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Wortschatztruhe: Das Wikipedia-Schiedsgericht
Die Funktionsweise der Online-Enzyklopädie Wikipedia ist ein Phänomen für sich. Laut eigener Statistik arbeiten derzeit mehr als 7000 Autoren regelmäßig an der deutschen Version des Mitmach-Lexikons mit. Prinzipiell darf dort jeder, der sich dazu berufen fühlt, sein Wissen zur Verfügung stellen – ob es sich um das 1. Westpreußische Pionier-Bataillon Nr. 17 handelt oder um die Zyklotronresonanz. Nun ist es nichts Neues, dass es bei einer größeren Ansammlung von Menschen zu Meinungsverschiedenheiten kommen kann. Auch nicht, dass diese bei Abwesenheit einer hierarchischen Ordnung, die im Zweifelsfall relativ schnell für klare Fronten sorgt, gerne mal in Streitigkeiten ausarten. Unsere 7000 Informationsengel bilden da keine Ausnahme. Der Großteil der Konflikte lässt sich zwar relativ problemlos regeln, aber „hin und wieder kommt es vor“, erklärt Matthias Schindler, Vorstandsmitglied von Wikimedia, „dass Menschen – ob nun willentlich oder nicht – nicht in der Lage sind, sich an einer Gruppenarbeit zu beteiligen.“ Das Schiedsgericht, das Wikipedia nun probehalber für ein halbes Jahr einführt, soll helfen, in solchen Streitfällen zu vermitteln und gegebenenfalls auch Sanktionen verhängen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Allerdings – so der Grundtenor auf der Diskussionsseite – sollen die Schiedsrichter eher als „letzte Instanz“ angerufen werden. Eindeutige Fälle vorsätzlicher Störung werden wohl auch weiterhin von Administratoren gerügt werden: „Wenn jemand einen Account nur anlegt, um damit Blödsinn zu machen und sich ausschließlich destruktiv verhält, braucht kein Schiedsgericht bemüht zu werden“, stellt Schindler klar. Bestehen wird das Schiedsgericht aus zehn Mitgliedern, die im Zeitraum vom 8. bis 21. Mai von stimmberechtigten Benutzern gewählt werden können. Das sind solche, die seit mindestens vier Monaten dabei sind und bereits mehr als 400 Bearbeitungen getätigt haben. Bisher haben sich 38 Kandidaten zur Wahl aufstellen lassen. Die meisten Bewerber sind Administratoren, die ohnehin viel Zeit investieren, um ein möglichst reibungsloses Funktionieren der Online-Enzyklopädie zu garantieren. An Erfahrung mit dem alltäglichen Wikipedia-Gezanke mangelt es also nicht, wie auch die Kommentare ihrer Unterstützer andeuten: In hohen Tönen wird da Fairness, Höflichkeit und Zurückhaltung der Kandidaten gelobt. Eine Flut von gelben und roten Karten ist demnach wohl nicht zu erwarten. Ob das Prinzip beibehalten wird, bleibt abzuwarten. Bis jetzt handelt es sich lediglich um einen Versuch, der nach Ablauf der sechs Monate auch als solcher wieder beerdigt werden kann, wenn die deutschen Wikipedia-Nutzer ihn nicht für sinnvoll erachten. Dass dies aber nicht zu erwarten ist, lässt ein Blick in die ausländischen Wikipedia-Communitys erahnen: Dort kommen Schiedsgerichte schon seit längerem zum Einsatz.