänzer*innen. Dafür muss sich der Blick verschieben, mit dem auf diese Figuren geschaut wird. 

„Wir wollten, dass unsere Figuren mehr sein dürfen, als Menschen mit Migrationserfahrung“

Wie will „Futur Drei“ diesen Blick verschieben? 

Faraz: Wir hatten am Set einen BPOC-Anteil von 60 Prozent, queere Menschen in den Entscheidungspositionen und mehr Frauen als Männer hinter der Kamera. Dieser formale Aspekt beeinflusst den Inhalt und die Ästhetik. Es macht einen Unterschied, wenn nicht eine weiße Person das Casting macht, sondern ein*e BPOC: Nur so geht der Blick weg vom white gaze der weißen Mehrheitsgesellschaft.

In dem Film wird Parvis in einer Disko von einem Fremden gefragt, woher er komme. In einer anderen Situation sagt ein One-Night-Stand zu ihm, dass er eigentlich nicht auf Menschen wie ihn stehe. Wie stellt man diese Thematiken dar ohne Klischees zu reproduzieren?

Benjamin Radjaipour: Zum einen greift da wieder das Grundprinzip des Films. Die Figuren werden nicht ausschließlich in solchen Situationen gezeigt, sondern auch in vielen anderen, alltäglichen Situationen. Zum anderen verlassen die Figuren solche Szenen selbstbewusst und mit Würde. Parvis entgegnet seinem One-Night-Stand zum Beispiel: „Ich steh eigentlich auch nicht so auf jung gebliebene Kartoffeln.“ Damit bewahrt er in dem Moment seine Agency, also seine Handlungsfähigkeit. 

Ist „Futur Drei“ ein politischer Film? 

Banafshe Hourmazdi: Ja. Trotzdem macht es Spaß den Film zu sehen. Politische Agenda und Spaß müssen sich nicht ausschließen – das sieht man auch an Bewegungen wie „Fridays for Future“. Im Gegenteil, die beiden Bereiche koppeln sich immer stärker aneinander.

„Coming-of-Age-Geschichten werden normalerweise nur über weißen Hauptfiguren erzählt“

Der Film läuft in Mainstream-Kinos, wie geht das mit solchen neuen Perspektiven zusammen?

Benajmin: „Futur Drei“ ist ein Coming-of-Age-Film und in diesem Rahmen findet die Handlung statt. Ich glaube, dass auch jemand, der nicht viel mit Rassismus-Erfahrungen und Queerness zu tun hat, mit diesem Film umgehen und daran Spaß haben kann. Es geht nicht darum, die Story zu ändern, sondern die Personen, die sie erleben. Coming-of-Age-Geschichten werden normalerweise nur über weißen Hauptfiguren erzählt. 

Faraz: Weil die Form des Films, Coming-of-Age, an sich bekannt ist, kann sie eine Brücke zur politischen Thematik des Films bilden, die dann auch im Mainstream ankommen kann. 

Banafshe sagt im Film, dass sie, seitdem sie in Deutschland ist, alles doppelt erlebt: Als sie, die sie hätte sein können, und die, die sie ist. Beschreibt dieser Satz das Lebensgefühl von Menschen mit Flucht- beziehungsweise Migrationserfahrung?

Banafshe: Ich finde den Satz im Original, also auf Farsi, noch treffender. Dort sage ich, dass sich mein Leben zweigeteilt hat. So verstehe ich das auch. Die eigene Flucht wird als Entscheidung begriffen, die das Leben, das du gewohnt bist, von dem Leben abtrennt, bei dem du permanent das Gefühl hast nicht dazuzugehören. Der Satz drückt ihr Bewusstsein dafür aus, dass ihr Leben krass anders gewesen wäre, wenn sie sich gegen die Flucht entschieden hätte. 

Die Ablehnung, die ich später durchgemacht habe, kommt von außen und nicht von innen

Welche Kontraste ergeben sich dabei zwischen Parvis, der zwischen seinen „Identitäten“ navigieren kann, und Amon und Banafshe, die in einer ganz anderen Situation sind? 

