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„Psychisch Kranke bekommen kaum Gehör"
Trigger-Warnung: In diesem Text wird das Thema Essstörungen behandelt.
Nachdem Anna Kant Erfahrungsberichte von Menschen mit Essstörungen gelesen hatte, war für sie klar: Am öffentlichen Bild der Krankheiten muss sich etwas ändern. Dazu will sie mit ihren Bildern einen Beitrag leisten.
Eigentlich ist Anna Kunstfotografin. „Ich inszeniere mich überwiegend selbst“, sagt die 30-Jährige selbstbewusst. Das wird auch auf ihrem Instagram-Account deutlich, wo sie mal skurril als Teufel oder im Freddy-Mercury-Outfit, mal als Aktmodell zu sehen ist.
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Ein paar Bilder stechen aus ihrem Feed jedoch heraus. Sie zeigen Nahaufnahmen nackter Haut, in die mit kleinen Buchstaben Worte wie „Panik“ oder „Krank“ eingedrückt wurden. Die Fotos sind Teil des Projekts „Essstörungen: Die andere Seite“, das in Zusammenarbeit mit der Journalistin Nora Burgard-Arp entstand.
„Wünsche und Bedürfnisse von psychisch kranken Menschen werden von unserer Gesellschaft nur gering wahrgenommen“
Gemeinsam haben sich die beiden das Ziel gesetzt, die Lebenswirklichkeit von Menschen, die unter Essstörungen leiden, auf eine neue Weise darzustellen: „Nora und mir war es wichtig das Thema aufzugreifen, weil psychisch kranke Menschen kaum Gehör bekommen. Ihre Wünsche und Bedürfnisse werden von unserer Gesellschaft nur gering wahrgenommen.“
Bei der Arbeit hat sich die Fotografin nicht nur auf ihr Handwerk beschränkt: „Ich war natürlich in erster Linie für die Fotos zuständig und habe mir sehr viele Gedanken gemacht, wie man die Thematik am besten rüberbringt, ohne immer den klassischen magersüchtigen Menschen zu zeigen. Diese Bilder haben wir zuhauf gesehen und viele schalten in dem Moment ab. Wir wollten tiefer gehen, mehr Empfindungen und Emotionen rüberbringen“, erklärt Anna ihren Ansatz.
Die Vorarbeit für die Fotos lieferte Journalistin Nora. Sie sprach mit Frauen und Männern über ihre Erfahrungen mit Essstörungen, Ängste, Missverständnisse und die Wahrnehmung in der Gesellschaft. Das gesammelte Material bekam Anna als Inspiration für ihre Bilder zur Verfügung gestellt: „Nora hat mir einen dicken roten Ordner in die Hand gedrückt und darin waren Berichte von Betroffenen, in denen sie unter anderem über ihre Klinikaufenthalte sprechen“, erzählt sie. Binnen weniger Monate entstand im Frühjahr 2018 eine relativ kleine, aber eindrückliche Sammlung, die laut Anna ganz bewusst auf eine „radikale“ und „dunkle“ Bildsprache setzt: „Wir möchten ein klares Statement setzen und das ohne Schleifchen. Man sollte auch ohne zusätzlichen Text wissen, in welche Richtung es geht und genau hinschauen. Bei schwarz weiß Fotos ist das Auge näher am Bild, als bei einer farbigen Abbildung“, erklärt die Fotografin.
Neben den Hautaufnahmen sind symbolträchtige Fotos vor dunklem Hintergrund Teil der Serie. Auf einem ist ein Hamburger zu sehen, der statt eines Pattys, Augen als Belag hat. Ein anderes zeigt einen Darm, der von einem Maßband umwickelt ist. Besonders aufrüttelnd wirkt ein blutiges Gehirn, das Anna wie die anderen Tier-Organe von einem Jäger bekam. In das Gehirn hat die Fotografin Papier-Fähnchen gesteckt, auf denen Aussagen stehen, die Betroffene häufig als Reaktion auf ihre Erkrankungen bekommen.
„Du bist von Natur aus eher weiblich gebaut“
Denn die gesammelten Erfahrungsberichte zeigten, in ihrem Alltag werden Erkrankte immer wieder mit verletzenden oder verharmlosenden Aussagen konfrontiert. Sätze wie „Man sieht dir die Anorexie gar nicht an“, „Du bist von Natur aus eher weiblich gebaut“ oder „Lass es doch einfach sein“, können für Menschen, die im Zuge ihrer Krankheit ohnehin schon eine ungesunde Selbstwahrnehmung entwickelt haben, wie Brandbeschleuniger wirken. Im gleichen Atemzug würden sich Betroffene häufig nicht ernst genommen fühlen.
Bei den Aufnahmen sei es auch darum gegangen, einen Kontrast zum häufig verharmlosenden Bild bestimmter Essstörungen in der Gesellschaft zu erzeugen. Besonders in sozialen Netzwerken gibt es ganze Communitys, in denen unter Hashtags wie #bonespiration oder #thinspiration Anorexia nervosa, also Magersucht und extremes Untergewicht, als Glamour-Lifestyle glorifiziert werden.
Für Anna ist es deshalb an der Zeit, einen anderen Umgang mit der Thematik zu entwickeln. Dazu sollen auch ihre Bilder einen Beitrag leisten: „Wir als Gesellschaft sollten uns auf jeden Fall mehr mit psychischen Erkrankungen auseinandersetzen, sie genauso betrachten, wie eine chronische Erkrankung. Zu oft heißt es von Mitmenschen immer noch ,Da ist doch eigentlich gar nichts.‘“
Die Websites www.bzga-essstoerungen.de und www.anad.de bieten Informationen und Hilfsangebote für Menschen, die an einer Essstörung leiden, und deren Angehörige.