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Zwei Bücher (7): Finanzverwalter Walter und Geschwisterliebe

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Fabian Hischmann, geboren 1983 in Donaueschingen, lebt in Berlin. Er studierte Kulturwissenschaften und Literatur in Hildesheim und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 2011 erhielt er das Bremer Autorenstipendium und 2012 war er auf der Shortlist zu "Wortlaut", dem Kurzgeschichtenwettbewerb des österreichischen Radiosenders FM4, 2013 dann Teilnehmer der Jürgen-Ponto-Werkstatt. Er veröffentlichte Kurzgeschichten in verschiedenen Zeitschriften und Anthologien. Im Februar 2014 erschien sein Debütroman "Am Ende schmeißen wir mit Gold" im Berlin Verlag, der für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war.

Teil 1: Die Neuerscheinung

Lorenz Langenegger: Bei 30 Grad im Schatten

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



jetzt.de Warum hast du grade dieses Buch ausgewählt?
Fabian Hischmann: Das Buch hat mich interessiert, weil ich auch ein Buch geschrieben habe, in dem Griechenland vorkommt. Es geht um Jacob Walter, der nach zehn Ehejahren von seiner Frau Edith verlassen wird. Er nimmt diese Trennung irgendwie hin und reist nach Zürich und von dort aus eben weiter nach Griechenland. Diese Bewegung macht seine Situation zwar nicht besser, aber erträglicher.

Auf dem Umschlag steht "Roman". Ist es nicht eher eine Erzählung oder ein Novelle?
Naja, die "unerhörte Begebenheit", wie man in der Germanistik die Novelle so schön definiert, fehlt hier. Dafür ist auch schon der erste Satz "Um halb zwei Uhr morgens ist es Gewissheit" und die Trennung auf die er hinausläuft viel zu klassisch. Das finde ich aber schön an diesem Buch, da wird nicht versucht, ein komplett neues Thema aufzumachen, sondern erzählt, was jeden interessiert: deine Beziehung ist im Arsch, wie gehst du damit um? Und, ja, vielleicht ist es eine lange Erzählung, aber man kann auf so gut wie alles Roman schreiben und ich finde es auch ziemlich in Ordnung, dass das so ist.

Jacob Walter arbeitet in der Finanzverwaltung in Bern und ist auch sonst ziemlich langweilig, oder?
Ja, er ist der Typ, der Mitte 30 ist, dessen Beziehung kaputt ist, dem es aber eigentlich gut geht. Und gerade dass es ihm gut geht, langweilt ihn. Er findet ohnehin alles langweilig, deshalb freut es mich als Leser, wenn er ausbricht und zumindest Griechenland ganz schön findet. Allerdings trifft er dort auf eine Frau, die ihm gefällt und er macht nichts, er macht nie irgendwas und das ist das Nervige an ihm.

Ich fand total gut, dass mit dieser Frau nichts passiert.
Aber man regt sich trotzdem mit ihm darüber auf. Mich schüttelt es auch, wenn ich lese, wie er an seine Frau zurückdenkt und sich nicht überwinden kann, ihr eine SMS oder einen Brief zu schreiben und alles nach hinten schiebt. Die einzig gute Begegnung, die er hat, ist die mit einem zugelaufenen Straßenhund, mit dem geht er nämlich richtig um. Bei allem Zwischenmenschlichen dachte ich mir: Wenn du wirklich so bist, hätte ich mit dir auch Schwierigkeiten.

Das stimmt, ich wollte ihm die ganze Zeit in den Arsch treten. Bis man ihn hinnimmt, wie er ist und er auch beginnt, das zu tun. Das ist am Ende angenehm unaufgeregt. Mein Problem ist, dass die Sprache von Langenegger genauso dröge ist wie Walter. Ich wollte der Prosa auch die ganze Zeit in den Arsch treten. Ich frage mich, ob das Absicht ist.
Ich habe das ähnlich empfunden, Langenegger schreibt eine Sprache, die ich mir sonst auch nicht ausgesucht hätte. Ich glaube, ohne ihn zu kennen, er mag eine etwas gehobene und ältere Sprache und liest nicht viel Zeitgenössisches oder kann damit nicht viel anfangen. Wir müssten ihn einfach mal fragen, warum er das so gemacht hat. Ich glaube allerdings, dass er bewusst diese, wie du sagst, dröge Sprache für den drögen Finanzbeamten Walter gewählt hat. Ich vermute, was einen daran stört, ist, dass man es zu sehr merkt.  

