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"Als Maskottchen wurde ich verprügelt"

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


. . . für eine Wein-Poser-Attitüde. Leider gibt es die nicht nur allgemein bei Leuten meines Alters immer häufiger, sie kommt mir sogar in meinem Freundeskreis immer näher. Menschen, die an Korken schnüffeln, ihre Nasen in Weingläser stecken und danach Sachen sagen wie: „Vulkanerde“.

Es geht nicht darum, dass sich jemand für Wein interessiert. Es geht um das Gehabe, das damit verbunden ist. Mein ehemaliger Mitbewohner hat in einer Weinhandlung gearbeitet und durfte immer die angebrochenen Verkostungsflaschen mit nach Hause bringen. Wir saßen abends in der Küche und auch er hat viel über Wein geredet und mich probieren lassen. Das fand ich großartig. Aber die Leute, die sich oft selbst nicht richtig auskennen und ihr Pseudowissen nur raushängen lassen, weil sie wissen, dass ich noch weniger Ahnung davon habe – die gehen, finde ich, gar nicht.

Solches Verhalten lässt sich sicher bei Menschen in jedem Alter finden, aber einem betagten Jacques mit Baskenmütze und Baguette unter dem Arm könnte ich es wohl eher verzeihen als dem Typen, mit dem ich gerade erst noch am Baggersee Wein aus Tetrapacks getrunken habe.



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


. . . für Studentenjobs. Ich hab in den vergangenen fünf Jahren alles Mögliche gemacht: gekellnert, in der Küche ausgeholfen, ich war Festivalmaskottchen und Kartenabreißer im Kino. Das alles hatte seine guten Seiten. Ich habe sehr viele nette Leute kennengelernt und stand mit coolen Bands auf der Bühne. Aber ich habe auch gelernt: Das Schlimmste daran, ein reiner Dienstleister zu sein, ist, dass die Leute denken, sie besitzen dich und haben immer Recht.

Als Kellner sollte ich alle zuerst und sofort bedienen, als Maskottchen wurde ich verprügelt und in einen Fluss geworfen und an der Kinokasse hat eine Frau mal nur mit Kupfer-Kleingeld bezahlt, das ich zählen musste, obwohl die Schlange megalang war. Oh, und ich war auch mal Museumsführer im jüdischen Museum, da dachten die Leute, sie können mich alles fragen – zum Beispiel, ob ich beschnitten bin.

Ich fühle mich mittlerweile einfach zu alt dafür, Everybody’s Darling zu sein. Wenn ich im Job mit jemanden diskutiere, will ich widersprechen können. Und es sollte dabei um meine inhaltliche Arbeit gehen, von der ich überzeugt bin, und nicht darum, ob der Weißwein zu warm ist oder warum man mir, auch wenn ich in einem lustigen Kostüm stecke, nicht in die Weichteile treten sollte. Momentan sieht es so aus, als könnte das alles für mich nun bald ein Ende haben. Und das freut mich wahnsinnig.

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