- • Startseite
- • Wortschatztruhe
-
•
Wir können uns entscheiden!
Die Vielleichtsager – wer das sein soll? Wir, „ die jungen Leute“. Das können wir zumindest aktuell in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachlesen. In ihrem Artikel „Wir wollen lieber nicht – oder doch?“ erklärt uns Eva Berendsen, warum wir „Wischiwaschis“ sind, keine Position mehr haben und nur noch reflektieren statt zu handeln.
Berendsen beginnt mit dem Beispiel einer jungen Studentin: Sie wird gefragt, ob der Neoliberalismus aus Geschlechterperspektive gut oder schlecht sei. Als sie nur eine ambivalente Antwort geben kann sagt man ihr, sie müsse lernen ihre Aussagen zuzuspitzen. Der Fall sei Ausdruck unsere Generation, die kein klares „Ja“, oder „Nein“ mehr kennt, sondern nur noch ein „Ja, aber“ oder ein „Ich möchte lieber nicht“. Wenn überhaupt. Denn Universalismus sei out. Die „Wahrheit ist heute derart außer Mode, wie es noch vor ein paar Jahren der Vollbart für den jungen Mann und die hochgeschlossene Spitzenkragenbluse für die junge Frau waren“, schreibt Berendsen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Natürlich entscheiden wir uns, aber auf unsere Art.
Schuld daran sei unter anderem unsere Akademisierung. Die Wissenschaft selbst stelle das Wissen in Frage. So birgt es „eine gewisse Ironie, dass die Forderung, bitte mal wieder entschieden Haltung zu zeigen, auch aus der Akademie tönt, die doch die Haltungsschwächen der Jüngeren selbst befördert hat“, schreibt die Autorin. Als literarische Annäherung an das Problem verweist Eva Berendsen auf das Buch „Unentschlossen“ von Benjamin Kunkel aus dem Jahr 2006. Sein junger Protagonist leidet an der „chronische Abulie“ genannten Entscheidungsunfähigkeit. Dass Kunkel als „absolut durchakademisiertes Kind“ einen solchen Roman schreibt, ist für Berendsen kein Wunder.
Leider liest man immer wieder, dass unsere ganze Generation an „Abulie“ leide. In einem Artikel im Spiegel über Kunkels Buch wird sie als „Neurose der westlichen Gesellschaft“ bezeichnet, als „soziales Phänomen“. Abulie aber ist ein ernstzunehmendes Symptom psychischer Krankheiten, das zum Beispiel im Zusammenhang mit Depressionen, Hirntumoren und Schizophrenie auftreten kann und einen krankhaften Willensverlust beschreibt, der zuweilen bis zur Stummheit führt. Sind wir also eine ganze Generation von Jeinsagern mit psychischen Störungen? Warum müssen wir uns sagen lassen, wir könnten nur noch schlau daherreden und reflektieren, uns aber nicht mehr entscheiden?
Wir leben nun mal in einer Welt mit einer enormen Auswahl an Möglichkeiten. Klar, theoretisch hatten die Generationen vor uns diese zum Teil auch, aber für uns ist ihre Umsetzung realistischer. Wir können ohne größere Hindernisse ins Ausland gehen, studieren, was wir wollen, oder ein Start-up-Unternehmen gründen. Wir müssen keinen Mann finden, der uns ernährt, keine Kinder zeugen, die den Familienbetrieb erhalten, oder uns über andere definieren lassen. Würden wir nicht manchmal zögern und unsere Entscheidungen abwägen, dann wären wir nicht mutiger, willensstärker oder besser – sondern schlichtweg dämlich. Denn wir würden viel mehr Entscheidungen treffen, die wir bereuen würden und Chancen verpassen. Entscheiden wir uns leichtfertig für einen langweiligen Bürojob und gegen ein aufregendes aber vielleicht anstrengendes Studienangebot, könnten wir das unser Leben lang bereuen. Und wenn einige junge Menschen zustimmen und sagen: „Ja ich kann mich wirklich nicht entscheiden was ich studieren soll, welche Frau ich will oder was ich morgen anziehe“, dann ist das kein Generationenproblem, sondern nur menschlich.
Im vergangenen Jahr schrieb Oliver Jeges in seinem Artikel über die „Generation Maybe“: „Wir 20- bis 30-Jährigen sind eine Generation ohne Eigenschaften. Gut ausgebildet, aber ohne Plan, ohne Mut, ohne Biss. Weil alles möglich ist, sind alle heillos überfordert.“ Auch damals haben wir uns aufgeregt und dachten eigentlich, spätestens mit der Gegenrede von Silke Mühlherr sei alles gesagt gewesen: Schluss mit der Sippenhaft und der kleinbürgerlichen Etikettierung unserer Generation. „Wir sind keine Generation ohne Eigenschaften. Wir haben im Gegenteil so viele, dass wir uns nicht auf ein einziges Attribut reduzieren lassen", schrieb die junge Autorin in ihrem Text.