Lorenz Langenegger: Bei 30 Grad im Schatten, Jung und Jung, Salzburg und Wien 2014, 141 Seiten, 17,90 Euro.

Auf der nächsten Seite: Fabian über sein Lieblingsbuch "Franny und Zooey" von J.D. Salinger.



Teil 2: Das Lieblingsbuch

J.D. Salinger: Franny und Zooey

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



jetzt.de: Wer sind Franny und Zooey eigentlich?
Fabian Hischmann: Franny und Zooey sind Geschwister und kommen aus einer wohlhabenden New Yorker Familie. Im ersten, kürzeren Teil des Buchs lernen wir Franny kennen, die ihren Freund Lane datet und einen Nervenzusammenbruch erleidet, weil ihr all das scheinheilige College-Tamtam aufs Gemüt schlägt. Im zweiten Teil, der zwei Tage nach Frannys Kollaps spielt, sind wir dann im Upper-Eastside-Apartment der Familie Glass, bei Zooey, Mitte zwanzig, Schauspieler, sehr gutaussehend, smart und rhetorisch spitze, immer rauchend – auch im Badezimmer. Er wird von seiner Mutter darum gebeten, sich um Franny zu kümmern, mit ihr zu sprechen, sie aus dem Loch zu ziehen, was ihm schließlich auch gelingt.

Salinger sagt selbst über dieses Buch, es sei "Heimkinoliteratur".
Ja, es geht wirklich nur um die Figuren, da zoomt Salinger drauf. Die Geschichte ergibt sich aus den Monologen und Dialogen. Das ist eine gute Art von Realismus, von der ich mir wünsche, dass sie einfach so passiert ist, eben weil sie so gut ist. Für mich fühlt sich das wie ein sehr emphatisches, impulsives Buch an, das superclever ist und in dem man dazu angehalten wird, sich selber ein paar Sachen klar zu machen. Das mag ich.

Es ist lehrerhaft ohne lehrerhaft zu sein.
Genau, das liegt daran, dass Zooey, der sich als Lehrer von Franny aufspielt, überhaupt nicht als Lehrerfigur taugt. Man merkt zu deutlich, dass bei ihm auch überhaupt nichts stimmt. Eine Figur, die belehren will, darf nie makellos sein, sonst würde es nerven. Zooey ist ein Schwätzer, aber ein smarter Schwätzer. Ich finde smarte Schwätzer ganz gut.

Sie hassen sich beide auch selbst so sehr.
Wobei Franny so fertig ist, dass sie noch nicht mal das hinbekommt. Sie will Lane lieben, sie will Zooey lieben, sie will ihre anderen Brüder lieben, sie will alle lieben und kriegt dadurch sich selbst nicht hin. Es gibt ja diese Menschen, die so wahnsinnig nett sind, immer, zu allen. Franny ist auch so ein Mensch, die an den Erwartungen an sich selbst scheitert, weil sie sie nicht erfüllen kann und eigentlich auch nicht erfüllen will. Sie weiß, es ist gut aufs College zu gehen, aber eigentlich auch banal. 

Sie ist zu klug dafür, all diese Erwartungen wirklich erfüllen zu wollen.
Ja, das ist das Problem von allen Figuren in diesem Buch, bis auf die Mutter: Ihre eigene Smartness steht ihnen selbst im Weg. Schön ist aber, dass sie trotzdem versuchen, ihre Probleme miteinander zu lösen.

Am Ende läuft es auf eine klare Pointe, auf eine Moral hinaus, fast wie bei manchen Jugendbüchern. Würdest du sagen, "Franny und Zooey" ist ein Jugendbuch?
Es geht hier zwar um junge Leute mit Zurechtfindungsproblemen, aber auch "alte" Leute waren ja mal jung und daher würde ich sagen, dass es kein reines Jugendbuch ist. Eigentlich würde ich das wohl fast immer sagen. Und die Moral am Ende ist ein plastisches, cleveres Um-die-Ecke-gedacht-Bild, das jedem Spaß macht und auch das christlich Religiöse, das vorher immer wieder anklingt, sehr gut unterläuft. Ich finde dieses Buch deshalb so gut, weil es nicht viel will, aber trotzdem viel schafft – tiptop!  

J. D. Salinger: Franny und Zooey, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2008, 240 Seiten, 8,95 Euro.

Text: dorian-steinhoff - Fotos: Gereon Rahnfeld (Porträt Fabian Hischmann); Screenshots)

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