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Woher kommt der Lehrerhass?

Illustration: Lucia Götz

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Es passiert ständig. Jemand sagt: „Lehrer sind faul.“ Oder: „Lehrer haben so viel Freizeit und Urlaub wie keine andere Berufsgruppe.“ Oder: „Lehrer sind überfordert.“ Oder: „Ich hatte nur beschissene Lehrer.“ Manchmal ist der Lehrer-Diss auch subtiler, etwa wenn jemand über eine Person sagt, sie sei „wie eine Lehrerin“. Gilt als Beleidigung. Und auch Lehramtsstudenten sind eine der unbeliebtesten Gruppen an Universitäten – wer einen Germanistik-Master studiert, hält sich im Vergleich zu den Lehramtlern meist für den intellektuelleren Studenten.

Es gibt Studien, die diese Lehrerhass-Stimmung belegen. Eine der eindrücklichsten ist wohl der „Global Teacher Status Index 2013“ der britischen Varkey Foundation, einer Non-Profit-Organisation, die sich für Verbesserung der Bildung weltweit einsetzt. Mit der groß angelegten Umfrage wurde in 21 Ländern das Ansehen von Lehrern in der Bevölkerung analysiert – und Deutschland landete dabei auf Platz 16. Denn deutsche Schüler haben wenig Respekt gegenüber ihren Lehrern. Und die Gesamtbevölkerung glaubt, dass die meisten Lehrer keinen guten Job machen.

Warum dieses ewig negative Lehrerbild? Warum diese Respektlosigkeit? Um diesen Fragen ein bisschen auf den Grund zu gehen, habe ich eine kleine Umfrage auf Facebook gestartet („Was haltet ihr von Lehrern und warum?“) und außerdem Michael Veeser-Dombrowski interviewt, Religionslehrer an einer Berufsschule und Coach und Supervisor, unter anderem für Lehrer. Und daraus habe ich fünf Gründe destilliert, die zusammen vielleicht eine Antwort auf obige Fragen sein können. Und einen sechsten Punkt mit einem Lösungsansatz.

1. Jeder kennt Lehrer

„Ich würde nie auf die Idee kommen, meinem Zahnarzt zu sagen, wie er meine Lücke füllen soll“, sagt Michael Veeser-Dembrowski am Telefon. Bei Lehrern sei das anders. „Jeder Bundesbürger war in der Schule und es stellt sich das gleiche Phänomen ein wie beim Fußball: Zuschauer und Zuschauerinnen bilden sich ein, sie könnten fachlich Position beziehen.“

Wie sehr das stimmt, merke ich, als ich mir vorstelle, ich hätte auf Facebook die Frage „Was haltet ihr von Ingenieuren?“ gestellt. Da hätten doch direkt mehrere Menschen „Jeder Ingenieur ist anders“ oder „Keine Ahnung, kenne keinen Ingenieur“ kommentiert. Aber nach einer Meinung zu Lehrern kann man fragen. Weil jeder eine hat.

Dass diese Meinung so oft negativ ausfällt, hat viel damit zu tun, wie wir uns erinnern. Nämlich meistens an die blöden Lehrer. Die Langweilerin, die seit 20 Jahren die gleichen Klassenarbeiten aufsetzt. Der Anzügliche, der Oberstufenschülerinnen anflirtet. Die Cholerikerin, die beim Schreien spuckt. Der Überforderte mit den nervösen roten Flecken am Hals. Eine frischgebackene Abiturientin schrieb mir auf Facebook geradeheraus: „Ich denke über meine Lehrer nicht viel Positives.“

Und jeder hat neben den allgemeinen „Das waren blöde Lehrer“-Erinnerungen noch mindestens eine, in der er persönlich unter der Willkür oder Unfähigkeit eines Lehrers gelitten hat. „Ich kenne niemanden, der sagt: Meine Lehrer sind nur gut mit mir umgegangen“, sagt auch Michael Veeser-Dembrowski. Auf meine Facebook-Umfrage antwortete ein Freund, er habe „leidvolle persönliche Erfahrungen mit verbeamteten Vollversagern“ gemacht.

