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Wenn Essen und kulturelle Aneignung zusammenhängen
„Ihr wollt Schokolade in unseren Hummus machen?! Dann mache ich halt Oliven in eure Schokolade!“, sagt Tiktok-Nutzerin @ironno in einem viel gesehenen Video, schmiert dabei energisch Nutella auf eine Bagelhälfte – und belegt sie, wie angedroht, mit grünen Oliven. Sie reagiert damit auf einen Rezept-Trend, bei dem andere Nutzer*innen Hummus, der traditionell nur aus Kichererbsen besteht – also herzhaft ist – mit Schokolade vermengen und so zu einer „gesunden“ Süßspeise machen. Auch Helen Fares ist nicht gerade begeistert von dieser Hummus-Version. Sie ist Moderatorin, Bildungsaktivistin und Psychologin und sammelt unter dem Hashtag #leavehummusalone seit Anfang Juni absurde Produkte, die zwar als Hummus deklariert werden – die aber nicht mehr viel damit zu tun haben. Eigentlich besteht Hummus nämlich nur aus Kichererbsen und wird je nach Region mit Zutaten wie der Sesampaste Tahina, Olivenöl, Knoblauch und Kreuzkümmel vermengt. In Fares’ Foodrant-Galerie auf Instagram gibt es mittlerweile aber auch folgende Abwandlungen: Kuchenteig-Dessert-Hummus, Carrot-Cake-Hummus oder Hummus mit Kürbis.
Das könnte man jetzt als kulinarische Meinungsverschiedenheit verstehen – die einen mögen Hummus lieber traditionell herzhaft, die anderen eben süß. Tatsächlich geht es Helen Fares dabei um mehr, als nur die Zutatenliste eines Rezeptes. Denn hinter der Hummus-Kontroverse verbirgt sich ein Phänomen, das zunehmend auch in Deutschland diskutiert wird: kulinarische Aneignung. Der Oberbegriff „Cultural Appropriation“ (zu Deutsch: kulturelle Aneignung) beschreibt eine Praxis, bei der Menschen aus privilegierten, meist weißen Gesellschaftsgruppen kulturelles Wissen aus marginalisierten Kulturkreisen übernehmen, ohne auf die Ursprünge zu verweisen – und daraus Profit schlagen. Kulturelle Aneignung wurde schon prominent in der Popkultur diskutiert, etwa im Hinblick auf Musik oder Mode – zum Beispiel, weil Kim Kardashian ihre Shapeware-Linie zunächst „Kimono“ nannte. Dass kulturelle Aneignung auch etwas mit Essen zu tun haben könnte, darüber wurde weniger gesprochen – bis jetzt. „Es geht nicht um Hummus. Es geht um die Kapitalisierung von Kulturgütern, ohne die Kultur zu würdigen“, erklärt Helen Fares im Gespräch mit jetzt. Das betrifft Food-Blogs, Star-Köch*innen und Restaurants. Ein Beispiel ist das Lebensmittel-Start-up „Green Flamingo“ aus Leipzig. Im Sortiment: Hummus mit Rote Beete oder mit Mango und Curry.
Helen Fares, eine in Leipzig aufgewachsene Syrerin, kritisiert die Hummus-Produkte des Unternehmens scharf. Dabei stellt sie klar: „Ich finde es erst einmal nicht problematisch, wenn ich in ein von weißen Deutschen geführtes Restaurant mit Fusionsküche gehe und dort leckeren Hummus bekomme. Ich finde es aber komisch, wenn irgendein Geschäftsmensch sich entscheidet, dass kulturelle Aneignung sein Interesse sei und er dann Kichererbsen mit Kakao mischt und das als Hummus verkauft.“
Gemeint ist der Gründer von „Green Flamingo“, Oliver Kietzmann, der im Steckbrief auf seiner Homepage sein Interesse für „kulturelle Aneignung auf dem Gebiet der Kulinarik“ bekundet hatte. Damit konfrontiert, dass der Begriff der kulinarischen Aneignung eigentlich stark negativ konnotiert ist, sagte Kietzmann im Gespräch mit jetzt: „Für mich als Kulturwissenschaftler ist der Vorgang der ,kulturellen Aneignung‘ eine Fehlform eines fruchtbaren Kulturaustauschs. Er kann in geeigneter Art und Weise aber wertvoll sein, wenn man sich beispielsweise für die Essgewohnheiten anderer Kulturen interessiert, diese aufsaugt und mit eigenen kreativen Ideen weiterentwickelt.“ Er betont gleichzeitig, dass man ein Bewusstsein für zwei Fragen schaffen müsse: Woher kommt die Speise? Und: Welche Bedeutung hat sie im ursprünglichen Kulturkreis? Aber hat er das mit seinen Produkten auch geschafft?
