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Zwei Bücher mit Andreas Stichmann
Andreas Stichmann, 1983 in Bonn geboren, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Er verbrachte längere Zeit in Südafrika und reiste durch den Iran. 2008 erschien sein Erzählungsband „Jackie in Silber“ im mairisch Verlag, für den er vielfach ausgezeichnet wurde – unter anderem mit dem Clemens-Brentano-Preis, dem Kranichsteiner Literaturförderpreis und dem Hamburger Förderpreis für Literatur. „Das große Leuchten“, sein erster Roman, erschien 2012 bei Hanser, wurde für den Bachmannpreis nominiert und mit dem Förderpreis zum Bremer Literaturpreis ausgezeichnet.
Teil 1: Die Neuerscheinung
Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel „Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de: Du hast zwei Bücher mit dem gleichen Thema und vollkommen unterschiedlichen Betrachtungsformen ausgesucht: Es geht um das menschliche Bewusstsein? Was interessiert dich so sehr daran?
Andreas Stichmann: Mich interessiert das Bewusstsein als eine Art Abenteuerland. Dass die Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit schwimmend ist, ist natürlich schon immer ein für die Literatur ergiebiges Thema. Schön ist aber, wenn man es auch für sich persönlich als etwas Befreiendes erleben kann. Also, das eigene Bewusstsein erforschen, um sich immer freier darin zu bewegen, wäre natürlich ein Ziel.
„Der Ego-Tunnel“ ist das erste Sachbuch, das in dieser Kolumne besprochen wird. Liest du keine Gegenwartsliteratur?
Ab und zu schon, wenn mir was empfohlen wird oder ich selber sehr gespannt bin. Tendenziell eher etwas mehr Klassiker. Und den "Ego-Tunnel" wollte ich eh lesen, das war ein guter Anlass, das Buch hier vorzuschlagen.
Konkret zum Buch: Was ist der „Ego-Tunnel“ eigentlich?
Der Ego-Tunnel ist die Welt, die du erlebst, indem du sie in dir selbst baust. In diesem Buch geht es vor allem um das Selbst, um das eigene Ich, das eben auch nichts Festes ist, sondern so wie alles Übrige auch in einem kreativen Prozess besteht. Also, die eigene Geschichte, die Verortung als Körper innerhalb des Raums, aber zum Beispiel auch die Gegenwart, die ich brauche, um mich als mich selbst zu bestimmen, müssen erstmal konstruiert werden.
Als These setzt Thomas Metzinger voraus, dass das Ego ein transparentes mentales Bild ist. Als ganze Person schaut man durch das Ego hindurch, man erkennt es nicht. Anders gesagt, man sieht es nicht, sieht aber mit ihm.
Ich glaube, bei Metzinger läuft es auf eine sehr materialistische Denkweise hinaus, auf die Vorstellung, dass das Bewusstsein kein göttlicher und auf ewig rätselhafter Funke ist, sondern eine Funktion, ein Werkzeug, das sich entwickelt hat. Was hier überwunden werden soll ist dieses dualistische Bild, dass die Seele ein Vogel ist und der Körper ein Käfig, in dem der Vogel sitzt. Alles ist eins. Da wären sich der Materialist und der Esoteriker einig.
Wie geht Metzinger vor?
Was ich interessant finde ist, dass er von all diesen Gehirnforschungs-Thesen ausgeht, dass es keinen freien Willen gibt und so weiter, also sehr materialistisch argumentiert, dabei aber einen anderen, optimistischeren Ton anschlägt. Sonst hat man ja immer den Eindruck, die Gehirnforscher wollen einem was wegnehmen, wenn sie sagen: Pech gehabt, das Ich und der freie Wille sind leider nur eine Illusion. Metzinger feiert und lobt ja auch die Meditation. Er ist einer von den Leuten, die dabei sitzen, wenn bei Mönchen, die meditieren, die Gehirnströme während des Meditierens gemessen werden. Das ist doch spannend. Er fordert: Meditation in der Schule lernen! Aber nicht etwa im Religionsunterricht, sondern im Sportunterricht. Das finde ich gut.
Im Klappentext steht, „Der Ego-Tunnel“ sei Metzingers erstes Buch für ein breiteres Publikum. Konntest Du das so locker durchlesen oder ist das eher ein Buch, mit dem man in einen Lesesaal geht und beim Lesen den Textmarker besser nicht aus der Hand legt?
Es ist ein Buch, dass man auf dem Klo liegen haben sollte, um so alle paar Tage ein kleines Stückchen weiterzulesen. Den Textmarker weglassen und nicht alles bis ins Detail verstehen wollen, mal eine Seite überblättern, dann lohnt es sich.
Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel Piper Taschenbuch, München 2014 464 Seiten, 10,99 Euro
Auf der nächsten Seite: Andreas Stichmann erzählt von einem Buch, das ein Psychiater geschrieben hat und gleichzeitig auch von einem handelt.
Teil 2: Das Lieblingsbuch
Ernst Augustin: Raumlicht: Der Fall der Evelyne B.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
In „Raumlicht“ wird die Geschichte eines jungen Arztes erzählt.
„Raumlicht“ ist eine phantastische Geschichte über einen phantastischen Psychiater, der sich einbildet, Schizophrenie heilen zu können. Während er seine Patientin in einem von ihm erbauten Labyrinth in einem Münchner Haus herumführt, als Teil seiner Heilungszeremonie, erzählt er uns, wie es dazu kam, dass er dieser geniale Mensch wurde, für den er sich hält, Abenteuerliches aus Indien und Afghanistan... Ich würde sagen: ein psychodelischer Abenteuerroman!
Wir haben das anscheinend unterschiedlich gelesen. Ich dachte, die Passagen mit der Patientin im Haus sind Imaginationen, eine zweite Ebene des Romans, und eigentlich eine große Metapher.
Ob das Imagination ist oder nicht, ist für mich nicht so entscheidend, weil diese Grenzen ja bei ihm ohnehin die ganze Zeit verschwimmen. Das obskure Spiegelkabinett, durch das er seine Patientin führt, erscheint mir ziemlich unwahrscheinlich, klar. Aber seine Erinnerungen sind ja auch stark surreal eingefärbt. Was ich so liebe ist grade diese krasse, witzige Unzuverlässigkeit der Erzählstimme. Er hat so einen überheblichen Memoiren-Ton – und grade deshalb merken wir, dass er irgendwie auch spinnt. Ein Tonfall, der typisch für Ernst Augustin ist. Seine Ich-Erzähler sind immer „Experten“, denen man null glaubt und trotzdem gerne folgt.
Am meisten Spaß hat mir das Anecken des Erzählers in der Klinik gemacht. Wie er mit jeder Behandlungsmethode scheitert, seine Vorgesetzten beleidigt und am Ende seinen Job verliert. Ich glaube, das ist so gut, weil man das Gefühl hat, dass er sich gegen die richtigen Praktiken in dieser Klinik auflehnt.
Ja, er ist Enthusiast und Verlierer zugleich. Und ganz am Ende erscheint er mir dann doch genial. Vielleicht weniger als Arzt, aber eben als Figur und Mann. Er heiratet seine Patientin. Damit ist dann endgültig klar, dass er kein solider, zuverlässiger Arzt ist. Ernst Augustin ist ja selbst Psychiater und hat ein Krankenhaus in Afghanistan geleitet. In diesem wie auch in anderen Büchern geht es ihm glaube ich darum, dass jeder Arzt, gerade der Psychiater, auch immer etwas im Dunkeln tappt. Niemand ist jemals wirklich seriös.
Augustin wohnt sogar wirklich in so einem verrückten Haus.
Ja, er hat ein Haus in München, das total verwinkelt ist, unterschiedliche Zimmer mit unterschiedlichen Themen, Wandbemalungen und sowas. Dieses Haus kommt im Buch in noch surrealerer Form vor und kann sicher als eine Metapher für den menschlichen Geist und das Bewusstsein gesehen werden. Man assoziiert: Geheime Türen, Sackgassen, Spiegelzimmer, Tunnel. Unterschiedliche Länder kommen vor, unterschiedliche Zeiten, Träume, Ängste... Das ist auch der Bezug zu Metzinger und zu dem, was mich in meinem eigenen Roman interessiert hat: Das Bewusstsein als Abenteuer. Als ein manchmal bedrohliches und abgründiges, aber immer auch faszinierendes Labyrinth.
Warst du beim Schreiben an deinem Roman beeinflusst von „Raumlicht“?
Ja, absolut, es ist ja eins meiner Lieblingsbücher. Bei Augustin reist der Held durch Afghanistan und Indien, und wir reisen mit ihm, und tauchen damit aber vor allem in seine Psyche ab. So ähnlich ist auch die Grundsituation in meinem Roman, in dem er Held durch den Iran reist, der aber nicht nur realistisch beschrieben wird, sondern eben auch mit den subjektiven Klischees und Bildern und Träumen beladen ist, die der Held schon mitbringt. Ein inneres und äußeres Abenteuer. Hoffe ich.
Ernst Augustin: Raumlicht: Der Fall der Evelyne B. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009 352 Seiten, 9,90 Euro
Text: dorian-steinhoff - Bild: Finn-Ole Heinrich