- • Startseite
- • Zum_Beispiel
-
•
Zum Beispiel: Freiheit. Eine Wirtschaftskolumne (II)
In meiner letzten Zum Beispiel-Kolumne habe ich über Globalisierung geschrieben. Genauer gesagt: Über die neoliberale Globalisierung der Marktwirtschaft. "Liberal" heißt frei, doch die neue Freiheit gilt de facto nur für den globalen Austausch von Kapital, Waren und Dienstleistungen für die Profite reicher Unternehmen. Für Menschen allerdings gilt die Freiheit des Neoliberalismus nicht. Die meisten BewohnerInnen dieses Planeten sind den nationalen Grenzen, den nationalen Gesetzen und der Begrenztheit ihrer persönlichen Reichtümer unterworfen. Gerade diese Reichtümer aber werden einem großen Teil der Menschheit von multinationalen Konzernen weggenommen – etwa in Form von Rohstoffen, ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, der Rückzahlung von Schulden, die korrupte Regierungen gemeinsam mit korrupten Banken angehäuft haben, oder dem Verlust ihrer Vermögen durch Finanz- und Währungskrisen. Nigeria zum Beispiel ist theoretisch eines der reichsten Länder der Welt. Shell und andere Erdölkonzerne verdienen dort seit Jahrzehnten Milliarden mit der Ölförderung, unterstützten dafür korrupte Herrscher und Militärdiktaturen und haben die Lebensräume von Millionen Menschen zerstört. Das ist der Hauptgrund dafür, dass dort bis heute keine demokratischen Verhältnisse herrschen und das durchschnittliche Monatseinkommen bei nur rund 45 Euro pro Person liegt. Die Lebenshaltungskosten sind dort aber fast so hoch wie bei uns. Wie soll man von 45 Euro im Monat leben und eine Familie ernähren? Verständlicherweise versuchen deshalb viele Menschen dorthin zu flüchten, wohin auch ihre Reichtümer „geflüchtet“ sind: In die reichen Industrieländer, die ohne diese Art Ausbeutung bei weitem nicht so reich wären. Den wenigsten gelingt das, doch wer es schafft, kann im besten Fall sogar Geld heimschicken und damit der eigenen Familie helfen. Diese Hilfe fließt tatsächlich: Mit jährlich über 300 Milliarden Dollar überweisen MigrantInnen weit mehr als dreimal soviel Geld an ihre Familien in der Heimat, wie weltweit an Entwicklungshilfe gezahlt wird. Für viele arme Länder sind diese Rücküberweisungen inzwischen der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Was passiert aber bei uns? Ein Nigerianer, der es geschafft hat, die teure und gefährliche Reise nach Europa anzutreten, steht an den Grenzen Europas vor verschlossenen Türen. Öl und Kapital dürfen rein, aber die Menschen nicht. Immer mehr Verzweifelte versuchen dennoch, die Mauern der „Festung Europa“ zu überwinden – und werden dann hier zu „Illegalen“ erklärt. Sie werden zu Verbrechern gemacht, ganz so, als sei der Wunsch nach einer besseren Zukunft kriminell. Dabei wissen unsere PolitikerInnen, dass Europa mehr Zuwanderung bräuchte, um seine wirtschaftliche Stabilität und soziale Sicherheit aufrecht zu erhalten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat errechnet, dass Deutschland statt derzeit rund 23.000 jedes Jahr etwa 270.000 MigrantInnen die Einwanderung erlauben müsste, will man die Bevölkerungszahl stabil halten. Denn die Geburtenraten fast aller Länder Europas sinken stetig. Angesichts des weltweiten Bevölkerungswachstums sollte es daher kein Problem sein, Menschen aus anderen Ländern hier mit offenen Armen zu empfangen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn die EU eine Art "Weltöffnung" ab dem Jahr 2020 ins Auge fassen würde? Eine schrittweise Öffnung der europäischen Grenzen nicht nur für Handel und Kapital, sondern auch für Menschen? Europa hätte dann mehr als zehn Jahre Zeit, die Ausbeutung der ärmeren Länder zu stoppen. Gelänge dies, würden europäische Regierungen und Konzerne also endlich aufhören, diesen Ländern ihre Reichtümer wegzunehmen, dann würden auch nicht plötzlich Millionen von Menschen hier leben wollen. Erinnern wir uns an die bisherigen EU-Erweiterungsprozesse: Obwohl mit ihnen neben dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital auch der freie Personenverkehr ermöglicht wurde, verließen nur wenige Menschen ihr Land, denn die meisten wollen dort leben bleiben, wo sie Familie und Freunde haben, wo sie die Umgebung kennen und sich eine Existenz aufgebaut haben. Diese neue Freiheit würde nur eines beschränken: Die Freiheit, von der Ausbeutung anderer zu leben. ***
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Klaus Werner-Lobo ist Autor und Clown. Sein neuestes Buch heißt „Uns gehört die Welt! Macht und Machenschaften der Multis“, seine Website ist unsdiewelt.com
Text: klaus-werner-lobo - Foto: Paul Sturm