Nun könnte man sagen: Lasst doch die Vergangenheit ruhen! Ist doch vorbei! Aber das Problem ist, dass es eben nicht vorbei ist. „Die Institution Schule ist mächtig und wichtig“, sagt Veeser-Dembrowski. „Erst kann ich mich als Kind nicht rausziehen und später als Elternteil ebenfalls nicht.“ Lehrer stehen damit immer unter Beobachtung. Ein bisschen wie Politiker. Und auf die wird ja auch dauernd geschimpft.

2. Die Erwartungen an Lehrer sind zu groß

Wer unter Beobachtung steht, von dem wird viel erwartet und dessen Fehler fallen natürlich eher auf. Eine ehemalige Lehramtsstudentin schrieb mir, dass sie immer viel Respekt vor Lehrern hatte – bis sie Praktika gemacht und ein Jahr an einer Schule gearbeitet hat. „Mein Respekt ist immer noch da, denn die Arbeit ist wirklich wichtig und wirklich schwer“, schrieb sie. „Aber ich habe leider auch festgestellt, dass ich Lehrer*innen als solche doch nicht mag. Dass mir da zu viele Berufskranke rumlaufen und zu viele, die ihrerseits keinen Respekt haben vor den tollen jungen Menschen vor ihnen oder auch nur vor anderen Lehrer*innen.“ Michael Veeser-Dembrowski sagt, er kenne ebenfalls Lehrer, die sich kein Bein ausreißen und Arbeitsblätter von vor zehn Jahren verwenden. Aber eben auch solche, die sich sehr stark engagieren. „Und sogar die können nicht immer guten Unterricht machen!“

Es ist also wie immer im Leben: Es gibt die Guten und die Schlechten. Und selbst die Guten sind manchmal schlecht (und zwar öfter, als die Schlechten gut). Das ist eigentlich eine banale, akzeptierte Tatsache. Nur bei den Lehrern, da erwartet jeder Höchstleistung und Berufung, weil – gern gebrauchte Wendung – „die auf Kinder losgelassen werden“. „Auf die Lehrerrolle werden immer noch zwei, drei Anforderungen mehr drauf geschaufelt“, bestätigt auch Michael Veeser-Dombrowski. „Drogenproblem in der Stadt, Medienmissbrauch, kulturelle Konflikte – immer heißt es: ‚Da müssen die Lehrer doch was machen!‘“ Dabei sind die halt auch nur Menschen. Sie können leider nicht alles machen.

3. Lehrer sind wirklich überfordert

Michael Veeser-Dombrowski kann aus Erfahrung berichten, dass Lehrer meist zu ihm in die Beratung kommen, weil sie „mit der Arbeitsfülle nicht mehr klarkommen“. Und dass das meistens gar nicht bedeutet, dass sie zu viel Arbeit und zu wenig Zeit haben. Sondern, dass sie gestresst sind, weil sie, wie er es nennt, „Beziehungsprobleme“ haben, also Ärger mit respektlosen Schülern, mit einer aufmüpfigen Klasse. 

Den Grund dafür sieht Veeser-Dombrowski in einem Defizit in der Ausbildung: „Lehrer werden ausgebildet, Einzelpersonen in ihrem Lernprozess zu begleiten – und dann stehen sie vor einem Rudel von 30 pubertierenden Schülern. Wer dafür nicht ausgebildet ist, scheitert daran.“ Und wie, fragt Veeser-Dombrowski, soll der Lehrer sich von diesem Stress richtig erholen? Supervision, wie er sie anbietet, gehört nicht zum Standardprogramm. Es gibt nicht an jeder Schule jemanden, der sich regelmäßig mit den Lehrern hinsetzt. Aber wer seinen Frust nicht abbauen kann, trägt ihn oft mit in die Klasse. Und ist dann natürlich kein guter Lehrer.

4. Das Beamtentum hat einen schlechten Ruf

Neulich sprach ich für unsere Textreihe über Berufe mit einer Förderschullehrerin, die verbeamtet ist. In der Leser-Diskussion zum Artikel auf Facebook ging es viel darum, wie fürstlich sie doch verdiene, wie bequem ihr Status sei. Vor allem angestellte Lehrer, die meist weniger verdienen und auch ansonsten weniger umfassend abgesichert sind als Lehrer im Staatsdienst, klagten darüber. 

