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Zwei Bücher (6): Hausfrauen und Murakami

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Franziska Wilhelm wurde 1981 in Erfurt geboren. Nach längeren Aufenthalten in London und Madrid, lebt sie heute in Leipzig. Im Januar 2014 erschien ihr Debütroman "Meine Mutter schwebt im Weltall und Großmutter zieht Furchen“ bei Klett-Cotta. Zwei Jahre zuvor veröffentlichte sie den Erzählungenband "Die Fischschwester". 2011 erhielt sie ein Förderstipendium der Kulturstiftung des Freistaats Sachsen. Zudem war sie u. a. Preisträgerin beim Jungen Literaturforum Hessen-Thüringen, beim „poet bewegt“ und beim „Eobanus Hessus“-Literaturwettbewerb sowie Finalistin des Nachwuchsautorenwettbewerbs von KulturSpiegel und Thalia. Franziska Wilhelm ist einziges weibliches Mitglied der Leipziger Lesebühne Schkeuditzer Kreuz. 

Teil 1: Die Neuerscheinung

Amy Hempel: Die Ernte

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


jetzt.de: Dieser Band von Amy Hempel versammelt 16 kurze Erzählungen auf 110 Seiten. Konntest Du ein durchgehendes Motiv oder wiederkehrende Themen erkennen, worum geht es?
Franziska Wilhelm: Es sind alles abgründige Geschichten des Alltags. Oft wird von schicksalhaften Ereignissen erzählt. Von Krankheit, von Tod, vom Verlassenwerden. Meistens sind diese schweren Themen vermischt mit belanglosem Alltagsleben. Amy Hempel schafft virtuose schwingende Übergänge zwischen beidem.

Wie erzählt Hempel?
In den ersten Geschichten erzählt sie sehr brutal. Sehr knapp, sehr rücksichtslos, sehr plastisch. Es geht sehr blutig und selbstzerstörerisch zu. Ein Protagonist trinkt abwechselnd Eiswasser und heißen Kaffee, um seine Zähne zerspringen zu lassen. Jemandem wird mit 300 Stichen das Bein genäht. Das Konkrete der Sprache hat mich überrascht. Gleichzeitig ist es sehr poetisch. Hempel schreibt sehr schöne, sehr dichte Sätze in einer beeindruckenden Frequenz.

Auf mich wirkte das, als hätte sie diese Sätze über Jahre gesammelt und versucht jetzt, sie in den einzelnen Texten unterzubringen.
Das dachte ich auch! Ich hatte sogar den Verdacht, sie schreibt diese Geschichten nur, um endlich Verwendung für ihre schönen Sätze zu finden. Das funktioniert manchmal sehr gut, manchmal verwendet sie aber auch zu viele ihrer Kleinodsätze. Die Geschichten büßen dann ihren Sog ein, weil sie sich in den Sätzen verlieren.

Man erfährt auch nie besonders viel über die Protagonisten. Amy Hempel präsentiert einem meistens unkommentiert einen kleinen Ausschnitt eines oder mehrerer Leben.
Das stimmt, sie wirft einen in die Geschichten hinein, in denen man dann etwas hilflos herumschwimmt. Das ist spannend, aber wenn man das ganze Buch am Stück liest, auch etwas ermüdend. Vor allem wird es gegen Ende recht betulich. Ständig geht es um Hausfrauen und ihre Haustiere, die sich mit anderen Hausfrauen über schlimme Ereignisse austauschen. Nicht unbedingt meins.

Aber genau diese Beiläufigkeit, mit der über schlimme Ereignisse geredet wird, fand ich sehr bedrohlich.
Hast du das eigentlich gerne gelesen?

Ich habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen und glaube, das ist die falsche Art es zu lesen. Man sollte den einzelnen Erzählungen mehr Zeit geben. Trotzdem hatte ich das Gefühl, ein Buch zu lesen, dass mir erklärt, wie Alltag funktioniert. Wie gleichzeitig alles ist. Das mochte ich.
Ja, das Hin- und Herschwingen ist sehr gut gemacht. Da wird gerade noch über eine dramatische Begebenheit gesprochen und einen Satz weiter geht es darum, ob eine halbe Tablette genauso lang, aber nur halb so stark wirkt wie eine ganze, oder genauso stark, aber nur halb so lang. Das ist Hempels große Stärke. Ich glaube, wenn man Amy Hempel mit anderen Kurzprosaautoren in einer Lesung hören würde, wären ihre Texte immer der Knaller.