Faraz: Parvis lebt in zweiter Generation in Deutschland. Er ist dort geboren, trägt die Fluchterfahrungen seiner Eltern aber noch im Körper. Gleichzeitig hat er seine ganz eigenen Erlebnisse im postmigrantischen Deutschland gemacht. 

Benjamin: Das Hin- und Herspringen zwischen diesen Identitäten – als Deutscher, als Sohn iranischer Eltern, als Bruder, als Sozialdienstleistender, als Partygänger – ist für ihn eine Ermächtigungserfahrung, ein Privileg. Banafshe und Amon haben dieses Privileg nicht. Und dessen wird sich Parvis erst durch die Freundschaft mit den beiden bewusst. Er reflektiert dadurch, dass Menschen, die erst mal ähnliche Körper haben, grundlegend verschiedene Erfahrungen machen und andere Möglichkeiten haben. 

Ein wiederkehrendes Motiv ist „Sailor Moon“. Was hat es damit auf sich? 

Faraz: Mein Vater hat mir vor ein paar Jahren 40 Stunden Videomaterial aus meiner Kindheit auf VHS gegeben. Es gibt ein Video, das auch als erste Szene im Film vorkommt, in dem ich als Sailor Moon verkleidet zum Soundtrack der Serie tanze. Dieses Bild von mir nehme ich heute als unglaublich stark, fortschrittlich und queer wahr. Da steckt viel drin, was der Film kommunizieren möchte: ein Dialog zwischen zwei Generationen, ein sicherer Rahmen, der frei von Ängsten ist. Ich habe mich in dem Moment sicher gefühlt. Die Ablehnung, die ich später durchgemacht habe – die viele durchgemacht haben, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen – kommt von außen und nicht von innen. 

Eure Produktionsfirma fungiert als Kollektiv. Was bedeutet das für euch?

Faraz: Wir haben versucht die hierarchischen Strukturen zu hinterfragen und so gut es geht aufzubrechen. Die Department-Grenzen – Drehbuch, Produktion, Casting, Regie – waren sehr durchlässig. Schauspielende haben zum Beispiel auch am Drehbuch mitgearbeitet. Darüber hinaus war es uns wichtig, mit den Menschen in Kontakt zu kommen, für die wir den Film machen. Es ging darum, unsere Plattform, den Film, als Ressource zu begreifen, über die sich auch andere, nicht direkt am Film beteiligte, Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung empowern können.

Dafür haben wir ein Workshop-Format konzipiert, das zwei Wochen vor Drehstart lief. Alle, die am Film beteiligt waren, haben sich im Projektbüro mit Menschen aus der ersten, zweiten und dritten Generation getroffen und ausgetauscht. Eine zentrale Frage in diesen Workshops war: „Wie wollt ihr euch sehen?“ In der Drehsituation haben wir trotzdem relativ klassisch-hierarchisch gearbeitet.

Ist „Futur Drei“ der Film, den ihr gerne gesehen hättet?

Banafshe: Ich hab mich früher für mein Aussehen – meine Nase und meine Körperhaare – geschämt. Durch die Repräsentanz dieser Nase und dieser Körperhaare auf einer Kinoleinwand habe ich festgestellt, das sich gar nicht so ugly bin.

Faraz: Ja, vor allem weil ich mir wünschte, dass mir so ein Film, in dem ich mich repräsentiert sehe, schon als Jugendlicher begegnet wäre. Das heißt nicht, dass wir ihn dann nicht gemacht hätten – im Gegenteil, es hätte uns bestimmt geholfen. 

Hast du die Hoffnung, dass sich dadurch, wie „Futur Drei“ rezipiert wurde daran etwas ändert? Dass es leichter für euch wird?

Faraz: Es gibt die Vision, dass jetzt endlich all das möglich wird, was einem immer gefehlt hat. Aber die Strukturen ändern sich nicht. „Futur Drei“ ist außerhalb des deutschen Filmfördersystems entstanden. Das war einmal für uns möglich, ist aber nicht mehr tragbar, weil wir mehr Ressourcen brauchen. Ich hoffe einfach, dass die Zuschauerzahlen zeigen, dass diese Filme Relevanz und ein Publikum haben. Nur so bekommen Produzent*innen solcher Filme mehr Geld und Entscheidungsmacht.

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