Kietzmann nennt sein Produkt mittlerweile nicht mehr „Hummus“ sondern „Kichererbsenaufstrich“
Diejenigen, die seine Kichererbsenaufstriche in Leipzig konsumieren, seien laut Kietzmann vor allem junge Leute und Millennials, die auf Bioqualität, Umweltschutz und die eigene Gesundheit achten und diese Werte in den Kichererbsen-Produkten erfüllt sehen. Der „Green Flamingo“-Gründer entdeckte seine Vorliebe für Hummus zunächst während einer Reise in die marokkanische Hafenstadt Tanger und später wiederum im Leipziger Nachtleben: „Bei kleinen Snacks ist die orientalische Küche unschlagbar“. Kietzmann will seinen Kund*innen gegenüber offen kommunizieren, dass er den Hummus natürlich nicht erfunden, sondern lediglich einen, wie er sagt, „kleinen Funken Kreativität“ zum originalen Rezept beigesteuert habe, indem er das Kichererbsenmus mit deutschen Gemüsesorten kombinierte. Diese Neuinterpretation des Hummus findet er in Ordnung, weil sie auf gegenseitigem Respekt, Wertschätzung und Interesse an der Kultur des Anderen fuße und keine Minderheiten dadurch ökonomisch ausgebeutet werden.
Mittlerweile hat Oliver Kietzmann den Begriff der kulturellen Aneignung von der Website genommen. Auch die Bezeichnung „Hummus“ wurde nach der Kritik von der „Green Flamingo“-Website gestrichen. Übersetzt bedeutet Hummus schlicht „Kichererbse“ oder „Brei einer Kichererbse“. Die „Green Flamingo“-Produkte heißen jetzt also „Kichererbsenaufstriche“. „Nach intensiver Beschäftigung mit dem Thema Hummus haben wir gelernt, dass dieses Gericht die kulturelle Identität der Menschen in den Ursprungsgebieten maßgeblich prägt und dass Hummus eine festgeschriebene Rezeptur besitzt, die regional nur minimal abgewandelt wird. Deshalb sind größere Variationen von Hummus kein Hummus mehr im eigentlichen Sinne, sondern Kichererbsenmus bzw. Kichererbsenaufstriche“, so Oliver Kietzmann. Und er plant im Rahmen des Vertriebs seiner Produkte auch Events zur Aufklärung über die Ursprünge der Speise: „Es reicht nicht, das nur auf eine Banderole oder ein Etikett zu schreiben. Das muss gelebte Verständigung sein, zum Beispiel wenn Menschen beim Essen zusammenkommen“. Aber auf der Website steht noch eine andere Formulierung, die Helen Fares stutzig macht: ‚orientalische Küche‘. „Das vereint mindestens zehn verschiedene Kulturen und Küchen und in vielen dieser Küchen gibt es Hummus nicht einmal. Ich weiß nicht in welchem Kontext das als wertschätzend und respektvoll gedeutet werden könnte“, sagt sie.
„Es ist skurril, dass wir dieses Gespräch über Hummus führen. Es mag sogar absurd wirken“, gesteht Helen Fares. Aber es geht ihr eben nicht nur darum, wer Hummus wie zubereiten und vermarkten sollte, sondern um das, was hinter Produkten wie „Dessert-Hummus“ steckt. „Der Diskurs um Hummus symbolisiert für mich den Diskurs um Kolonialismus, Post-Kolonialismus und Gentrifizierung“, erklärt sie.
