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Torschlusspanik im Hörsaal
Und plötzlich ist es da: das letzte Seminar. Die letzte Vorlesung. Das letzte Mal auf den Nacken des hübschen Typen mit den schwarzen Locken zwei Reihen weiter vorne schauen. Bei der Erkenntnis, dass selbst die Uni irgendwann zu Ende geht, müssen viele erstmal schlucken: keine Mensen, keine Hörsäle und keine Bibliotheken mehr, die bis zum Anschlag mit gleichaltrigen, paarungswilligen Mädels und Jungs gefüllt sind. Und vor allem: nicht mehr jeden Tag die Chance, den Typen mit den schwarzen Locken zu sehen und ihn vielleicht doch noch anzusprechen.
Denn der Begriff "paarungswillig" mag auf die Kommilitonen im Hörssal zutreffen – in der Theorie! So richtig klappt es im studentischen Alltag ja eigentlich doch nie, den/der/die/das Richtige zu treffen. Damit es wenigstens gegen Ende noch mal richtig rumst und die Theorie endlich mal in die Praxis umgesetzt wird, gibt es ihn - den, der alle um den Verstand bringt: den Gold-Rush.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Der Begriff ist vor allem im englischsprachigen Raum bekannt und beschreibt die Zeit, in der alle noch einmal besonders gründlich unter ihren Kommilitonen schürfen – auf der Suche nach hübschen Partnern für ein letztes Stelldichein, bevor alles zu Ende geht.
Dem sexuellen Rausch gehen meistens bittere Zeiten voraus: Nach einem Höhepunkt des sexuellen Treibens am Anfang des Studiums in Form von Ersti-Partys kommt ein tiefes langes Tal biederer Studienjahre. Immer sind alle entweder zu beschäftigt mit Hausarbeiten, oder es ist einfach zu peinlich, sich auf One-Night-Stands einzulassen. Die Gefahr sich am nächsten Tag in der Mensa bei Hähnchenkeulen und Pommes gegenüberzusitzen oder neben einem Dozenten aufzuwachen, ist viel zu groß.
Es ist der Befreiungsschlag für alle, die sich das Studentenleben sexuell aufregender vorgestellt hatten
Der Gold-Rush ist also ein Befreiungsschlag für gebeutelte Bibliotheks-Seelen, die sich das Sexleben ihrer Studienzeit irgendwie aufregender vorgestellt haben. Das erklärt vielleicht auch die ziemlich unverblümten Mitteilungen, die Studenten im Gold-Rush auf extra eingerichteten Facebook-Seiten hinterlassen. Dort gibt es anonyme Limericks und Sprüche nach dem Motto: „Tom Gill Gilly, I only want your willy“. Es gibt nichts zu verlieren und alles zu gewinnen, ein wahrer Goldrausch also, für den manche ganze „To-Do-Listen“ mit abzuarbeitenden Flirtobjekten schreiben. In Großbritannien und den USA gibt es nicht nur richtige Gold-Rush-Partys, sondern auch jede Menge Tipps auf Blogs und in Foren mit Tipps wie: „Jede Mahlzeit ist ein potentielles Date. Isst du drei Mahlzeiten pro Tag? Toll, aber dann wären fünf noch besser – das sind fünf potentielle Dates, und vergiss nicht ab und zu Kaffee trinken zu gehen.“
Was den Gold-Rush eigentlich ausmacht: Niemand muss mehr eine Lerngruppe bilden, nur um sich nahe zu sein. Es reicht ein kurzer Verweis auf das Ende der gemeinsamen Studienzeit und schon stehen bisher verschlossene Türen offen. Das sagen zumindest die eingefleischten Gold-Rusher. Es scheint so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, sich auf Gold-Rush-Partys gehen zu lassen, ohne Angst vor Gesichtsverlust. Schließlich ist sowieso klar, dass die Leute nicht zum Billardspielen gekommen sind.
Text: pia-rauschenberger - Foto: dpa; Artwork: Yinfinity