Amy Hempel: Die Ernte. Erzählungen Luxbooks Verlag, Wiesbaden 2013, 115 Seiten, 14,90 Euro.


Teil 2: Das Lieblingsbuch

Haruki Murakami: Mister Aufziehvogel  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Toru Okada, der Ich-Erzähler, ist etwa dreißig Jahre alt, verheiratet mit Kumiko, sehr durchschnittlich, um nicht zu sagen langweilig und hat seinen Job in einer Anwaltskanzlei gekündigt. Außerdem vermisst das Ehepaar seinen Kater. Das ist die Ausgangsposition dieses Romans.
Genau, dieser Toru Okada ist an einem Punkt in seinem Leben angekommen, an dem er weiß, er muss irgendwas ändern. Aber er weiß nicht was und auch nicht, was er dafür tun soll. Nichts läuft wirklich schlecht bei ihm, aber auch nichts besonders gut, er hängt zwischen den Seilen und sucht nach seinem Kater. Und dann verlässt ihn auch noch vollkommen unangekündigt und kommentarlos seine Frau. Dieses Verschwinden löst einen Strudel von Ereignissen aus und lässt verschiedene Personen in sein Leben treten, die zum Teil dafür verantwortlich sind, dass Herr Okoda sehr mystische Abenteuer erlebt.

Das Fantastische spielt eine entscheidende Rolle in diesem Buch.
Ja, ich finde es sehr interessant, dass das realistische Erzählen immer wieder vermischt wird mit fantastischen Elementen. Toru Okada gerät an Orte und Phänomene, an denen das Reale nicht die Wahrheit und die Wahrheit nicht real ist. Das ist etwas, dass mir bei Murakami immer sehr gut gefällt und was in Mr. Aufziehvogel sehr präsent ist. Es verleiht der Geschichte einen besonderen Sog.

Ja, das stimmt, es macht die Geschichte spannend. Aber ich finde, das ist auch die einzige Funktion, die das Fantastische in dieser Geschichte über einen orientierungslosen jungen Mann einnimmt. Es ist eigentlich ein billiger Budenzauber.
Ja, ich kann nachvollziehen, was du meinst. Es gibt hier, und das ist typisch für Murakami, immer Protagonisten, die mehr über den Ich-Erzähler wissen als er selber. Ständig hat man das Gefühl, es muss noch irgendwas passieren, es ist irgendwas vorherbestimmt, alles läuft auf ein großes Ziel zu. Nur bleibt dieses Ziel diffus. Aber ich finde, in "Mister Aufziehvogel" geht dieses Konzept auf. Die wichtigsten Geschichten werden aufgelöst. Das stellt mich zufrieden. Das Fantastische hat seinen Platz und funktioniert.

Aber bei dieser Auflösung spielen die mystischen Elemente eine entscheidende Rolle und führen doch nur in eine große Mutmaßung darüber, was eigentlich passiert und passiert ist. Damit macht er es sich viel zu einfach. Das ist Kitsch für einigermaßen kluge Leute.
Mir gefällt das, ich werde gerne in diese Erzählwelten entführt. Ich brauche nicht hinter jeder Handlung eine konkrete Bedeutung oder eine konkrete Auflösung. Man ist, wenn man "Mister Aufziehvogel" liest, in einer Murakami-Welt. Und das ist eine Welt voller skurriler Begebenheiten, schräger Persönlichkeiten und komischer Vorfälle, die mal mehr, mal weniger eng miteinander zusammenhängen.

Als wir die Bücher ausgewählt haben, hast du mir geschrieben, du hättest beim Lesen von "Mr. Aufziehvogel" viel über das Schreiben gelernt. Was genau?
Das Mischen von realen und fantastischen Elementen. Außerdem erzählen viele Figuren innerhalb der Geschichte ihre Geschichte, das mag ich. Und ich finde, Murakami erzählt mit einer sehr besonderen Behutsamkeit. Es passieren die skurrilsten Dinge, aber man fühlt sich in der Geschichte trotzdem gut aufgehoben. Behutsam, treffsicher und voller Ideen. So ist dieses Buch!        

Haruki Murakami: Mr. Aufziehvogel, btb Verlag, München 2000, 765 Seiten, 12,99 Euro.   


Text: dorian-steinhoff - Foto: Sven Gatter

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