Darum trägt das mit der Verbeamtung der Lehrer (die in manchen Bundesländern bereits abgeschafft wurde) gleich aus zwei Gründen zum Lehrerhass bei. Zum einen ist eben die Gruppe der Lehrer selbst gespalten. Da gibt es Neid, Missgunst, Sticheleien. Und manchmal auch einen Konflikt, der auf unterschiedlichen Prinzipien beruht: Angestellte Lehrer sind manchmal aus Überzeugung Angestellte, weil sie den Beamtenlehrer für einen Anachronismus halten.

Zum anderen hat das Beamtentum an sich keinen guten Ruf. Wir erinnern uns an den Freund, der etwas von „verbeamteten menschlichen Vollversagern“ schrieb – „verbeamtet“ klingt da wie ein Schimpfwort und ich denke, das war Absicht. Das Beamtenklischee umfasst: Bezahlung fürs Nixtun, ausruhen auf der Sicherheit, Ambitionslosigkeit. Und viele werfen verbeamteten Lehrern vor, genau aus diesen Gründen ihren Beruf gewählt zu haben, statt aus „Berufung“.

Ambitionslosigkeit wird darum auch oft schon denen vorgeworfen, die ein Lehramtsstudium anstreben oder gerade absolvieren. Manchmal wohl auch zurecht. Ein Bekannter schrieb: „Früher, sagt man, wurden die Besten eines Abi-Jahrgangs Lehrer (die anderen dann Buchhalter, Ärzte, Rechtsanwälte etc.). Das ist nicht mehr so. Leider. Aus meinem eigenen Lehramtsstudium weiß ich, dass die Mehrzahl der Mitstudierenden, die ich mir als exzellente Lehrer vorstellen konnte, dann doch keine geworden sind.“ Und die Abiturientin: „Ich habe Freunde, die sagen, ich kann malen und bin gut in Englisch, ich studiere einfach Kunst und Englisch auf Lehramt, Kunst wird immer gesucht. Sind das wirklich die Lehrer, die wir unsern Kindern wünschen? Die Menschen, die nicht wissen, was sie mit ihrem Abitur anfangen sollen, und dann Lehrer werden?“ 

5. Keiner weiß, was Lehrer machen – manchmal nicht mal Lehrer

Das ist eigentlich eine Spiegelung von Punkt 1: Alle denken, dass sie wissen, was Lehrer machen, aber eigentlich weiß es keiner. Und darum haben viele ein völlig falsches Bild von diesem Job. Manchmal sogar die Lehrer selbst. „Es gibt sehr viele verschiedene Gruppen in der großen Gruppe der Lehrer“, sagt Michael Veeser-Dombrowski. Der Job eines Gymnasiallehrers unterscheide sich von dem eines Lehrers an einer Grund- oder Förderschule, das Gehalt eines Grundschullehrers unterscheidet sich von dem eines Gymnasiallehrers, das eines Beamten von dem eines Angestellten. Und so weiter. Keiner weiß also so genau, was der andere macht und unter welchen Umständen er arbeitet, glaubt aber, es zu wissen. Konsequenz: Gymnasial- disst Grundschullehrer. Gleiches Problem wie draußen also auch innerhalb der Lehrerschaft. 

6. Und was machen wir jetzt dagegen?

Die Antwort steckt eigentlich schon in Punkt Nummer 5: Um dem Lehrerhass beizukommen, müssten mehr Menschen wissen, was Lehrer wirklich machen. In den letzten Jahren habe es zwar immer häufiger Dokumentationen über den Beruf gegeben, sagt Michael Veeser-Dombrowski. „Aber da lag der Fokus leider meist auf Burnout oder Stress.“ Er wünscht sich, dass ein realistisches Bild vom Lehrer gezeigt wird, statt immer nur Probleme abzubilden. Seine Forderung: „Die Blackbox Klassenzimmer muss geöffnet werden. Damit viel mehr Menschen da reinschauen können.“ Auch Schüler und Schülerinnen, die Lehrer werden wollen. Damit keiner mehr diesen Job wählt, weil er sich davon ein bequemes Leben erhofft. 

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