Es gehe um simple Anerkennung, nicht um Verbote, sagt Expertin Choukri
Zu einem ähnlichen Schluss kommt Meryem Choukri. Sie forscht an der University of Warwick und der Universität Gießen und moderiert gemeinsam mit Susan Djahangard den Podcast „So Tasty“. Darin sprechen die beiden über Zusammenhänge von Essen, Migration, Rassismus und Machtstrukturen. „Kulinarische Aneignung oder die Übernahme und Transformation von Gerichten funktioniert so ähnlich wie der Prozess der Gentrifizierung. Jemand kommt, nimmt sich etwas, verändert es ein bisschen und inszeniert es als etwas Neues und Hippes“, erklärt sie. „Dieses Vorgehen hat aber oft einen schalen Beigeschmack. Wenn solche Nahrungsmittel neu ,entdeckt‘ werden, ist das oft mit einem stark kolonialen Gestus verbunden“.
Eine Polemik à la: „Darf ich jetzt keinen Hummus mehr kaufen, der von weißen Köch*innen zubereitet wurde?“ sei hier jedoch nicht zielführend und lenke vom eigentlichen Anliegen des Diskurses ab. „Es geht nicht um Verbote. Es geht um Anerkennung und darum, wie diese Startups mit Kritik umgehen“, so Choukri. Außerdem müsse man sich grundlegenderen Fragen zuwenden, wie: Wer profitiert letztendlich von der Vermarktung und dem Verkauf solcher Speisen? Wohin fließt das Geld? und nicht zuletzt: Wer hat in unserer Gesellschaft das Kapital, um ein neues, schickes Produkt auf den Markt zu bringen?
Beim Essen handelt es sich schließlich nicht um simple Nahrungszufuhr. „Essen sagt total viel über unsere Identität aus. Darüber, wer wir sind, was uns wichtig ist und welcher sozialen Klasse wir angehören“, so Choukri. Sie sagt: Menschen mit Migrationsgeschichte, die in Deutschland aufgewachsen sind, haben früher oftmals nicht den Zugang zu bestimmten Lebensmitteln gehabt und mussten sie aufwändig importieren. Noch dazu wurden die Gerichte häufig abgewertet, etwa durch Kommentare zum ungewöhnlichen Geruch oder einen skeptischen Blick in die Brotdose. „Wenn es in der Schule keine Stulle gab, war das mit einem Gefühl der Scham verbunden“, erzählt Meryem Choukri.
Während also das Kichererbsenmus im Leipziger Nachtleben cool ist, erleben migrantische oder post-migrantische Familien oft das Gegenteil. Und genau da liegt das Problem: Die Soziologin Antje Baecker schreibt im wissenschaftlichen Sammelband „Kulinarische Ethnologie“, dass Prozesse der kulturellen Aneignung natürlich Neues und Kreatives – also ein kulinarisches Patchwork – hervorbringen können. Aber: Dabei werde „das transformierte Endprodukt nicht selten dem ursprünglichen Produkt gegenüber als kulturell überlegen betrachtet.“
Podcasterin Meryem Choukri sieht die Diversifizierung von Restaurants und Gerichten grundsätzlich positiv. „Es ist schön, dass immer mehr Menschen unterschiedliche Gerichte kennen lernen können, aber: Es gibt noch so viele Essenskulturen, die noch nicht präsent sind. Ich denke da an den afrikanischen Kontinent, zum Beispiel an ghanaisches Essen.“
Auch Aktivistin Helen Fares betont, dass Köch*innen sich keinesfalls auf die Küche ihrer eigenen Herkunftskultur beschränken sollten. „Das fände ich völlig traurig und sinnlos. Ich finde es aber wichtig, mit bestehenden Rezepten und den Ursprungskulturen achtsam und respektvoll umzugehen, vor allem wenn Menschen aus diesen Kulturen in Deutschland von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind.“ Fares, die sich immer wieder mit unterschiedlichen Ausprägungen kultureller Aneignung beschäftigt, sagt: „Kurz gesagt: nehmt Rezepte, aber behandelt sie mit Respekt. Sagt, wo sie herkommen, und gebt halt auch denen mal irgendetwas zurück, die diese Rezepte von ihren Großmüttern gelernt und mit nach Deutschland gebracht haben, aber nicht die Möglichkeit haben, mit diesem Wissen ein Unternehmen zu gründen.“