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Warum wir den Zyklus nicht mit Weiblichkeit gleichsetzen sollten

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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„Willkommen im Club der Frauen!“, sagte meine Stiefmutter feierlich, als ich ihr im Alter von elf Jahren von meiner ersten Periode erzählte. Ich tat das offen und sogar stolz, denn sowohl sie als auch meine Mutter hatten mich gut vorbereitet. Dass ich meinen Zyklus so positiv begrüßen konnte, lag aber sicher auch daran, dass er zu meinem körperlichen und emotionalen Empfinden passte. Ich bin cis, was bedeutet, dass meine Genderidentität mit meinem biologischen Geschlecht übereinstimmt – anders als bei trans Personen. Auch wenn mich die (gut gemeinte) Rede vom „Frauenclub“ etwas überforderte – ich war ja nicht erwachsen, sondern Sechstklässlerin – , freute ich mich über diese spannende Veränderung namens Zyklus. Dass die Realität viel diverser ist als meine eigene Erfahrung, wurde mir erst deutlich später bewusst.

Einige Jahre später kam ich mit der Tatsache in Berührung, dass nicht alle cis Frauen einen Zyklus haben. Eine Freundin von mir bekam in der Teeniezeit ihre Periode lange nicht, was sie sehr ärgerte – schließlich wollte auch sie „eine Frau werden“. Ihr Arzt verschrieb ihr irgendwann die Pille. Dadurch blutete sie zwar regelmäßig, hatte aber keinen Zyklus mehr, denn die Pille unterdrückt den Eisprung. So ganz genau verstanden haben wir das damals natürlich nicht.  

Verhütung, Menopause oder Transidentität: Es gibt viele Gründe, als Frau keinen Zyklus zu haben

Nicht zu menstruieren beziehungsweise keine Eisprünge zu haben, kann viele Gründe haben. Stress, Untergewicht und Leistungssport zählen genauso dazu wie drastische Veränderungen der Lebensumstände. Auch diverse Erkrankungen oder eine Hysterektomie, also Entfernung des Uterus, können dazu führen, dass man keine Blutung mehr bekommt. Und wenn man eine trans Frau ist, hat man aufgrund der Physiologie keine Menstruation, denn das reproduktive Geschlecht kann man (noch) nicht anpassen.

Es gibt natürlich auch Menstruierende, die ihren Zyklus bewusst ausschalten. Genau genommen menstruiert man bereits nicht mehr, wenn man die Pille nimmt: Die Blutung in der Pillenpause, auch Abbruchblutung oder Hormonentzugsblutung genannt, hat eine andere Ursache als die natürliche Menstruation, die etwa zehn bis 16 Tage nach dem Eisprung erfolgt. Darüber hinaus gibt es Langzeitmethoden wie das Hormonimplantat, durch die Eisprung und Blutungen jahrelang ausbleiben, und auch die klassische siebentägige Pillenpause wird heute nicht mehr als medizinisch notwendig erachtet, weshalb manche dazu übergehen, die Pille durchzunehmen.

Irgendwann geht die zyklische Lebensphase auch von selbst zu Ende, nachdem etwa zwischen 45 und 60 Jahren die letzte Regelblutung stattfindet. Das ergibt insgesamt ziemlich viele Menschen, die aus diversen Gründen keinen Zyklus haben. Es ist also falsch und für viele Menschen auch verletzend, den Zyklus als Bedingung für weibliche Identität zu betrachten.