Dass der Gedanke der „Generation Vielleichtsager“ also schon einmal gedacht wurde, spart Eva Berendsen in ihrem Artikel aus. Dafür benutzt sie den gleichen Aufhänger wie der Autor im letzten Jahr: Die Malboro-Kampgane „Don’t be Maybe“. Der Slogan einer Zigarettenmarke als bestechendes Argument dafür, dass unsere Generation keine Entscheidungen mehr treffen kann? Das hat schon vor einem Jahr nicht funktioniert und ist immer noch genauso platt wie die Sache mit der „Geiz-ist-Geil-Generation“.
Die am Anfang des Textes aufgestellte These führt Berendsen nicht wirklich aus. Sie schreibt: „Viele junge Leute wollen sich nicht mehr festlegen, nicht in der Liebe, nicht im Konsum, nicht in der Politik“. Der erste Punkt, die Liebe, ist nun mal nicht einfach. War sie noch nie. Nur haben den älteren Generationen die Eltern oder die sozialen Umstände die schwierige Entscheidung der Partnerwahl abgenommen oder diese zumindest maßgeblich beeinflusst. Und man darf nicht vergessen, auch die Entscheidung gegen konventionelle Lebensformen und das Festlegen auf eine freie oder eben keine Partnerschaft ist eine Entscheidung.
Auch der Punkt des Konsums ist sehr fragwürdig. Die Zahl der Vegetarier war wohl noch nie so hoch. Berendsens Einwand, selbst die könnten keine klare Position mehr beziehen, denn für ihre Sojaschnitzel werde der Regenwald abgeholzt, ist nicht besonders überzeugend. Auf der Fashion Week in Berlin wimmelte es von jungen Designern die nur noch Bio-Ware benutzen und wenn junge Menschen Fair-Trade-Kokain kaufen, dann ist das vielleicht Blödsinn, aber doch auch eine eindeutige Konsumentenhaltung.
Wäre da noch der Punkt "Politik". Sogar Edmund Stoiber sagt im Spiegel, dass die Politik junge Leute nicht richtig anspricht. An der Politik- und der Parteiverdrossenheit vieler ist also etwas dran und deren Berechtigung ist ein Thema für sich. Das heißt aber nicht, dass wir nicht mehr politisch sind. Nur eben anders. Wir stimmen gegen die Privatisierung des Trinkwassers, setzen uns für die Abschaffung der Studiengebühren an und starten einen #Aufschrei gegen Sexismus. Frau Berendsen sieht es sofort als Distanzierung zu dieser Position, wenn sich jemand gegen die Todesstrafe für die Vergewaltiger von Delhi ausspricht. Aber stellt sich da nicht die Frage, ob es eher dieses Schwarz-Weiß- als unser „grau bis anthrazit“-Denken zu überprüfen gilt?
Nur weil wir nicht eindimensional Denken, heißt das nicht, dass wir keine Meinung mehr haben. Unsere Welt wird immer komplexer und wir haben Zugang zu immer mehr Informationen und Möglichkeiten. Das macht es uns nicht unbedingt einfacher, aber es wäre doch dumm sie nicht zu nutzen. Natürlich gibt es immer Ausnahmen und hier kann genauso wenig für eine gesamte Generation gesprochen werden wie in Berendsens Artikel. Denn einer gesamten Generation ein Label aufzudrücken ist schlichtweg unsinnig. Aber Entscheidungen zu reflektieren ist nicht falsch oder ungenügend sondern wünschenswert und notwendig. Und ja, wir können noch Entscheidungen treffen. Schließlich sitzen zumindest die meisten von uns nicht zuhause in der Ecke und weinen, weil wir nicht wissen, was wir tun sollen. Wir können sogar entscheiden, wann wir die Entscheidungen treffen und wie lange wir warten, bis wir sie wieder verwerfen. Wenn Berendsen nach jungen Menschen sucht, die sich eintscheiden, fängt sie „bei dem jungen Paar aus dem Dorf (der) Eltern (an), das gerade beginnt, ein Haus abzubezahlen. Oder bei der Kassiererin im Supermarkt“. Das aber lässt fragwürdige Klischees vermuten, die Anlass zu einer eigenständigen Diskussion geben würden. Grundsätzlich gilt in jedem Fall: Eine Entscheidung ist nicht mehr wert, nur weil sie konventionell, für jeden offensichtlich oder früh getroffen ist. Ein Entschluss gegen Haus und Supermarktkasse ist auch schon ein Entschluss und der ist grundsätzlich weder besser noch schlechter.
In jedem Fall entscheidet sich die Generation dagegen, pauschalisiert und die „Jeinsager“ genannt zu werden und bittet darum, diese Entscheidung zu respektieren.
Text: teresa-fries - Foto: üpsylon / photocase.com