Genausowenig, wie man davon ausgehen sollte, dass eine Frau menstruiert, sollte man voraussetzen, dass andere Geschlechter es nicht tun. Auch trans Männer, Intersexuelle und nicht-binäre Menschen können Eisprünge und Menstruationsblutungen haben. Unter Hashtags wie #bleedingwhiletrans klären manche von ihnen über ihren Umgang mit dem Zyklus auf. Oft werden sie dabei nicht ernst genommen: So schrieb der*die nicht-binäre Aktivist*in Cass Bliss, dass als Reaktion auf ein Video über Periode viele Kommentare kamen, warum er*sie nicht einfach Testosteron nehme. So simpel ist es aber nicht: Nach der ersten Folge meiner Zyklus-Kolumne kommentierte ein trans Mann auf Instagram, dass er trotz Testosteroneinnahme weiterhin seine Menstruation bekam. Je nach Land und Versicherungssystem kann es auch schlichtweg zu teuer werden und nicht alle trans Männer und nicht-binäre Menschen können oder wollen Testosteron einnehmen.

Wenn Männer menstruieren, sind sie völlig anderen Situationen ausgesetzt als ich: Auf Männertoiletten gibt es meist weniger Einzelkabinen und oft keinen Mülleimer darin. Das kann darauf hinauslaufen, dass man eine blutige Binde in der Hosentasche herausschmuggeln muss. In der Männertoilette mit einem Menstruationsprodukt gesehen zu werden, kann sogar gefährlich sein – Stichwort transphobe Übergriffe. Auch der Termin bei dem*der Gynäkolog*in kann problematisch werden, sei es durch eine*n unsensible*n Behandler*in oder unangenehme Blicke im Wartezimmer.

Queerness und Diversität kommen kaum vor, wenn es um den Zyklus geht

Im öffentlichen Diskurs spielt Diversität im Zusammenhang mit dem Menstruationszyklus bislang kaum eine Rolle. Menstruationsprodukte werden oft mit stereotypen femininen Bildern beworben (mit denen sich auch längst nicht alle cis Frauen identifizieren) und auch Bildungsmaterial zum Zyklus zeigt oft ausschließlich cis Frauen und cis Heteropaare. Immerhin hat sich in den vergangenen Jahren etwas getan: Es gibt inzwischen auch Zyklus-Apps, die genderneutral konzipiert sind und 2018 war erstmals ein trans Mann in einer britischen Tamponwerbung zu sehen.

Manche Menschen fürchten, dass diese Entwicklungen die Erfahrungen von cis Frauen verdrängen könnten. Tatsächlich sind viele Vorurteile im Zusammenhang mit Menstruation und Zyklus mit der Vorstellung einer cis Frau verknüpft – beispielsweise die Annahme, dass Frauen durch ihren Zyklus irrationaler und schwächer wären als Männer. Auch Studien zum Zyklus wurden größtenteils mit cis Frauen gemacht. Diese Perspektive soll ja aber nicht ersetzt, sondern erweitert werden. Im erwähnten Werbevideo beispielsweise wird trans Mann Kenny Jones gemeinsam mit mehreren cis Frauen gezeigt.

In letzter Zeit ging ein Satz durch die sozialen Medien, der diese Vielfalt präzise zusammenfasst: „Not all who menstruate are women and not all women menstruate.“ Nicht alle, die menstruieren, sind Frauen und nicht alle Frauen menstruieren. Seit der Debatte um J.K. Rowlings Tweet im Juni wird er besonders oft zitiert – und entweder gefeiert oder gehasst. Doch wie viele reflektieren, was im Detail dahintersteckt? Wer fragt sich, wie es Frauen geht, die nicht menstruieren, obwohl anhand ihres Äußeren oder ihres Auftretens davon ausgegangen wird – oder umgekehrt: Männern, die es wider Erwarten tun? Man sollte dieses Statement auch als Anregung zur Reflektion verstehen – gerade, wenn man nicht selbst betroffen ist.

Neue Perspektiven bereichern uns, statt uns etwas wegzunehmen

Daher ist die Aussage, dass nicht alle Frauen menstruieren und nicht alle, die es tun, Frauen sind, nicht einschränkend, sondern bereichernd. Es ist an der Zeit, zuzuhören, Perspektiven zu teilen und damit zum Abbau von Vorurteilen beitragen. Eine offenere, inklusivere Gesellschaft würde schließlich allen guttun – ganz unabhängig von Geschlecht und hormonellem Status.

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